26.04.2020 - "Atempause" - 1. Petr. 2, 21b-25 Hirtensonntag (Pfr. Koller)

Gnade sei mit uns und Friede von Gott, dem Vater, und unserem Herrn, Jesus Christus!
Quarantäne-Zeit. Von hundert auf null. „Gehen Sie zurück auf Los!“
Man fällt in ein Loch, Landung wann und wo ungewiss. Draußen überschlagen sich die Nachrichten. Die Gefahr ist unsichtbar, aber höchst real. Weltweit. Erschreckende Todeszahlen.
Quarantäne-Zeit. Viele erschrecken existentiell. Arbeitsplatz, Einkommen, Auskommen gefährdet. Viele sind existentiell überfordert, mit den Kindern, den Alten, den Umständen. Zeit auch der vielen namenlosen Helden und Heldinnen, die für das Lebensnotwendige sorgen.
Quarantäne-Zeit aber auch als Atempause. Für den modernen Menschen mit seinem „immer weiter“, „immer mehr“, „immer schneller“. Atempause womöglich auch für die geschundene, seufzende Schöpfung Gottes?
Atempause als Innehalten. Fragen: Was ist eigentlich wichtig? Auf was kann man im Grunde auch verzichten? Persönlich, mehr aber noch gesellschaftlich und politisch.
„Buße“ nannte man das früher einmal, als Bußtage in der Gesellschaft noch verankert waren. Gemeint war die Umkehr von falschen Wegen. Für „falsch“ und „richtig“ braucht es freilich einen Maßstab.
Der steht für Christen zu allen Zeiten und an allen Orten fest: Jesus Christus, unser gekreuzigter und auferstandener Herr.
Das bekräftigt auch der Predigttext für den heutigen 2. Sonntag der österlichen Freudenzeit 1 Petr 2,21b-25:
21b Christus hat für euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen; 22 er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand; 23 der, als er geschmäht wurde, die Schmähung nicht erwiderte, nicht drohte, als er litt, es aber dem anheimstellte, der gerecht richtet; 24 der unsre Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden. 25 Denn ihr wart wie irrende Schafe; aber ihr seid nun umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.
Folgt man den Gedanken des Osterfestkreises, dann wird hier der Bogen geschlagen: von Ostern, der Auferweckung Jesu Christi von den Toten, die dem Täufling in der Taufe in der Osternacht „persönlich“ übereignet wird, über den 1. Sonntag nach Ostern, „Quasimodogeniti“, an dem die „Neugeborenen“ ihr weißes Taufkleid ablegen, hin zum heutigen sogenannten „Hirtensonntag“, der dem Täufling versichert, dass Jesus Christus als sein guter Hirte bei ihm ist alle Tage bis an der Welt Ende. Und der ihn auffordert, fortan seine Tage in den Fußstapfen des Herrn Jesus zu wandeln.
Um Nachfolge im Alltag geht es, ums Leben und Handeln im Geiste unseres Herrn Jesus Christus. Das ist ein befreites Handeln. Befreit von der Angst, dass wir nur Staub sind. Und befreit von dem Abgrund der Sinnlosigkeit, dass nichts von uns bleibt.
Es sind die Worte, die der Christus im Johannesevangelium spricht (zugleich der Wochenspruch: Joh. 10. 11, 27, 28): Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben. - Worte, die die allein ausschlaggebende Begründung geben für ein Leben, das sich von der letzten Sorge um sich selbst befreit weiß. Weil Gott selbst darüber in Jesus Christus sein letztes Wort gesprochen hat, sein bewahrendes, seligmachendes Wort. Die alleinige Begründung für ein Leben, das deshalb frei ist bzw. frei wird zum sorgenden und sorgsamen Umgang mit allen und allem.
Wo dies dem Täufling zur persönlichen Erfahrung wird, dass der Christus sein –persönlicher - Hirte ist, da hat Gottes Geist gewirkt – das Geschenk des Glaubens schlechthin! Mit Martin Luthers Worten gesagt: „Das Hauptstück und der Grund des Evangeliums ist, dass du Christus, ehe du ihn zum Vorbild nimmst, zuvor entgegennehmest und erkennest als eine Gabe und ein Geschenk, das dir von Gott gegeben und dein eigen sei… Sieh, wenn du auf solche Weise Christus annimmst als Gabe, dir zu eigen gegeben, und nicht daran zweifelst, so bist du ein Christ. Dieser Glaube erlöst dich von Sünden, Tod und Hölle, macht, dass du alle Dinge überwindest.“
Oder wie es der Heidelberger Katechismus formuliert: „Dass ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben, nicht mein, sondern meines getreuen Heilandes Jesu Christi eigen bin, der mich … erlöst hat und also bewahrt, dass ohne den Willen meines Vaters im Himmel kein Haar von meinem Kopf fallen kann, ja mir auch alles zu meiner Seligkeit dienen muss.“
Angstfrei kann und soll sich christlicher Glaube nun im Alltag bewähren – ohne festliches (weißes) Gewand! Die „Misericordias Domini“, zu deutsch: die Barmherzigkeit Gottes geht mit in Gestalt des Christus als gutem Hirten.
Mit Gottes Barmherzigkeit soll der Täufling nun auch seine Welt gestalten!
„Christus hat für euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen!“
Der 1. Petrusbrief thematisiert das stellvertretende Leiden Jesu Christi nicht in den Kategorien des Sühnopfergedankens. In der freiwilligen Unterordnung Jesu unter seine Peiniger sieht er vielmehr die vollständige Hingabe eines Einzelnen zum Leben, zum Wohl und zum Heil seiner Freunde. Diesem Vorbild gilt es nachzufolgen – auch und gerade in Zeiten der Bedrängnis und der Verfolgung!
Deshalb ist Christus nicht nur der Hirte, sondern auch der „Bischof“ unserer Seelen. Im Griechischen steht hier das Wort „Episcopus“, also epi-scopus = „Über-Schauer“, also einer, der den Überblick hat. Im Lateinischen wurde daraus der „Supervisor“, also derjenige, der genau hinschaut, die richtigen Fragen stellt und persönlich, fachkundig und einfühlsam berät. Christus (auch) als Supervisor – das trifft sehr genau den Punkt!
Denn einen barmherzigen Hirten und einen warmherzigen Supervisor braucht unsere Zeit heute mehr denn je! Es darf in dieser Quarantäne-Zeit ja nicht allein darum gehen, den alten Zustand von früher schnellstmöglich wiederherzustellen! Der Philosoph David Richard Precht sieht das Problem des 21. Jahrhunderts darin, dass wir zwar Arbeitslose produzieren, wenn wir aus dem Diktat des Wachstums ausbrechen, dass wir aber die natürlichen Lebensgrundlagen dieses Planeten vernichten, wenn wir aus diesen ökonomischen Zwängen nicht aussteigen! Ich zitiere aus einem Interview, das er kürzlich der Frankfurter Rundschau gegeben hat, das betitelt ist: Die Gesellschaft stellt sich jetzt selbst auf den Prüfstand:
„Das Stakkato des „Schneller, Höher, Weiter, Mehr“, der Alles-und-sofort-Akkord ist unterbrochen, und man spürt: Eigentlich geht es auch ohne. Der Gedanke, dass wir hier und da ein bisschen langsamer rudern oder dass einiges von dem, was jetzt still liegt, auch still gelegt bleibt, dieser Gedanke ist auf einmal nicht mehr so unvorstellbar. Erstes Beispiel: Brauchen wir wirklich innerdeutschen Luftverkehr, wo die Lufthansa dabei ohnehin keine Gewinne macht? Zweites Beispiel Pflegekräfte: Freundliches Klatschen und symbolische Boni, das weiß jeder, ändern langfristig nichts am System. Aber ich glaube, ich bin nicht der einzige, der lieber in einem Land leben möchte, in dem Pflegerinnen und Pfleger anständig bezahlt werden.“
Der Täufling wird auf die Stimme des guten Hirten hören. Er wird mit den Augen des Supervisors genau hinschauen, sich mit ihm beraten, welche Schritte der Christus gegangen ist und welche er heute gehen würde – immer nah am Menschen und immer frei von Gewalt! Und er wird ganz selbstverständlich seine Einsichten mit den „weltlichen Hirten“ teilen, als Angebot und Bitte. Das sei - wie der Apostel Paulus schreibt (Röm. 12. 1+2) – unser aller „vernünftiger Gottesdienst“!
Amen.