11.10.2020 - "Geben und Nehmen" - Predigt zu 5.Mose 30,11-14 am 18. Sonntag nach Trinitatis (Pfr. Fischer)

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

Geben und Nehmen.

Das ist nichts, was ohne Regeln funktioniert.

Von klein auf lernen wir, dass man „danke“ sagt, wenn man etwas bekommt.

„Na, wie socht mer?!?“ heißt es bei der Scheibe Wurst an der Wursttheke, auch wenn es eine Gelbworschtgarantie für Kinder gibt.

Ein einfaches „Danke“ war das Minimum an Gegengabe.

Wenn Besuch da war.

„Und – wie socht mer?“

Danke mit der linken Hand!

Ging gar nicht.

Gib die schöne Hand!

Und wehe, das Geschenk gefiel mir nicht!

Bloß den Mund halten und nichts anmerken lassen!

Jedes Geschenk wurde mit besonderer Achtsamkeit bedacht und behandelt; also solange bis der Besuch wieder weg war.

„Das macht man so.“

Und das ist auch gut so – zumindest im Prinzip.

Dankesagen nimmt ab – das Fordern der eigenen Rechte aber nicht.

Und das ist nicht gut.

Obwohl doch alle irgendwie ahnen: Geben und Nehmen folgt bestimmten Regeln und wenn ich mich nicht daran halte, verletze ich den anderen.


Soziologen halten den Austausch von Gaben für Vorgang, der Gemeinschaftsgefühl bildet.

Wenn auf eine Gabe keine entsprechende Gegengabe folgt, dann kippt die gesellschaftliche Balance.

Verärgerung auf der einen Seite oder Scham auf der anderen – auf dieser Basis lässt sich schlecht gemeinsame Zukunft bauen.


Vor diesem Hintergrund höre ich den heutigen Predigtabschnitt aus dem 5. Buch Mose, Kapitel 30, die Verse 11-14:

Das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern.
Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest:
Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun?
Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun?
Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir,
in deinem Mund und in deinem Merzen, dass du es tust.

Liebe Gemeinde

Gott gibt.
Und in mir greift sofort reflexartig das Muster zwischenmenschlicher Beziehungen:

„Ich muss Gott was zurückgeben!“ sagt mir mein Gewissen.

Zumindest dankbar und achtsam sein, damit Gott nicht verärgert ist.
Zumindest so tun als ob, solange er da … aber er ist ja immer da.

Was mach ich mit seinem Geschenk: ein Gebot?!

Darf ich Gott das sagen, dass ich das gar nicht haben will?

Ich will offen und ehrlich sein:

So schön die Worte unseres Predigttextes aus dem 5. Buch Mose gewählt sind – „Gebot“ und „Gesetz“ – das klingt nicht eben attraktiv.

Es hört sich an, als würde meine Freiheit eingeschränkt.

Gerade weil der Text mit so schöner Sprache betont, es wäre ganz leicht, Gottes Anspruch gerecht zu werden, gerade deshalb höre ich heraus, dass es sich normalerweise ganz anders anfühlt.

Ich will’s mal mit folgendem Beispiel verdeutlichen.

Wenn jemand sagt: „Auch der Herbst hat schöne Tage“, dann hört sich das erstmal gut an!

Doch zwischen den Zeilen wird auch gesagt: Die meisten Tage des Herbstes sind eben schmuddelig.

So hört es sich für mich an, wenn mir gesagt wird: „Das Gebot, das ich dir heute gebe, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern.“

Ich bräuchte niemanden, der dieses Gebot aus dem Himmel holen müsste.

Ich bräuchte niemanden, der über das Meer fahren müsste, um Gottes Wort zu mir zu holen.

Dann heißt es doch zwischen den Zeilen: Vielleicht ist es besser das Thema „Gottes Gebot“ doch lieber den Profis zu überlassen.

Dem will ich in drei Punkten widersprechen:

Zu meinem ersten Punkt: Das Verhältnis zwischen Gott und Mensch, als zwischen Gott und uns, vor allem zwischen Gott und jedem von uns persönlich.

Tatsächlich, es ist ein Verhältnis von Geben und Nehmen.

Gott gibt.

Wir nehmen.
Ein Ungleichgewicht!

Was könnten wir Gott schon zurückgeben?

Gottes Gabe ist immer größer als unsere, als meine.

Mit diesem Ungleichgewicht konnten wir Menschen schon zu Adams und Evas Zeiten nicht gut umgehen.

Gott hat uns das Leben geschenkt.

Er hat uns in eine wunderbare Welt hineingestellt und sie uns anvertraut.

Und wir haben nichts Gleichwertiges darzubringen.

Wir sind ohnmächtig gegenüber der überschwänglichen Güte Gottes.

Und diese fehlende Möglichkeit, auf Augenhöhe mit Gott zu agieren, bohrt in uns.

Bestimmt kennt ihr dieses unangenehme Gefühl, wenn man ein Geschenk bekommt, das den Rahmen sprengt.

Sicher, man freut sich, hat aber zugleich so ein Minderwertigkeitsgefühl.

„Das kann ich ja nie wiedergutmachen!“, geht es einem durch den Kopf.
„Jetzt stehe ich auf Dauer in jemandes Schuld.“

Bei ihm ist es anders – Gott sei Dank!

Gott spricht uns vom Gefühl einer solchen Ohnmacht und offenen Schuld frei.

Klar – wir werden niemals auf Augenhöhe mit Gott stehen.

„Gott ist immer größer.“

Das nicht anzuerkennen ist der Beginn des Sündenfalls.


Wir Menschen sind, wie wir sind.

Wir suchen nach Balance, nennen es Gerechtigkeit und halten es schlecht aus, jemanden über uns zu wissen.

Und so haben wir von unserer Seite her das Verhältnis zu Gott erheblich gestört.

Gott dagegen überbrückt von seiner Seite her die Distanz.

Er spaziert in der Abendkühle durch den Garten Eden und hat sich uns in Jesus Christus als Heiland und Bruder offenbart.

Gott kommt uns nahe.

Gott will keine gleichwertigen Geschenke von uns.

Er sucht Gemeinschaft mit uns!

Deshalb lässt er uns durch Moses ausrichten:

Das Gebot, das ich dir heute gebe, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern.

Wir sind frei, es anzunehmen.

Gott gibt. Wir nehmen.

Für Gott ist das keine Last.

Für ihn ist es eine Liebesgabe!

Unsere adäquate Gegenleistung besteht in der fröhlichen, herzlichen Annahme und Weitergabe.

Damit ist bereits mein zweiter Punkt berührt: Gottes Gebote geben uns erst die Freiheit!

Gott gibt ein Gebot. Wie so oft.

Das Alte Testament, namentlich die fünf Bücher Mose, sind voller Gebote und Gesetze.

Das klingt erstmal sehr formalistisch und restriktiv.

Doch ganz im Gegenteil:

Alle diese Gebote sind eingebunden in die Geschichte Gottes mit uns Menschen, die erzählt wie Gott uns befreit.

Vor diesem Hintergrund sind sie auch zu lesen.
Ohne die Freiheit wären die Gebote eine Überforderung.

Als Maßregel empfunden, würde jedes einzelne Gebot Gottes mein Leben einschränken – auch die Freiheit, mein Leben selbst zu verantworten.

So aber meint Gott seine Gebote nicht!

Das fünfte Buch Mose, aus unser Predigttest stammt, ist geschrieben als eine große Abschiedsrede des Moses.

Das Volk blickt vom Berg Nebo herab über den Jordan auf das verheißene Land.

Und dabei erinnert Gott sein Volk daran, dass er sich aus der Sklaverei in Ägypten befreit hat.

Und dass die lange Wanderung durch die Wüste nur deshalb möglich war, weil sich das Volk an die Regeln gehalten hat.

Also alles, was Gott tut, steht im Zusammenhang mit dieser großen Befreiungsgeschichte.

Der Sinn der Gebote ist also Orientierung und Halt zu geben, damit wir diese Freiheit nicht verlieren.

Wir wissen doch: Das Leben wird richtig schwierig, wenn man keine Regeln hat.

Freiheit, Gemeinschaft und Zusammenleben werden überhaupt erst möglich durch Regeln, Gesetze und Gebote, die das Chaos abwenden und einen schützenden Orientierungsrahmen geben.

Ich komme zu meinem dritten und letzten Punkt:

Gottes Gebote kann jeder halten – sie sind nicht nur was für die Profis!

Zunächst regt sich auch Widerstand:

Wie schwer es bleibt, selbst einzelne Gebote zu halten, dem Anspruch Gottes gerecht zu werden und ihn im Alltag zu leben, davon haben wir im Evangelium gehört.
Auch wenn Gott dabei ist – auch wenn es um die Freiheit geht – es überfordert mich trotzdem.

Auch wenn ich weiß, ich lebe in einer tollen FAmilie, auch wenn ich weiß, dass es mir hilft und es mir Freude macht – ich schaffe es manchmal einfach nicht, meinen Schreibtisch aufzuräumen oder mein Zimmer zu saugen.

Bei Gott und seinen Geboten kann sich schon das Gefühl breit machen:

Am Ende sind die Gebote und alles, was damit zusammenhängt, so hoch und so heilig;
dass alles ist so weit weg vom normalen Leben und kostet am Ende richtig Mühe, dass man das mal besser die Profis machen lässt.

Ich wurschtl mich halt so weiter durch – frei nach dem Motto: Die Pfarrer werrn mer scho song, wos richtig oder falsch ist.

Also offen und ehrlich: Lust hätt ich schon!

Aber so ist es vom Schöpfer her nicht gewollt.
Unser Predigtabschnitt erinnert uns wieder an das besondere Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk!

Unser Gott ist nicht unerreichbar für das normale Volk!

Ich wiederhole es nochmal:

Der Gott Israels ist seinem Volk nahe, geht mit und geht voraus.

In seinem Wort wird er erfahrbar.

Sein Wort wird weitergegeben, geht von Mund zu Mund und von Herz zu Herz.

Dafür braucht es keine Spezialisten, die irgendein geheimes Gotteswissen verwalten.

Die Jünger Jesu, die ersten Christinnen und Christen, das waren keine ausgebildeten Theologinnen und Theologen und auch keine Helden des Glaubens, sondern sie haben sich anrühren lassen von Gottes Wort und Gottes Geist und haben einfach danach gelebt.
Liebe Gott und liebe deinen Nächsten wie dich selbst!

Martin Luther schreibt 1520 an den Christlichen Adel deutscher Nation: „Alle Christen sind wahrhaft geistlichen Standes, und ist unter ihnen kein Unterschied dann des Amts halben allein. ... Demnach so werden wir allesamt durch die Taufe zu Priestern geweiht.“

Geben und Nehmen.

Gott gibt – füllt uns Herzen, Mund und Hände!.

Ganz direkt. Dank und Freude werden wachsen!

Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.