31.01.2021 - "Wir glauben nicht an Märchen" - Predigt am letzten Sonntag nach Epiphanias zu 2.Petr 1,16-19 (Pfr. Fischer)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Wir hören das Predigtwort aus dem 2. Petrusbrief im 1. Kapitel:

Wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen.
Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.
Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge.
Umso fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.

 

Liebe Gemeinde,
Menschen hören gern Fabeln und Märchen.

Und das hängt nicht davon ab, wie alt ein Mensch ist; er hängt auch nicht davon ab, in welcher Zeit er lebt.

Vielleicht möchte jemand widersprechen und dagegen halten: „Unabhängig von Zeit und Alter?

Das stimmt doch nicht.

Früher wurden doch viel mehr Märchen erzählt oder gelesen als heute.

Und Märchen sind doch etwas für Kinder, aber nicht für Erwachsene.“

Aber ich bleibe dabei: Auch heute, im Zeitalter der bemannten Raumstationen und der weltweiten Computernetze glauben Menschen aller Altersstufen gern an Märchen.

Es sind allerdings nicht mehr die Volksmärchen der Brüder Grimm oder von Hans Christian Andersen;
es sind die modernen Fabeln und Märchen.

Ich nenne ein paar Beispiele dafür:

Die Geschichten um den jungen Zauberlehrling Harry Potter sind als Bücher oder als Film inzwischen ein zigfacher Millionenerfolg.

Alles Märchen.

Ebenso steht es mit dem „Herrn der Ringe“: ein Märchen.

Dazu kommen die Freizeit- und Märchenparks für die ganze Familie weltweit, sogenannte „Fantasy“-Computerspiele – alles nichts anderes als moderne Märchen, in denen man sogar mitspielen kann.

Die Aufzählung reicht wohl, um zu erkennen, dass sich zwar die Gestalten und die Schauplätze gewandelt haben, dass aber die Freude an Märchen heute ebenso vorhanden sind wie zu früheren Zeiten.

Vielleicht sogar noch stärker geworden.

Denn vor allem junge Menschen können manchmal zwischen wahrer Welt und Scheinwelt nicht mehr unterscheiden.

Darin liegt dann auch ein großes Problem.

Auf der anderen Seite hält man ein Märchen, wenn man’s als solches erkannt hat, dann auch für erfunden.

„Erzähl mir keine Märchen“, heißt ja: Bleib bei der Sache und erzähl keinen Quatsch.

Wir Menschen sind also, was Märchen angeht recht zwiespältig.

Wir glauben daran, und glauben wiederum nicht daran.

Wir sehen uns nach den Scheinwelten, in denen das Gute immer über das Böse siegt, und wollen dann doch mit diesem Kindergram nicht öffentlich in Verbindung gebracht werden.

Was haben die Märchen mit dem Predigttext zu tun?

Einiges:

Ich frage mal so rum:

Sind vielleicht auch die Geschichten um Jesus Märchen?

Sind die Berichte in den Evangelien etwa auch sagenhafte Überlieferungen?

Könnte es nicht sein, dass der ganze christliche Glaube nichts weiter ist als das Für-Wahr-Halten von ausgeklügelten Fabeln, wie es unser Predigtwort ausdrückt?

Fragen, die sich nicht so einfach vom Tisch wischen lassen.

Fragen, die an die Gemeinde Jesu Christi gestellt werden.

Und wir sehen auch, dass diese Fragen schon im frühesten Christentum laut werden.

Es sind also nicht nur Fragen, die als skeptischer Vorwurf von außen kommen

Es sind immer auch Fragen, die ihre Wurzel in inneren Glaubenszweifeln haben.

Ich bin sicher, dass viele von uns so manchmal ihre Schwierigkeiten haben mit den unglaublichen Dingen, die von Jesus überliefert sind: Wasser in Wein verwandeln, Kranke durch ein Wort heilen, böse Geister austreiben, sogar Tote auferwecken.

Das ging den frühen Christen im ersten Jahrhundert nicht anders.

Je mehr die Zeit verging, je größer der historische Abstand wurde, desto mehr verblasste die unmittelbare Erinnerung an Jesus.

Deswegen meldet sich hier Petrus als Weggefährte Jesu und vor allem als Augenzeuge zu Wort:

Wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen, schreibt er.

Die Geschichten um Jesus, die Berichte über ihn sind keine Märchen.

Ich, Petrus, war dabei.

Was euch im Rückblick märchenhaft erscheint, haben wir, seine Freunde und Begleiter, miterlebt und können es bezeugen.

So wie Petrus haben auch die anderen Frauen und Männer, die Jesus persönlich begegnet sind, ihre Erlebnisse weitergesagt.

Sie haben es immer wieder geschildert, wie es ihnen mit diesem Jesus aus der Stadt Nazareth ergangen ist.

Sie haben es miterlebt - manche vom ersten Zusammentreffen bis zum bitteren Ende am Kreuz in Jerusalem, und sogar weiter bis zum Erscheinen des Auferstandenen in ihrer Mitte am Ostermorgen.

Anders hätte sich der Glaube an Christus wohl auch kaum so schnell und so weit ausbreiten können, wenn nicht hinter allem die Gewissheit gestanden hätte: dies wird von Menschen bezeugt, die selbst dabei gewesen sind.

Und das ist der Unterschied zu Märchen oder Fabeln, die frei erfunden sind oder allenfalls im Kern eine Wahrheit in sich tragen.

Die Apostel aber waren keine Dichter, die ihrer Phantasie freien Lauf gelassen haben; sondern sie waren Augenzeugen.

Wenn heute beispielsweise irgendwo ein Autounfall passiert (und das geschieht ja leider oft genug), dann wird hinterher niemand die Beobachtungen der Augenzeugen als Märchen oder Erfindung abtun.

Ganz im Gegenteil: ihre Aussagen werden möglicherweise sehr große Bedeutung haben, wenn es um die Klärung von Ursache und Schuldfrage geht.

Wenn Augenzeugen unabhängig voneinander dieselbe Wahrheit bezeugen.

Augenzeugen stehen mit ihrem Wort für das ein, was sie erlebt oder beobachtet haben – das macht ihre Aussage wertvoll.

Petrus betont das auch in seinem Brief: Wir haben uns nicht auf geschickt erfundene Märchen gestützt, als wir euch das machtvolle Kommen unseres Herrn Jesus Christus bekannt machten.

Und er fährt fort: Sondern wir haben mit eigenen Augen seine göttliche Hoheit gesehen, als er von Gott, seinem Vater, geehrt und verherrlicht wurde.

Gott, der die höchste Macht hat, sagte zu ihm: 'Dies ist mein Sohn, über den ich mich von Herzen freue.

Ihn habe ich erwählt'.

Als wir mit ihm auf dem heiligen Berg waren, haben wir diese Stimme vom Himmel gehört.

Petrus bezieht sich auf das Erlebnis der drei Jünger, die Jesus auf den Berg Tabor begleiteten. Johannes, Jakobus und Petrus hatten dort oben jene unerklärbare Vision, die wir vorhin als Lesung gehört haben.

Ich habe auch einmal auf der Spitze dieses Berges gestanden - dort steht zur Erinnerung an dieses Ereignis eine Kirche - und es war ein ganz eigenartiges Gefühl, geheimnisvoll und unerklärbar auch nach fast 2000 Jahren.

Dort auf diesem Berg ist den Jüngern deutlich geworden, dass in Jesus Gott selbst bei ihnen war, dass durch ihn Gott selbst redete und handelte.

Diese Gewissheit gab ihnen Sicherheit und Kraft, am Glauben festzuhalten, selbst später in Anfechtung, in Verfolgung und Märtyrertod.

Märchen hätten ihnen solche Kraft nicht geben können.

Die zerplatzen in der Not wie Seifenblasen.

Und wir heute?

Wir können nicht wie die Jünger zusammen mit Jesus auf einen Berg steigen, um seine Vollmacht zu erleben.

Aber wir haben seine Worte, seine Botschaft im Neuen Testament, die uns ebenso anspricht die Menschen damals.

Jesus selbst ist das fleischgewordene Wort Gottes.

Durch die Bibel spricht Jesus auch zu uns.

Wer sich ihm öffnet uns ich von ihm ansprechen lässt, der wird seine Vollmacht erkennen.

In unserem Predigtwort ist das so formuliert: Darum glauben wir umso fester der Botschaft, die von den Propheten verkündet wurde.

Ihr tut gut daran, sie ernst zu nehmen.

Sie ist wie eine Lampe, die in der Dunkelheit brennt, bis der Tag anbricht und das Licht des Morgensterns eure Herzen hell macht.

Ein treffendes Bild.

Mein Leben hat oft dunkle Ecken, das weiß ich selbst am besten.

Leid, Angst, Unsicherheit - das verfinstert oft meinen Alltag.

Neid, Abneigung, Kampf um Führungsrollen – das alles verdunkelt oft meinen Blick, manchmal so weit, bis ich andere Menschen nicht mehr richtig erkenne.

Im Dunkeln gehe ich unsicher, verliere schnell die Orientierung und habe Angst vor dem nächsten Schritt.

Das Evangelium von Jesus Christus, im Neuen Testament überliefert und in der Kirche gepredigt, kann mir wie ein Licht helfen, mich im Dunklen zurechtzufinden.

Gottes Wort gibt mir mehr Sicherheit und Klarheit;
als ob ein Licht in die Dunkelheit scheint.

Licht, das sichere Wege erlaubt – ohne Angst vor Fehltritten und Irrwegen,
Licht, das dem bedrohlichen Dunkel ringsum widersteht.

Das mir auch hilft, andere Menschen „im rechten Licht“ zu sehen und nicht durch eine Brille von Vorurteilen.

Ein solches Licht ist wirksamer als die zauberkräftigste Wunderlampe aus Tausendundeiner Nacht.

Denn - das Wort Gottes ist kein Märchen.

Es ist Jesus Christ, der spricht, der Herr über Tod und Leben. Amen.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.