21.03.2021 - "Das Kreuz in unserem Leben" - Predigt am Sonntag Judika zu Hebräer 13,12-14 (Pfr. Fischer)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Wir hören das Predigtwort aus dem Hebräerbrief im 13. Kapitel:
12 Jesus hat, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.
13 So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen.
14 Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Liebe Gemeinde!
„Letzte Ermahnungen“ hören wir da!
So nennt es zumindest die Lutherbibel.
Ermahnungen aber hören wir nicht gern und schon gar nicht in unserer Zeit.
Man sieht im Geist den erhobenen Zeigefinger eines Besserwissers und empfindet sofort eine Abwehrhaltung, denn die Frage stellt sich: Will uns jemand in unserer grenzenlosen Freiheit einengen?
Und noch eine Stufe bedrohlicher klingt „letzte Ermahnungen“.
Eigentlich schade!
Denn Ermahnungen haben auch bewahrenden Charakter, möchten den anderen schützen.
Z.B. „Kind, fass nicht auf die heiße Herdplatte!“ oder „Bei Rot stehen, bei grün gehen!“
Oder eben auch: „Harre auf Gott!“ „Bleib bei ihm!“
Bei den Ermahnungen des Hebräerbriefs geht es ums Eingemachte; um unser Verhältnis zum Heiland Jesus Christus.
„Jesus Christus ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit! – so heißt es dort am Ende des Hebräerbriefes.
Das habt im Blick!
Nicht nur am Sonntag, sondern alle Tage Eures Lebens!
„Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehre umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde.“
Wir sollen gefestigt werden in unsicheren Zeiten;
Zeiten in denen recht wenige fragen, viele aber meinen, kluge Antworten geben zu können.
Bleibt vielmehr bei dem, was Gott will!
Bleibt bei Gott und bei Euren Mitmenschen.
Liebt einander – tut Gutes!
Seid gastfreundlich, pflegt einen geschwisterlichen Umgang.
Zeigt Mitmenschlichkeit mit den Gefangenen und Misshandelten!
Eigentlich billig; ist doch klar!
Ja, guter Rat muss nicht immer teuer sein!
Vieles haben wir schon längst – teuer wird’s in der Umsetzung, angefangen bei unserer inneren Einstellung.
So heißt es in unserem Predigtwort:
„Jesus hat, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.
So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen.
Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“
Gott will uns heiligen – ok!
Aber Leiden, Blut, Schmach, Heimatlosigkeit – was macht das mit uns heute?
„Draußen vor dem Tor“?
Nicht „draußen vor dem Tor“ aber „Draußen vor der Tür“, so heißt die bekannte Erzählung von Wolfgang Borchert.
Er bearbeitet die Traumata des Zweiten Weltkrieges und findet folgende beeindruckende Worte:
„Ich stehe draußen, wieder draußen.
Gestern Abend stand ich draußen.
Heute stehe ich draußen.
Immer stehe ich draußen.
Und die Türen sind zu.
Und dabei bin ich ein Mensch mit Beinen, die schwer und müde sind.
Mit einem Bauch, der vor Hunger bellt.
Mit einem Blut, das friert hier draußen in der Nacht“...
So beschreibt Wolfgang Borchert die Empfindungen eines Menschen, der draußen vor der Tür ist.
Auch heute sind Menschen auf der Flucht, aus Kriegsgebieten, aus armen Regionen, aber vielleicht auch hier, innerlich: vor der Angst, vor der Schuld, vor der Verzweiflung, vor der Einsamkeit …
Jesus suchte die Gemeinschaft mit Menschen draußen vor der Tür.
Er brachte ihnen das Reich Gottes, lehrte und heilte sie – gab ihnen für ihr ganzes Leben eine neue Lebensperspektive.
Seine Motivation war die Liebe; eine Liebe fähig macht den Nächsten zu lieben, wie sich selbst; auch wenn er nicht mein Freund, sondern sogar mein Feind ist.
Eine Liebe, die nicht fordert, sondern gibt und vergibt.
Das schafft Heilung – das verändert uns Menschen zum Guten an Körper, Geist und Seele.
Doch nicht alle lassen ihn durch die Tür in ihr Leben.
Damals erkannten ihn nur Wenige als den wahren Messias.
Die Menschen damals warteten eher auf einen, der sichtbar die Verhältnisse verändern würde, der Frieden und Wohlstand für alle bringen sollte.
Also auf einen politischen, materiellen Messias.
Einem solchen König hätten sie zugejubelt.
Aber für einen, der selbst Leiden ertragen musste, der sich um die um die Armen und um die Sünder, um den gesellschaftlichen Abschaum kümmerte, weil sie und nicht die Frommen die Rettung ihrer Selle brauchte.
Für den, der als Seelsorger dorthin ging, wo’s wirklich weh tut, für ihn hatte das Volk nur die schrecklichen Worte: „Hinweg mit ihm, kreuzige ihn!“
Und wie es den Übeltätern damals erging, sollte der Tod außerhalb der Stadt geschehen – draußen vor dem Tor.
So endete sein Leben, ausgestoßen von der Gemeinschaft, dort am Kreuz, dem Zeichen der Schmach und der tiefsten Verachtung.
Er hat gelitten und den Tod am Kreuz erduldet, draußen vor dem Tor.
Damals hieße lapidar: Wer dort stirbt, der ist ein Verbrecher.
Übertragen auf uns, heißt das:
Gott wird aus unserem Leben hinausgedrängt.
Der Skandal des Kreuzes war den Juden damals ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit, wie es Paulus im 1. Korintherbrief schreibt.
Das Kreuz ist auch heute vielen Menschen Anstoß und unbegreiflich.
In der Welt war und ist kein Platz für ihn, gelitten und gestorben ist er draußen vor dem Tor.
Wie kann man an ihn glauben?
Aber, so weiß der Schreiber des Hebräerbriefes zu sagen, dieser Tod war nicht sinnlos oder vergeblich, er war Zeichen für das, was den Juden damals durch ihre gottesdienstlichen Gebräuche bekannt war.
Blut, Zeichen des Lebens und der Sühne, der Vergebung.
Das Blut eines Tieres wurde als Sühnopfer dargebracht, aber der Körper des Tiers wurde vor dem Lager, draußen vor dem Tor, verbrannt.
Mit seinem Tod hat Jesus das einmalige Sühneopfer gebracht und damit das Volk geheiligt, für Gott in Be-schlag genommen, draußen vor dem Tor.
Draußen, ausgeschlossen aus dem Leben, aus dem pulsierenden Geschehen der Zeit.
Einsamkeit, Verlassenheit und Verachtung beinhaltet dieses „draußen vor dem Tor“.
Seien wir ehrlich: Wer möchte schon draußen stehen?
Alles gibt man heute dran, um „in“ zu sein.
Wie viele geben ihre eigene Meinung auf, handeln gegen besseres Wissen, nur um nicht in diese Außenseiterstellung gedrängt zu werden?
Ist nicht etwas von dem „nicht draußen zu sein“ auch in unseren Kirchen und Gemeinden zu spüren?
Anpassung an die Normen der Gesellschaft ist wieder mal gefragt; eine neue Landesstellenplanung steht an, und wir fragen uns: Wie kommen wir bei den Menschen an? Die Frage ist grundsätzlich richtig, aber:
Wie schnell werden alte Werte aufgegeben, ja bis dahin, dass biblische Texte uns gefällig gemacht werden müssen?
Für nicht mehr zeitgemäß erachtet werden.
Lieber das Wohlfühlevangelium predigen, als auch mal Tacheles reden!
Unser Text redet eine sehr ernste Sprache – ich gebe zu, auch eine auf erste Hören unangenehme!
Der Hebräerbrief fordert uns auf: „Lasst uns auch hinausgehen und seine Schmach tragen!“
Schmach tragen, ist damit heute noch jemand geholfen?
Sollen wir das Leiden etwa aktiv suchen?
An seine Seite sollen wir uns stellen; so wie es Paulus sagt: „Lasst uns gesinnt sein“ wie Jesus es war, der schwieg, als er geschlagen wurde, der Unrecht ertrug, der im Sinn der Bergpredigt seine Feinde liebte, der sich zu denen hielt und ihnen half, die ganz unten waren, und denen vergab, die ihm fluchten.
Schmach Christi tragen heißt in einer säkular gewordenen Welt: mich zu ihm bekennen.
Ja, im Alltag muss es deutlich werden, nicht mit frommen Worten oder salbungsvollen Reden, sondern im Tun und in unserer Haltung.
Die Menschen, an die diese Worte einst gerichtet waren, wussten, dass ein christliches Leben sich sehr deutlich von dem ihrer heidnischen Umwelt unterscheiden muss und wird.
Allen Menschen gilt sein Heil.
Jesu Tod draußen vor dem Tor ist für alle geschehen, ein Geschenk für alle.
Ein Geschenk aber werde ich nur besitzen, wenn ich es annehme.
Wenn ich es auspacke, wenn ich mich damit beschäftige!
Die Botschaft vom Kreuz stellt sich quer zu den Erwartungen in einer modernen Welt.
Einer, den Gott am Kreuz sterben lässt, passt nicht in die Vorstellung von Heil und Wohlergehen.
Es ist eine sehr überhebliche und konsumorientierte Haltung:
Wenn ich schon an Gott glauben soll, dann müsste er doch alles zum Besten wenden.
Allen Hunger stillen, Frieden sichern, Terror vermeiden, Gerechtigkeit durchsetzen und dafür sorgen, dass die Menschlichkeit siegen kann – und diese Geisel der Menschheit – dieses Covid19-Virus endlich vernichten!
Der Karfreitag, Golgatha, steht wieder vor uns.
Er erzählt uns von Jesu Opfertod für uns, damit wir geheiligt werden durch ihn.
Gott will uns zum Guten verändern – in seinem Sinn, nicht in unserem; nach seinem Willen, nicht nach unserem!
Wie viel Leid, Trauer und Sterben haben die letzten Monate der Welt gebracht?
Manch einer, der sich hier auf Erden im Diesseits eingerichtet hat, erkennt wie brüchig und zerbrechlich dieses irdische Glück und Leben ist.
Merkt etwas von dem, was der Schreiber des Hebräer-briefes so ausdrückt: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, aber die zukünftige suchen wir.“
Wie schnell kann sich alles im Leben verändern?
Christen haben eine Hoffnung, die sich in unserem Leben hier schon auswirkt.
Eine Hoffnung auf das, was kommt, wenn alles vergeht,
schafft auch Hoffnung für all das, was ist.
Jetzt, heute – nicht erst irgendwann.
Jetzt schenkt uns Gott die Kraft, die Zeichen der Zeit zu erkennen, richtig zu deuten und auch das angemessene zu tun; auch dorthin zu gehen, wo’s weh tut.
Wir Christen leben nicht weltabgewandt, sondern von dieser Hoffnung getragen, hier das tägliche Leben zu führen und sinnvoll zu gestalten.
Wir können Leiden, Sterben und Tod ertragen, und mit Gottes Hilfe in Segen verwandeln.
Dazu helfe uns Gott, täglich und ewiglich!
Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.