01.04.2021 - Herr, bin ich's? -Predigt über Joh. 13. 1-15 zum Gründonnerstag von Pfarrer Rudolf Koller

Evangelium Joh. 13. 1-15

1 Vor dem Passafest aber erkannte Jesus, dass seine Stunde gekommen war, dass er aus dieser Welt ginge zum Vater; und wie er die Seinen geliebt hatte, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende.

2 Und beim Abendessen, als schon der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Iskariot, ins Herz gegeben hatte, ihn zu verraten,

3 Jesus aber wusste, dass ihm der Vater alles in seine Hände gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott ging,

4 da stand er vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich.

5 Danach goss er Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war.

6 Da kam er zu Simon Petrus; der sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen?

7 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, das verstehst du jetzt nicht; du wirst es aber hernach erfahren.

8 Da sprach Petrus zu ihm: Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir.

9 Spricht zu ihm Simon Petrus: Herr, nicht die Füße allein, sondern auch die Hände und das Haupt!

10 Spricht Jesus zu ihm: Wer gewaschen ist, bedarf nichts, als dass ihm die Füße gewaschen werden; denn er ist ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle.

11 Denn er kannte seinen Verräter; darum sprach er: Ihr seid nicht alle rein.

12 Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch getan habe?

13 Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin's auch.

14 Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen.

15 Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.

Predigt

Unter Fußpflegedienstleistungen, wie sie inzwischen in fast allen Orten angeboten werden, konnte ich mir lange Zeit nichts vorstellen. Was für ein Geschäft, dachte ich, andern die Füße waschen. Aber was macht man nicht alles für Geld. Du gehst da jedenfalls nicht hin, sagte ich mir. Es wäre mir in der Tat peinlich, mir von anderen meine Füße waschen zu lassen. Und wäre das nicht ein Eingriff in meinen Intimbereich? Nein, meine Füße wasche und pflege ich mir lieber selbst.

„Da stand Jesus vom Mahl auf, legte sein Obergewand ab und nahm einen Schurz und umgürtete sich. Danach goss er Wasser in ein Becken, fing an, den Jüngern die Füße zu waschen, und trocknete sie mit dem Schurz, mit dem er umgürtet war. Da kam er zu Simon Petrus; der sprach zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen?“ (V 4-6)

Ich kann die Abwehr des Petrus verstehen, als Jesus ihm die Füße waschen will. Bei Petrus kam noch hinzu, dass sich nicht irgendwer zu diesem niederen Dienst zu ihm herabließ, sondern einer, dem vielmehr er zu dienen hätte. „Herr, solltest du mir die Füße waschen?“

Petrus wollte zu Jesus aufschauen und nicht auf ihn herabschauen. Im Alten Orient und im Mittelmeerraum war es Sitte, vor einer Mahlzeit die Füße zu waschen. Es galt als ein Zeichen höflicher Aufmerksamkeit, dem Gast Wasser für seine Füße bereitzustellen. Wie angenehm, wenn der Straßenstaub von den Füßen, die - wenn überhaupt - nur mit Sandalen bekleidet waren, weg war und das Gefühl der Frische sich einstellte. Anderen die Füße zu waschen, gehörte jedoch zur niederen Arbeit der Sklaven.

Noch heute ist die Fußwaschung am Gründonnerstag-abend in orthodoxen und katholischen Klöstern und Kirchen guter Brauch – warum eigentlich nicht bei uns Evangelischen?

Wie so oft lässt Jesus einen alltäglichen und unscheinbaren Vorgang für eine tiefere Wirklichkeit überraschend transparent werden. An der Reaktion des Petrus wird die tiefere Bedeutung anschaulich: „Herr, solltest du mir die Füße waschen?... Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen!“ Jesu überraschendes Tun scheint Petrus in seinem eigenen Dienstverständnis empfindlich gestört zu haben. War das nicht eine totale Umkehrung der religiösen Wertehierarchie, die Jesus in Gang setzte? Das kann und darf doch nicht sein! Wo bleibt da mein Gottesdienst? Immer schön mit beiden Füßen auf dem Boden bleiben. Niemals sollst du mir die Füße waschen. Ich will und kann es nicht zulassen, dass du dich so zu mir herablässt.

Müssen wir ihm, Petrus, nicht Recht geben? Jesus, der Meister und Herr, und Petrus, der ihm niemals das Wasser reichen kann. Jesus, der Große, und Petrus, der Kleine, der voller Bewunderung zu ihm aufschaut und diese Beziehung so auch will. Jesus dienen, ihm stets zu Diensten und ihm ergeben sein. So will es Petrus. Das ist sein Gottesdienstverständnis. Diesen Gottesdienst kann er sich nicht nehmen lassen, niemals. Das wäre Verrat an seiner Religion. Wenn überhaupt, so ist es an Petrus, dem großen Lehrer die Ehre zu erweisen, sich zu bücken und ihm die Füße zu waschen.

Jesus zu Petrus: „Was ich tue, kannst du jetzt noch nicht verstehen, aber später wirst du es begreifen. Wenn ich dir nicht die Füße wasche, hast du keinen Anteil an mir.“

Petrus: „Herr, dann nicht nur die Füße, sondern auch die Hände und den Kopf!“ (V 7-8)

Hätte Jesus Petrus „den Kopf gewaschen“, wovon wir in anderen Geschichten des Neuen Testaments hören, hätte er vielleicht weniger Schwierigkeiten empfunden und damit besser leben können. Dass es Jesu letzter Liebesdienst sein sollte, konnte Petrus damals nicht ahnen. „Was ich tue, kannst du jetzt noch nicht verstehen.“

Das Passahfest stand bevor. Gemeinsam war Petrus mit Jesus und den anderen Jüngern und Jüngerinnen nach Jerusalem gekommen, um mitzufeiern. Viele müssen gespürt haben, dass etwas in der Luft lag, denn die allgemeine Lage zwischen Juden und Römern war äußerst angespannt.

Die anderen Evangelisten berichten an dieser Stelle vom letzten Mal Jesu mit seinen Jüngern, Johannes von der Fußwaschung!

Wir heute wissen, was sich über Jesus und seinen Vertrauten zusammenbraute. Aber wussten es die Jünger und Jüngerinnen damals?

Jedenfalls muss in dem Augenblick, als Jesus Petrus die Füße wusch, die Berührung etwas in ihm ausgelöst haben! Da war auf einmal das Verlangen, dass nicht allein die Füße, sondern auch die Hände und der Kopf, sein ganzes Wesen, das reinigende Wasser brauchen. Petrus hatte jetzt verstanden, dass es in dem, was Jesus an ihm tat, um mehr ging als um Sauberkeit! -

Weshalb ihn die Antwort Jesu in große Unruhe versetzt haben muss: „Ihr seid rein, aber nicht alle“.

Warum nicht alle?

Wer nicht?

Wer war gemeint? Womöglich er selbst, Petrus?

Die beunruhigende Frage „Herr, bin ich’s?“ klingt an…

Petrus musste mit dieser Unruhe leben. Er bekam keine Antwort. Wenn Jesus mit den Worten „Ihr seid nicht alle rein“ auf den bevorstehenden Verrat anspielte, wusste ein anderer Jünger, Judas, wer gemeint war, „denn er (Jesus) kannte seinen Verräter“.

„Als er nun ihre Füße gewaschen hatte...“ Wir erfahren durch diese Worte des Evangelisten, dass Jesus sich auch vor Judas bückte und ihm diesen letzten Liebesdienst erwies!

„Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe“. (V 15)

Jesus hat mit seinem zunächst so irritierenden Handeln gezeigt, wie sehr es Gott darum zu tun ist, den Menschen zu dienen. Gottes Dienst braucht keine Hierarchie. Mit, in Jesus begegnet Gott uns sogar kniend, beugt sich vor uns, wertschätzt und reinigt so den ganzen Menschen, sogar denjenigen, der ihn verrät.

Gott dient dir, veranschaulicht Jesus in seinem Tun an jenem Abend. Wenn du deine Füße wundgetreten hast, wenn sie dich schmerzen oder du auf der Stelle trittst und keinen Schritt mehr vorankommst dann hat Gott keine Berührungsängste. Er schreckt nicht zurück vor dem Schmutz, der an deinen Füßen klebt, nicht vor den Verletzungen und Abschürfungen, die du erlitten hast und die du mit dir herumträgst.

„Ein Beispiel habe ich euch gegeben...“ Was Jesus an seinen Jüngern getan hat, machte er zu ihrem Auftrag, „damit ihr tut, wie ich euch getan habe“.

Christinnen und Christen heute stehen in seiner Nachfolge wie die Jünger und Jüngerinnen damals. Unser Gottes-(dienst)-Verständnis bezieht sich auf die Lehre Jesu und ist damit auch Auftrag an uns.

Das macht dann – sagt uns der Evangelist Johannes – Kirche Jesu Christi: eine den Menschen nahe und einfühlsame Kirche, die weiß, worauf sie fußt!

In einer solchen Kirche und Gemeinde wären wir uns dann auch alle nicht zu schade, uns zu bücken, wo es nötig ist. Denn von unten aufschauend sieht man anders und tiefer als von oben herab.