02.05.2021 - "Glaube - Geduld - Freiheit" - Predigt am Sonntag Kantate zu Apg 16,23-34 (Pfr. Fischer)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Wir hören das Predigtwort aus der Apostelgeschichte des Lukas im 16. Kapitel:

 

Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Aufseher, sie gut zu bewachen. Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block. Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und die Gefangenen hörten sie. Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, so dass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen und von allen fielen die Fesseln ab. Als aber der Aufseher aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offenstehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. Paulus aber rief laut: Tu dir nichts an; denn wir sind alle hier! Da forderte der Aufseher ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. Und er führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen und führte sie in sein Haus und deckte ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.

 

Liebe Gemeinde!

Das ist eine absolut unglaubliche Sache!

Da stehen die Türen des Gefängnisses offen, aber die Gefangenen machen sich nicht auf und davon!

Man hatte sie in den Kerker geworfen, wie wir hören, und sicher waren sie also nicht mit Samthandschuhen angefasst worden.

Aber sie nutzen die Gelegenheit nicht, zu entkommen.

Und schließlich war der Aufseher, der sie bewacht hat, auch kein Mann, der ihnen den Aufenthalt hinter Gittern versüßt hatte – sie aber retten ihn davor, Selbstmord zu begehen.

 

Warum verhalten sich Menschen so?

Warum kümmern sich Gefangene um die Nöte ihrer Peiniger, die sie in Ketten gelegt und misshandelt haben?

Warum tun sie denen Gutes, die ihnen so viel Leid, Angst, und Schmerzen zufügen?

Warum nutzen sie nicht die Gelegenheit und nehmen an ihren Feinden grausam Rache?

 

Die Antwort lautet: Weil sie Gottes Macht erfahren haben und ihm mit ganzem Herzen nachfolgen!

Paulus und Silas vertrauen auf Gott allein – deshalb handeln sie so und nicht anders.

Zugegeben: Normal ist das Verhalten von Paulus und Silas gewiss nicht – auch nicht unter Christen!

 

Doch sie fliehen nicht und retten den Bewacher, weil sie Gott vertrauen.

Sie wissen: Er kann Menschen befreien – selbst, wenn sie in schwersten Ketten gebunden sind.

Weil sie die befreiende Macht Gottes kennen, darum müssen sie nicht weglaufen.

Weil sie dem Herrn vertrauen, der Leben und Tod in seinen Händen hält, darum können sie seelenruhig in ihrer Zelle bleiben.

 

Das ist wahres tiefes Gottvertrauen:

Paulus und Silas sind geborgen bei Gott, der überall ist, im Gefängnis und draußen;
überall in den Lebenslagen, die uns den Angstschweiß auf die Stirn treiben;
genauso wie an den Orten, wo wir gern sind und uns glücklich fühlen.

Warum also sollten sie fortlaufen?

 

Bewundernswert, wenn Menschen ohne Wenn und Aber solch unendliches Gottvertrauen besitzen!

Ich denke, so ganz nachvollziehen können wir das nicht!

Klar mit dem Mundwerk ist jeder von uns Vorbild im Glauben; wenn wir uns stark und sicher fühlen.

Aber wie ist es in echten Krisenzeiten?

Ich würde sicher mächtig auf den Putz klopfen, wenn ich von mir behauptete, ich hätte damals an deren Stelle nicht die erste Möglichkeit zur Flucht genutzt, als die Gefängnistüren plötzlich aufgesprungen sind.

Und auch das wäre zu dick aufgetragen, wenn ich von meinem Glauben sagen würde, er wäre auch nur annähernd so fest und unbeirrbar wie der dieser beiden Gefangenen.

Und ich bin überzeugt, dass es vielen unter uns auch so geht.

 

Vielleicht denkt sich da jetzt jemand: Brauche ich denn überhaupt solchen Glauben?

Wann werde ich denn in so eine Lage kommen, dass ich in einem Gefängnis sitze und die Wahl hätte, zu fliehen oder nicht?

 

Liebe Gemeinde,
diese Geschichte hat etwas mit unserer Welt, mit unserem Leben zu tun.

Wir brauchen doch gar kein Gefängnis aus Steinen und Mauern mit Gardinen aus Eisenstäben.

Trotzdem sind wir oft Gefangene.

Gefangene in Gefängnissen unseres Lebens - im übertragenen Sinn meine ich das.

Ich denke da an so manche Lebenssituation, in der wir von anderen Menschen bedrückt und klein gemacht werden, in der wir nicht so können, wie wir wollen;

In der uns vielleicht schon viel zu lange einer seine Macht spüren lässt und wir sehr gern einmal auf der anderen Seite stünden und den längeren Hebel in die Hand bekämen!

Was würden wir den tun, wenn die Türen eines solchen „Gefängnisses“ aufgingen?

Wie würden wir uns verhalten: Bleiben oder weglaufen?

Seien wir ehrlich:

Wenn es ohne Verluste, ohne Einbußen an Ansehen, Verdienst und Chancen fürs persönliche oder berufliche Weiterkommen abginge, dann, ja dann würden wir uns sicher davonmachen!

 

Paulus und Silas laufen nicht weg.

Sie bleiben.

Sie vertrauen auf Gott, der sie hier wie da – im Gefängnis oder draußen, in Ketten oder frei – retten kann und retten will.

 

Könnten wir uns auch auf solches Vertrauen einlassen?

Dass Gott uns hält und trägt, rettet und bewahrt - ganz gleich ob im Kerker oder in Freiheit?

 

Ich möchte unseren Blick jetzt auch auf die andere Seite lenken: Ich meine damit die andere Seite des Bleibens.

Wenn wir vor jeder unangenehmen Situation fliehen.

Wenn wir den Mund nicht aufbekommen, wenn Unrecht geschieht und wir dabeistehen.

Wenn wir bei jeder Gelegenheit kleinbeigeben.

Wenn wir immer wieder dem Recht geben, der die Macht, Geld und Einfluss besitzt, obwohl der gar nicht unsere Meinung vertritt

 

Bleibt da nicht ein schlechtes Gefühl zurück, jeder nötigen Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen, aus Furcht vor Schaden alles gutzuheißen, was einer sagt und tut, auch wenn es dem eigenen Wissen und Gewissen widerspricht?

Hat das nicht auch viel mit Selbstachtung zu tun und damit, ob wir unser eigenes Bild im Spiegel noch ertragen können?

 

Leider haben sich zu viele Menschen daran gewöhnt, immer nachzugeben.

Es käme ihnen gar nicht mehr in den Sinn, den Mund aufzumachen und zu sagen: Meine Meinung ist...

Aus Angst vor Scherereien

Den Mund für die eigene Wahrheit aufzumachen scheitert oft daran, dass man meint: das ist doch im Grunde nur hinderlich und riskant.

Mein bleibt auf dem einfachen Weg.

Nur nicht anecken.

 

Doch eine solche Haltung nützt keinem, am wenigsten uns selbst.

Auch wenn wir uns Scherereien einhandeln, wenn wir bleiben, nicht weglaufen und das ansprechen, was bös- oder schiefläuft.

 

Es nützt uns! Paulus und Silas hat es genützt!

Der Gefängnisaufseher wird Christ und ihr Freund.

Und auch uns wird es nützen: Vielleicht sieht der Chef ja doch ein, dass er einen Fehler gemacht hat?
Oder dass wir erfahren, wie sich das Klima am Arbeitsplatz zum Guten verändert;
dass in der Familie wieder offen und ohne Hintergedanken miteinander gesprochen wird.

 

Oft muss es ja wirklich nur einmal ausgesprochen werden, dass Menschen einsehen, was sie da tun.

Ich bin da auch für jedes offene und ehrliche Wort dankbar.

 

Der Mut zum Bleiben, zum Bestehen, zum offenen Wort wird letztendlich belohnt.

Weil Menschen sich damit verändern können.

Beziehungen miteinander werden so wieder tragfähig, weil man endlich aufhört sich zu belügen und Machtspielchen zu spielen.

Jeder der bleibt und nicht davonläuft, hat etwas davon.

 

Gott ist derjenige, der verändern kann.
Gott ist derjenige, der uns einen Auftrag gibt.

Wir haben der Welt, wir haben unseren Mitmenschen etwas zu geben: Liebe und Aufrichtigkeit.

Wir können nur geben, wenn wir bleiben und nicht davonlaufen.

 

Das schönste dabei ist vielleicht das Ansehen, das wir vor uns selbst haben, kriegen und behalten.

Es ist einfach wichtig, dass wir im Unrecht aushalten und uns nicht davonmachen;
dass wir die Wahrheit sagen, auch wo es schwerfällt, das Rechte tun;
und dass wir Gott und uns selbst dabei treu bleiben!

 

Über diesem Verhalten steht die Verheißung Gottes!

In unserer Geschichte von Paulus und Silas drückt sich das so aus: Und der Gefängnisaufseher führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? - Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen und führte sie in sein Haus und deckte ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.

 

Für uns hier und heute wird es vielleicht so ausgehen: Wir können vor uns selbst bestehen.

Menschen verändern sich.

Wir und andere können aufatmen.

Es wird etwas wärmer in unserer Umgebung.

Aus dem Gegeneinander, das oft herrscht, wird ein Miteinander.

Und wo Gemeinschaft ist, da geht es Menschen besser.

 

Gott fragt uns heute schon recht deutlich:

Was wirst du tun, wenn demnächst wieder einmal ein „Gefängnis" für dich aufgeht?

Bleiben oder Weglaufen?

 

Denken wir dann daran, was Paulus und Silas getan haben: Sie bleiben.

Sie wissen etwas von Gott, der Menschen befreien kann, selbst von schwersten Ketten.

Deshalb muss keiner von uns mehr weglaufen.

 

Gott hält auch uns und trägt uns, rettet und bewahrt – und macht uns frei.

Bleiben wir, vertrauen wir auf Gott, dann werden auch Menschen durch uns frei.

Amen.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.