23.05.2021 - Baustopp - Predigt am Pfingstsonntag über 1. Mose 11. 1-9 von Pfarrer R. Koller

Das Bild ist bekannt: Feuerflämmchen tanzen vom Himmel. Menschen reden vom Geist erfüllt. Die große Einigkeit ist eingetreten. Männer und Frauen verstehen sich, die sich nie zuvor gesehen haben. Eine schrankenlose Welt scheint sich aufzutun. Das alles verheißt Pfingsten. Ein Fest wird gefeiert, ein Fest der Freude und der Versöhnung. Gottes Geist hat sie alle ergriffen. Neu erkennt ein jeder sich selbst und den andern. Ein wunderbarer Moment.

Und doch ist die Frage: hat es wirklich alle ergriffen? Stehen da nicht welche abseits und wundern sich?

Offenbar hat ein Rausch die Menge ergriffen. Eine Ausgelassenheit, aber auch ein Lallen, wie man es von Betrunkenen kennt, bezeichnet die Szene. Neckisch für den einen, aber vielleicht auch abstoßend für den anderen, jedenfalls nicht ganz normal.

So ist es also doch nichts mit der großen Einheit an Pfingsten. Was sich da abspielt ist mehr diffus als klar. Da mögen wohl welche feiern und was sie dabei sagen und ausrufen, das halten sie für verständlich. Aber das ist es nicht! Jedenfalls sind nicht alle überzeugt.

Wenn alle wirklich einmal alles verstünden, wenn alle einmütig, mit einer Gesinnung eines wollten, könnten wir dann von einem wahren Pfingsten sprechen?

Mir scheint eher, die Heilige Schrift will uns diesen Traum von Anfang an nehmen - ehe ein Albtraum daraus wird! Hören wir doch im 1. Buch Mose, Kapitel 11:

(1) Es hatte aber alle Welt einerlei Zunge und Sprache.

(2) Als sie nun nach Osten zogen, fanden sie eine Ebene im Lande Schinar und wohnten daselbst.

(3) Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! – und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel

(4) Und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder.

(5) Da fuhr der HERR hernieder, dass er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten.

(6) Und der HERR sprach: Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun.

(7) Wohlauf, lasst uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des Anderen Sprache verstehe!

(8) So verstreute sie der HERR von dort in alle Länder, dass sie aufhören mussten, die Stadt zu bauen.

(9) Daher heißt ihr Name Babel, weil der HERR selbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in alle Länder.

 

Türme haben zu jeder Zeit etwas Imposantes. Achtung und Respekt kündet ein solcher Turm. Denn wo ein solches Hochmonument steht, da sagt es schlichtweg: Hier stehe ich. Und ich wanke nicht.

Wer darüber nachdenkt, der wird Türme die Menge finden, nicht nur im unmittelbaren Umkreis. Der berühmteste Turm ist der erste seiner Größe gewesen: Der Pariser Eifelturm mit seinen 300 Metern Höhe, eingeweiht auf der Weltausstellung 1889. Wer nicht auf ihm war, war nie wahrhaft in Paris. Es folgten die Wolkenkratzer New Yorks, das Empire State Building, das Sinnbild modernen Wohnens schlechthin in –zig Stockwerken übereinander. Das kanadische Toronto durfte sich dann seines welthöchsten Fernsehturmes rühmen. Seit dem Jahr 2010 ist der Burij Kalifah in Dubai der höchste Turm der Welt. Er ragt 828 Meter in die Höhe. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, dass irgendwann ein Turm von 1000 Meter Höhe eingeweiht wird. Und vielleicht wird auch das nicht das Ende sein.

Der Turm zu Babel durfte nicht an Höhe gewinnen. Sein Bau musste eingestellt werden. Und wo immer in der Welt Höchstes, Größtes, Monumentales und Imposantes gepriesen wird, hat der Verweis auf den Turmbau zu Babel nicht gefehlt: „Wehe ihr baut solch einen Turm!“ Aber die Menschen taten es doch. Wer sollte sie auch stoppen?

Die Geschichte vom Turmbau zu Babel stammt aus der Frühzeit der Menschheit, einer Zeit, als das Bauen noch umständlich war. Und doch standen die Pyramiden schon. Nicht so hoch. Aber mächtig. Ja, die Turmbaugeschichte ist eine alte Geschichte, aber sie sollte deshalb nicht belächelt werden.

Denn es gibt ja nicht nur die Rekorde, sondern auch die Einbrüche. 11. September 2001: das World-Trade-Center wird Ziel eines menschenverachtenden Angriffs! 3000 oder noch mehr Menschen kommen um.

Gespenstisch wirken auch die turmartigen Blöcke der Atommeiler von Fukushima, nachdem Wasserstoffgas die Decken weggesprengt haben. Sie werden ein Mahnmal für die Menschheit bleiben! Ebenso wie der Sarkophag von Tschernobyl.

Hatten sie also recht, die, die gewarnt haben? Die, die mit ihrem Verweis auf Babels Turm von Sünde sprachen. Die, die Gottes Urteil voraussahen und es nun als eingetreten ansehen.

Das ist, liebe Gemeinde, die eine Deutung: Wer ohne Gott lebt, macht sich selbst zum Gott und baut sich hohe Türme. Er wird größenwahnsinnig. Und unsere Welt ist ja größenwahnsinnig. Sie bekommt den Rachen nicht voll genug und muss auch noch das Letzte aus allem herausholen.

Ist also das die Botschaft zum diesjährigen Pfingstfest? Dass Gott zornig wurde über das Tun der Menschen und unwillig über ihre Torheit? Dass Gott nicht wollte, dass ein Turm seinen Himmel berührte und er mit Eifer darüber wachte? Dass Gott die Menschen unter seine Hand zwingen wollte und daher ihren Sinn verwirrte? Soll das wahr sein?

Die Geschichte vom großen Turm ist alt. Aber man sollte nicht versuchen, Angst mit ihr zu machen! Schon eher will sie uns hier und da schmunzelnd zu einer Einsicht bewegen! Über das Motiv dieses Turmbaus! Und über unsere Motive!

Denn die Menschen hatten ja alles. Die Menschen waren in Sprache und Kultur eines. Sie konnten sich an allen erdenklichen Enden ihrer Ausdehnung verstehen. Sie waren zu einem klugen Volk von Technikern geworden, die Ziegel brennen und mit Pech verbinden konnten. Sie waren dabei, sich neue Möglichkeiten zu erschließen. Nein, das war weder verwerflich noch schlecht!

Aber noch etwas Anderes trieb sie um. Nämlich ihre Angst, zerstreut zu werden in alle Lande. Einen „Namen“ wollen sie sich somit mit dem Turm machen. Denn wer einen Namen hat, der ist wer! Es ist, liebe Gemeinde, ein Turm - aus Angst gebaut!

In meinen Augen motiviert die Bauwütigen nicht so sehr Größenwahn, sondern ein Sicherheitskomplex. Nicht Gott spielen wollen sie, sondern sie wissen, dass sie nicht Gott sind. Ihre Angst agieren sie nach Außen – im Bau eines Symbols der Stärke!

Als das wurden ja auch die Doppeltürme in New York gesehen. Bei ihrem Einsturz wurde der empfindlichste Nerv getroffen.

Und warum baut ein Staat wie Japan die gefahrenträchtigste Technologie von allen auf schwankendem Boden? Weil darin der Traum von Unabhängigkeit zementiert wurde. Japan braucht keine Hilfe. Es kann sich aus eigener Kraft erhalten. Es braucht nur geringe Rohstoffe, es braucht kein Know-how von außen.

Aber nicht Gott fuhr zur Erde und stieß den Turm von Babel um. Er war es auch nicht, der die Türme in Amerika und Japan zunichtemachte.

Gott stoppte den Turmbau – indem er eintreten ließ, was die Menschen befürchteten: Auflösung der Sprache. Auflösung des Ortes. Zuletzt die Auflösung der geplanten Schutzburg.

Gott hat bestraft? Mitnichten! Es ist an keiner Stelle gesagt, dass Menschen zu Schaden kamen. Sie konnten nur einfach nicht weiter bauen. Der eine wusste nicht mehr, was der andere wollte. Das Projekt blieb stecken. Die Menschen verstreuten sich - und lebten, leben bis heute.

Der fertige Turm wäre kein Paradies geworden, sondern ein Gefängnis. Eben das wollte Gott für seine Menschen nicht.

Wenn ich das bisher Gesagte für mich zusammenfasse, dann kann es Pfingsten werden, wenn wir aufhören, Angst vor einer pluralen und vielsprachigen Menschheit zu haben, die über die ganze Welt verstreut ist. Türme sind kein geeignetes Rezept zum Abbau von Ängsten!

Denn was ist an Pfingsten damals passiert? Als erstes kann man nachlesen, dass Menschen sich haben ergreifen lassen und nicht selbst etwas gemacht haben. In Babel begannen die Menschen mit der Selbstaufforderung: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! In Jerusalem sagte niemand: Lasst uns eine große, weltumspannende Gemeinschaft bilden, damit wir Christen uns nicht mehr zerstreuen. Die kleine Gruppe war kein Gründungskomitee einer großen Sache. Sie waren nicht voll Sendungsbewusstsein. Sie waren nicht voll Missionseifer. Sie waren nur voll Glauben.

Und da ereignete sich etwas, was sie nicht machen konnten! Es geschah: Pfingsten. Geist. Freude. Tanzen. Sprachen.

Nicht die Überzeugtheit der einen hat die anderen überzeugt. Das, was in der Luft lag, ist einfach übergesprungen.

Und eine zweite Beobachtung: Hier entstand keine Einheitlichkeit! Verschiedene Menschen sprachen verschiedene Sprachen, hatten sogar verschiedene Religionen - und verstanden sich. Sie mussten ihre Art nicht aufgeben. Sie mussten sich nicht einer allgemeinen und verfassten Kirche unterwerfen. Sie mussten nicht erst dem Einen abschwören und sich zum Anderen bekennen. Sie brachten nur ihre Erfahrungen, ihr Wissen von dem einen göttlichen Wirken mit. Und erzählten davon. Und ich bin sicher, dass sie es ungeheuer interessant und spannend fanden, was der jeweils andere berichtete, wie es die anderen feiern und welche Liebe zu diesem ihrem Gott sie haben.

Wir alle sind doch Verstreute und unser aller Leben ist doch mehr oder weniger Bruchstück. Und auch unser Glaube ist nur eine Art zu glauben. Aber an Pfingsten wird erlebbar, dass wir zusammengehören

Schaffen wir es, den Bau der Türme in unserer Welt ruhen zu lassen? Schaffen wir es, nicht mehr im Taumel von vorgespiegelter Größe zu leben, die doch nur hochgezogene Furcht ist?

Nein, ich glaube, wir schaffen es nicht! Der Pfingstgeist schafft es. Der Geist unseres Herrn Jesus Christus, der Geist der Liebe, der Kraft und der Besonnenheit. Um diesen Geist bitten wir mit den Worten: Komm, Heiliger Geist, erfüll die Herzen deiner Gläubigen und entzünd' in ihnen das Feuer deiner göttlichen Liebe!