13.06.2021 - "Liebe bricht Mauern" - Predigt zu 1.Kor 14,1-3.20-25 am 2. Sonntag nach Trinitatis (Pfr. Fischer)
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
Eine „Mauer in den Köpfen“ soll die Berliner Mauer seit ihrem Fall ersetzt haben.
Ich weiß nicht wie Ihr dazu steht.
Aber nach über 30 Jahren Wiedervereinigung blitzen sie immer noch ab und zu auf – die Vorbehalte West geben Ost und umgekehrt.
Sei es die Diskussion um den Soli, den es abgemildert immer noch gibt, oder das Problem der ungleichen Löhne und Renten, die unterschiedliche politische Färbung – es gibt sie leider immer noch: die Mauer in den Köpfen.
Solch eine Mauer kann es überall geben.
Sie ist auch der Grund, dass viele Ehen scheitern oder dass unterschiedliche Generationen sich nicht mehr verstehen können.
Solch eine Mauer kann auch eine Gemeinde spalten, wenn Jung und Alt z.B. nicht einmal mehr Gottesdienst miteinander feiern können.
Die meisten Jugendlichen finden alles so steif und manche der Älteren können wenig mit neueren Liedern oder einer aufgelockerten Liturgie anfangen.
Sie wollen Andacht und Besinnung, nicht Action und Bandmusik wie viele jüngere Gemeindeglieder.
Solche unsichtbaren Mauern, die trennen, gab es scheinbar zu allen Zeiten.
Von der Gemeinde in Korinth kennen wir vielfältige Konflikte und Spaltungen.
Nicht nur, dass es mehrere Parteien gab, die sich - je nachdem - mehr Paulus oder Apollos, Kephas oder gar Christus zugehörig fühlten.
Nein, die Mauern ragten auch bis in den Gottesdienst hinein.
Die reicheren Gemeindeglieder sahen z.B. nicht, dass die ärmeren hungrig am Abendmahl teilnehmen mussten.
Das Mahl der Gemeinschaft war dadurch kein Gemeinschaftsmahl mehr.
Auch über die Rolle der Frauen im Gottesdienst gab es geteilte Meinungen.
Im Übrigen hören wir, dass es im Gottesdienst eine Gruppe von Menschen gab, die Kraft des Geistes in Zungen redete, besser gesagt, zu Gott betete.
Unverständliche Laute, eine Sprache ohne Worte kann man sich darunter vorstellen.
Der Verstand scheint ausgeschaltet und die Zunge benützt der Heilige Geist.
Doch inhaltlich konnte niemand das Gesagte verstehen.
Ein anderer Teil der Gemeinde konnte nichts damit anfangen und fühlte sich vielleicht ausgegrenzt.
Ihnen war es viel wichtiger, dass jemand in klaren, verständlichen Worten zu ihnen sprach, ebenfalls erfüllt und geleitet vom heiligen Geist.
Worte eben, die Herz und Verstand der Leute treffen konnten.
Worte, die das Wort Gottes in die Gegenwart hinein auslegten, Mut machten, trösteten oder ermahnten.
Und so stand eine unsichtbare Mauer im Raum: Befürworter der Zungenrede auf der einen und Verfechter der sogenannten prophetischen Rede auf der anderen Seite.
Hören wir selbst, was Paulus zu dieser unsichtbaren Mauer in den Köpfen der Korinther zu sagen hat: 1. Korinther 14,1-3.20-25:
1 Strebt nach der Liebe!
Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede!
2 Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen.
3 Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung.
20 Liebe Brüder, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Böses geht; im Verstehen aber seid vollkommen.
21 Im Gesetz steht geschrieben (Jesaja 28,11.12): „Ich will in andern Zungen und mit andern Lippen reden zu diesem Volk, und sie werden mich auch so nicht hören, spricht der Herr.“
22 Darum ist die Zungenrede ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; die prophetische Rede aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen.
23 Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen?
24 Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt;
25 was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.
Liebe Gemeinde,
Paulus duldet diese Mauer in den Köpfen nicht.
Sein Werkzeug, diese Mauer niederzureißen, ist schlicht und ergreifend die Liebe:
„Strebt nach der Liebe!“, so heißt der erste Satz, der wie eine Überschrift über seinen weiteren Ausführungen steht.
In diesem Konflikt konkretisiert er sein berühmtes „Hohelied der Liebe“ aus dem 13. Kapitel:
Alles Tun und Reden - das prophetische oder auch die Zungenrede - sei es noch so sehr geistgewirkt ist wertlos, wenn nicht die Liebe der Motor ist.
Man kann ohne Liebe Holz hacken, Ziegel formen, Eisen schmieden, aber mit Menschen darf man nicht ohne Liebe umgehen, sagte einst Leo Tolstoi.
Das gilt gerade auch für das menschliche Miteinander innerhalb der Gemeinde.
Nach der Liebe zu streben fordert den ganzen Menschen: Wer liebt, wird aktiv und möchte diesem höchsten der Gefühle auch Ausdruck verleihen.
Wer schon einmal verliebt war, der erinnert sich vielleicht, wie erfinderisch diese Liebe sein kann.
Sie kann nicht ruhen, sie will sich dem anderen mitteilen.
Wer von Gottes Liebe gepackt ist, möchte auch andere daran teilhaben lassen.
Aber oft verliert sich die erste Welle der Begeisterung, ein Christ zu sein, im Trott des Alltags, vor allem, wenn Konflikte überhandnehmen.
So ist Paulus' Aufforderung zu verstehen, nach der Liebe zu streben, gerade weil sie oft müde wird.
Man muss sich immer neu von Gottes Liebe packen lassen, um wieder aktiv lieben zu können.
Liebe möchte Mauern überwinden, weil ihr die andere Seite am Herzen liegt.
Sie sucht nicht das ihre, sie pocht nicht auf ihr Recht, sondern versucht, den anderen zu verstehen.
Liebevolle Kommunikation reißt Mauern ein.
Das kann die Mauer in den Köpfen mancher Wessis oder Ossis sein, wenn sie nur miteinander „liebevoll“ ins Gespräch kommen.
Wenn sich die eine Seite ehrlichen Herzens bemüht, die Lebenswirklichkeit der anderen Seite zu verstehen, könnten die Mauersteine der Vorurteile und schlechten Erfahrungen bald abgetragen sein.
Der Gesprächspartner ist dann vielleicht nicht mehr der Wessi oder der Ossi, sondern schlicht: ein liebenswerter Mensch.
Seine Lebensgeschichte und Lebenswirklichkeit werden dann vielleicht nicht mehr pauschal abgeurteilt.
Liebe kann Mauern überwinden, auch die Mauern zwischen den Generationen.
Auch hier gilt es, miteinander in einem Gespräch zu bleiben.
In einem Gespräch, das durch Liebe, Respekt und Achtung geprägt ist, weil der andere ein liebenswertes Geschöpf Gottes ist.
Liebe kann Mauern überwinden, auch die Mauer, die in den Köpfen mancher Korinther aufgerichtet war.
Man verstand sich nicht mehr, im buchstäblichen und übertragenen Sinne.
Während des Gottesdienstes wurde der Raum mit unverständlichen Lauten erfüllt, befremdlich, ausgrenzend und abstoßend für die einen, für die anderen ein erhebendes Gefühl.
Letztere konnten vermutlich nicht verstehen, was die anderen daran auszusetzen hatten.
Begegnen uns angesichts unserer Gottesdienste nicht auch ähnliche oder ganz andersartige gegenteilige Erfahrungen?
Die einen brauchen vielleicht die traditionellen Formeln, eine pastorale Sprache, Zeit für Stille; die anderen möchten mit allen ihren Sinnen klar, schlicht und deutlich angesprochen und aktiv beteiligt sein. ...
Auch uns gilt Paulus' Rat: Strebt nach der Liebe, dann werdet ihr miteinander im Gespräch merken, wo die Grenzen der Toleranz erreicht sind, so dass der Sinn des Gottesdienstes als gemeinsames Feiern der Liebe Gottes bestehen bleibt.
Das Ziel: Einen Lebensraum schaffen, in dem auch Außenstehende spüren, dass Gott gegenwärtig ist.
Wo Konflikte und Meinungsverschiedenheiten innerhalb einer Gemeinde offen und liebevoll miteinander besprochen werden, stehen nicht nur die Befindlichkeiten der betroffenen Kontrahenten zur Debatte.
Paulus gibt uns einen Maßstab an die Hand, an dem die meisten Argumente beurteilt werden können: Findet eine Lösung, die dem Aufbau der Gemeinde am besten dient!
Behindert nicht den Gemeindeaufbau durch hinderliche, künstliche Mauern.
Ein Lebensraum soll entstehen, in dem die Weite der Liebe Gottes zu spüren ist - im Miteinander nicht im Gegeneinander.
Gemeindeaufbau kann in zweierlei Richtungen geschehen.
Zum einen in der inneren Festigung der Gemeinde und zum anderen, indem neue Gemeindeglieder hinzugewonnen werden.
Im Fall der Korinther bedeutete dieses Kriterium den klaren Vorzug der prophetischen Rede vor der Zungenrede.
Denn gerade die prophetische Rede dient dem inneren und äußeren Aufbau der Gemeinde durch verständliche Worte der Ermahnung oder Ermunterung und durch tröstende Worte.
Die Zungenrede dagegen führte zur Spaltung und zur Abschreckung ferner stehender Menschen.
Prophetische Worte bewirken auch heute noch etwas in uns Menschen, weil sie unsere Herzen treffen können.
Sie zeigen uns, welchen Anspruch Gott auf unser Leben hat und sprechen uns zu, dass er stets und ständig Ausschau nach uns hält, wie der Vater des verlorenen Sohnes.
Gottesdienstbesucher, die dem Glauben noch skeptisch gegenüberstehen, können von dieser klaren Botschaft ergriffen werden.
Das liebevolle Miteinander der Gemeindeglieder unterstreicht die Botschaft.
Wir spüren, dass der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit den Raum erfüllt, dass Gott wirklich unter uns ist.
Gott, der uns sagt:
„Ich sehe dich! :
Ich schaue dich an. :
Ich weiß, was dich beschäftigt. :
Ich will dir helfen, den richtigen Weg zu finden. :
Was dich belastet, trage ich für dich. :
Mir kannst du vertrauen. :
Du, Mensch, du gehörst zu mir. :
Ich habe dich lieb.“
Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.