31.10.2021 - "Liebe und tu, was du willst" - Predigt über Gal 5,1-6 am Reformationstag (Pfr. Fischer)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde,
der Wunsch nach Perfektion ist überall zu spüren.

Menschen wollen ohne Fehler sein.

Ich kann mich manchmal selbst nicht leiden, wenn ich meine Fehler sehe.

Wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, merke ich:

Es ist immer leicht auf die zu schimpfen, die unachtsam unterwegs sind und z.B. das Blinken vergessen, wenn sie auf der Ernst-Reuther rechts ranfahren.

Aber wenn ich an mich selber denke, wie oft ich nicht aufpasse.

Eigene Fehler einzugestehen fällt schwer.

 

Aber, wenn ich es tue, merke ich, wie befreiend das ist!

Wenn ich mir meine Fehler bewusstmache, dann gewinne ich damit auch an Verständnis für die Fehler anderer.

 

Davon erzählt Paulus zwar explizit nichts, aber vielleicht meint er das auch:

Wir hören den Predigttext für den heutigen Sonntag aus dem Brief des Apostels an die Galater im 5. Kapitel, die Verse 1-6:

Zur Freiheit hat uns Christus befreit!
1 So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!
2 Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen.
3 Ich bezeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist.
4 Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid aus der Gnade gefallen.
5 Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss.
6 Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.

Liebe Gemeinde,
die Beschneidung aus religiösen Gründen, von der Paulus hier redet, ist kein Thema für uns mehr.

Sie war für die Menschen, denen Paulus hier schreibt aber schon wesentlich.

Die Beschneidung damals war das Zeichen des Bundes mit Gott.

Sie war der Versuch das zu sein, was die Vorfahren auch waren.

Kontinuität schafft Vollkommenheit – dachte man.

Den Traum von Perfektion träumen auch heute noch viele Zeitgenossen und versuchen, ihn zu leben.

Dagegen schreibt Paulus.

Die Beschneidung als solche ist unwesentlich, aber der Versuch, Gottes Willen perfekt erfüllen zu wollen, erscheint ihm problematisch.

Ich muss mich entscheiden, sagt er: Wenn ich zu Jesus gehöre, ist Perfektionismus nicht das Ziel.

Das Ziel ist die Liebe.

Was war geschehen?

Paulus schreibt an die Gemeinden in Galizien, weil ihr Glaube an Gott in eine Gesetzlichkeit verfallen ist.

Es ist die Art pharisäischer Lebensart, die versuchte, Gottes Gebot haarklein, Punkt für Punkt, strengstens einhalten wollte.

Alles haben Sie der Einhaltung von Gottes Geboten untergeordnet.

 

Ist doch nicht verkehrt?

Stimmt grundsätzlich.

Aber wie der altgriechische Arzt Paracelsus schon wusste: Die Frage des Giftes ist die Frage der Dosis.

Zu viel Gesetzlichkeit ist Gift.

Die Gebote Gottes wirken wie ein Geländer, an dem ich mich durch das Leben taste.

Sie schützen mich vor den Abgründen und gefährlichen Zonen, die mir schaden können.

Diese Gebotsgeländer schließt aber ein großes freies Feld des Glaubens ein, auf dem ein buntes Feld heranwachsen kann.

Die Galater haben aus dem Geländer Käfige gemacht, haben das freie Feld immer parzelliert, immer mehr Gebotskäfige errichtet.

Sie wollten damit Sicherheit gewinnen.

Perfekten Schutz gegen das Böse; immer sofort zu wissen, was gut und böse ist.

Absolut sichere Orientierung auf dem Weg zu Gottes ewiges Reich.

Heute sprechen wir im staatlichen Zusammenhang von Überreglementierung.

Wir wissen: Es gibt aber auch ein Zuviel an Grenze, an Einengung, an Bevormundung!

Auch bei Gottes Geboten:

Wenn ich die Grenzen der Zehn Gebote zu eng ziehe, dann bleibt für mich als Mensch oder für uns als Gruppe keine Freiheit mehr, besonders zu sein.

Von diesem engstirnigen Gebrauch der Gebote Gottes hat uns Christus befreit.

 

„Liebe und tu, was du willst“ – so hat das Augustinus von Hippo zusammengefasst; die Liebe ist der ethische Grundsatz, aus dem alles richtige Handeln wie von selbst folgt.

Doch auch Freiheit will gelernt sein!

Nicht jeder kann mit der neuen Freiheit umgehen, die uns Gott in Christus geschenkt hat!

Paulus gebraucht dafür das Bild vom Sklaven, der befreit ist.

Manchmal sehnt er sich vielleicht zurück nach der Sicherheit der Sklaverei, aber nun ist er frei und muss versuchen, Freiheit zu leben.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit!

Das ist der entscheidende Satz; nicht nur in unserem Predigtabschnitt – das ist überhaupt einer der entscheidenden Sätze der Bibel!

Christus hat mich befreit, damit ich mich nicht mehr ewig mit meinen Fehlern herumplagen muss – Gott vergibt mir!
Christus hat mich befreit, damit ich nicht in ständiger Angst vor dem Tod leben muss – Er schenkt mir das ewige Leben.

Christus hat mich befreit, damit ich nicht mehr schutzlos den bösen Mächten ausgeliefert bin – Am Kreuz hat er schon das Urteil über Sünde, Tod und Teufel gesprochen!

Welch ein Geschenk Gottes an uns alle!

 

Ja, eigentlich unfassbar, denn es melden sich auch Einsprüche:
Sind wir Menschen dieser Freiheit gewachsen?

Ist die Freiheit womöglich gefährlich?

Sklaven damals haben das erfahren müssen.

Sklaven lebten als Unfreie – aber es war Leben.

Die Freiheit war hart in einer unsozialen Welt, die Menschen verhungern ließ.

Paulus betont: „Lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“?

Macht Euch nicht wieder freiwillig zu Sklaven – fordert Paulus.

Und er fordert damit nicht eine blinde Flucht in die Freiheit ohne Halt und Orientierung.

Paulus appelliert an unsere Standfestigkeit!

Glaube an Gott und vertraue auf ihn!

Lass dich von seiner Liebe leiten!

Das genügt.

 

Freiheit braucht Standfestigkeit, Überzeugungen, Profil; ein weiser Satz lautet ja: „Wer kein Profil hat, der dreht durch“! - wie beim Winterreifen.

Was nützt mir die Freiheit, wenn ich orientierungslos herumschlittere?

Suchen wir als moderne Menschen nicht deshalb auch immer wieder eigene Geländer, an denen wir uns festhalten können?

Und wenn’s bloß dieses blöde Handy ist, das mir vorgaugelt, ein moderner, sozialer und angesagter Mensch zu sein?

Wer sagt, ja aber, das ist ja bloß ein Handy, der soll einfach mal versuchen, einen Tag das Ding auszulassen.

Mehr ist es nämlich gar nicht: Es ist nur ein Ding!

Ich entdecke viele solcher Dinge von Unfreiheit an mir und an anderen.

Also ich stelle fest, ich fühle mich besonders unfrei, wenn ich gehetzt bin, wenn ich viel zu tun habe und mich davon überfordert fühle.

Dann entsteht Stress.

Ich fühle mich auch unfrei, wenn mich jemand unter Druck setzt und von mir Dinge verlangt, die ich falsch oder unnötig finde.

Und ich fühle mich unfrei, wenn jemand über mein Leben entscheidet und mich zu etwas zwingt, und ich bei der Entscheidung nicht mitreden darf.

Wenn der andere, der über mich entscheidet, sich noch nicht einmal meine Argumente anhören will.

Unfrei bin ich auch, wenn ich Opfer eines Verbrechens werde:

Ich kann Opfer von körperlichen Übergriffen werden.

Ich kann bestohlen werden.

 

Gegen alle diese Unfreiheiten kann ich aber eine Freiheit setzen, die von Herzen kommt!

„Wenn ich Gott zutiefst vertraue, dann bin ich frei.“

Dieser Satz ist kein theoretisches Dogma.

Das sagt Paulus aus tiefster Überzeugung.

Mehrmals wurde Paulus zusammengeschlagen oder ins Gefängnis geworfen.

Im Vergleich zum Leben des Paulus ist unser Leben heute sehr sicher und angenehmer.

Vielleicht weiß Paulus etwas, was wir nicht wissen, weil unser Leben so einfach und gemütlich ist.

„Wenn ich Gott zutiefst vertraue, dann bin ich frei.“

Vielleicht mache ich diese Erfahrung erst in extremeren Situationen, aber das muss freilich nicht sein!

Vielleicht finde ich diese Erfahrung ja auch in meinem eher ruhigen Alltag.

„Wenn ich Gott zutiefst vertraue, dann bin ich frei.“

Vielleicht ist der Schlüssel der zweite Teil des Satzes aus unserem Predigttext: „Es zählt also nur der Glaube, der sich in Liebe auswirkt.“

Der Glaube, der sich in Liebe auswirkt. Vollständig heißt unser Leitsatz:

Wenn ich Gott zutiefst vertraue, dann bin ich frei, liebevolle Taten zu tun.

 

Ja, das finde ich in meinem Leben wieder, egal wo, egal in welcher Situation.

Ich kann beten.

Ich kann Gott um Hilfe bitten.

Ich kann Gott vertrauen, dass ich immer und immer wieder von Gott geliebt bin.

Wenn ich Gott diesen Freiraum gewähre, dann dränge ich alles Schädliche zurück.

Dann kann ich mit meinen Fehlern besser umgehen, weil Gott mich stark macht.

Dann kann ich barmherziger mit den Fehlern anderer umgehen – weil ich keinen Sündenbock mehr suchen muss.

Dann werde ich fähig für mich und andere Freiräume zu schaffen, weil ich tun kann, was getan werden muss.

Liebevolle und freundliche und hilfreiche kleine oder große Taten.

Ich zähle jetzt nicht auf, was das alles sein kann.

Vertrauen wir auf Gott und seine Liebe und wir werden wissen, was in der jeweiligen Lage möglich und nötig ist, und was nicht.

Liebe und tue, was du willst! – und wir werden Gottes Gebote wie von selbst erfüllen!

Amen.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.