21.11.2021 - "Neuer Himmel und neue Erde" - Predigt am Ewigkeitssonntag zu Jesaja 65,17-25 (Pfr. Fischer)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde,
Manchmal kennt das Leben Wüsten-Zeiten - wenn es hart auf hart kommt, es in mir drin dürre ist und ich nur noch Berge sehe, die sich vor mir auftürmen.

Dann sehe ich, einem Wüstenwanderer gleich, nur noch den endlosen Sand, aber in der Ferne keine Oase.

Wie auf einer Wanderung durch die Wüste mögen sich viele von Ihnen fühlen, die Sie heute in den Gottesdienst gekommen sind.

Sie haben im zu Ende gehenden Kirchenjahr einen Menschen verloren, haben mit Angehörigen oder Freunden an einem Grab gestanden und Abschied nehmen müssen.

Totensonntag, Ewigkeitssonntag.

Zwei Namen desselben letzten Sonntages im Kirchenjahr.

Sie umreißen, worum es heute geht.

 

Wir gedenken der Verstorbenen, holen ihre Namen einmal noch in unsere Mitte.

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!", lese ich beim Propheten Jesaja (43,1).

Menschen wird bei ihrer Taufe zugesprochen, dass ihr Name von nun an bei Gott aufgeschrieben ist.

Und an den Gräbern erinnern wir uns daran, dass unser Name bei Gott aufgeschrieben bleibt, wenn dieses Leben zu Ende gegangen ist.

Die Verstorbenen sind nicht mehr unter uns, aber gleichwohl in Gedanken gegenwärtig.

Die Erinnerung an gemeinsame Wegstrecken tritt vor unsere Augen.

Wir hören heute noch einmal die Namen derer, die nun in Gottes Frieden ruhen.

Wir halten Namen bleibend auf den Steinen der Gräber fest, als Zeichen dafür, dass Menschen nicht vergessen werden - nicht bei uns, nicht bei Gott.

 

Und dann der andere Name dieses Sonntags, Ewigkeitssonntag.

Das wirft ein Licht darauf, wie wir als Christen zu den Verstorbenen stehen.

Abschied nehmen fällt schwer.

Aber mir hilft es, auf Gott zu vertrauen, der von Ewigkeit zu Ewigkeit da ist, für mich, für uns da ist.

Das bringt verstorbene Menschen nicht wieder zurück.

Aber in aller Trostlosigkeit fühle ich mich getröstet und gestärkt, auf Gott zu bauen, der sich seit Menschengedenken als mitgehender Gott erwiesen hat.

 

Dem Volk Israel ging er im Feuerschein voraus, als es den langen Weg von Ägypten durch die Wüste hin zum gelobten Land zu gehen hatte.

Wenn „Wüste“ als Bild für die Durststrecken des Lebens steht, dann wird auch jeder und jede von uns schon solche Wüstenzeiten durchgemacht haben und hoffentlich dann auch die Erfahrung:

Mir sind neue Kräfte zugewachsen, ich habe Gottes Begleiten erfahren.

Der Beter des 23. Psalms hat das bildreich ausgedrückt:

„Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir“.

Gott ist bei mir, der ich lebe.

Gott ist bei mir, wenn ich sterbe.

Gott bleibt bei mir, wenn dieses Leben zu Ende gegangen ist.

Er gibt Hoffnung über den Tod hinaus.

 

Von solcher Hoffnung erzählt schon die Bibel im Predigttext für den heutigen Sonntag, zu finden im Alten Testament beim Propheten Jesaja im 65. Kapitel, die Verse 17-25:

So spricht der HERR: Siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen,
dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.
Freuet euch und sei fröhlich immerdar über das, was ich schaffe.
Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude, und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk.
Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.
Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht.
Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen.
Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse.
Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen.
Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN und ihre Nachkommen sind bei ihnen.
Und es soll geschehen: ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.
Wolf und Schaf sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen.
Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.

 

Es ist unmöglich, liebe Gemeinde, diesen neuen Himmel und diese neue Erde so zu beschreiben, wie es ein Reisehandbuch täte.

Wir können nur in wagen Bildern von dieser neuen Schöpfung reden.

Davon, dass diese neue Welt bereits anbricht, dass sie in uns anfängt.

Das ist keine Vertröstung auf das Jenseits.
Es ist auch kein Appell, die Beine still zu halten und die Hände in den Schoß zu legen.

Es gilt, vom Ende her zu denken:

Wer die Hoffnung auf eine bessere Welt in sich tragen darf, der wird in dieser Welt für Verbesserung und mehr Menschlichkeit kämpfen wollen.

So will es Jesaja: seine Bilder sind zu den Zeitgenossen gesprochen in einer Sprache, die sie unmittelbar verstehen können, weil die Beispiele aus ihrer Zeit stammen.

Und dennoch geht es darum um das Gleiche, was wir Heutigen auch noch erleben: das Dunkle dieser Welt: es wird in Gottes neuer Schöpfung vergangen sein.

Es wird kein Leid mehr geben und keinen Schmerz.

Und mit dem Leid und dem Schmerz wird auch der Tod seine Macht verlieren.

„Als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt.“

Eine unglaubliche Aussage, bedenkt man, dass die Menschen damals im Schnitt keine 40 Jahre alt wurden und sehr viele Kinder bereits bei der Geburt oder in jungen Jahren sterben mussten.

Heute würde man diese Aussage so nicht mehr machen.

Ich persönlich gehöre auf jeden Fall nicht zu den Menschen, die sich darüber freuen, dass die Lebensaussichten immer länger werden.

Schon in wenigen Jahren – so heißt es – hätten wir die medizinischen Möglichkeiten, die Menschen weit über 100 Jahre alt werden zu lassen, allerdings müssten wir dann Erbgut verändern, Organe austauschen usw.

Ich meine, dies Streben nach künstlich verlängertem Leben gründet sich allein in der Vorstellung, man müsse von der irdischen Existenz alles erwarten, weil nach dem Tod nichts mehr käme.

Jesaja wählt diese Bilder, um uns mit der Frage nach dem „Warum“ zu konfrontieren.

Bei Gott gibt es kein sinnloses Leiden, keinen zu frühen Tod.

 

Es ist ja gerade ein Kennzeichen des Leides, wie wir ihm oft begegnen: das Sinnlose.

Wir tun uns schwer mit Erklärungen, warum der eine Krebs bekommt, obwohl er vielleicht sogar gesundheitlich vorbildlich gelebt hat;
warum ein kleines Kind sterben musste;
warum eine Naturkatastrophe Tausende Opfer fordert.

Wir Christen beharren sogar darauf:
wir werden keinen Sinn darin erklären können und keine Begründung liefern können, weil die Welt so ist, wie sie ist: von Endlichkeit geprägt und von Versagen und Schmerzen durchzogen.
Weil der Mensch sich von Gott entfernt hat, muss er leiden – bis in die Sinnlosigkeit hinein.

Wenn wir aber Gott schauen werden von Angesicht zu Angesicht, dann wird das Sinnlose endgültig wegfallen.

Wir werden verstehen und begreifen und die Ohnmacht, die uns im Leid überfällt wird verschwinden.

Davon ist auch das Materielle betroffen:

 

„Sie sollen nicht umsonst arbeiten“ schreibt Jesaja.

Dabei geht es nicht um das Anhäufen von Reichtümern, wenn wir unsere Arbeit tun – wohl aber es geht um einen gerechten Ausgleich: dass jeder das, was er zum Leben braucht, auch erhält.

Obwohl wir es wissen, verdrängen wir es trotzdem oft: Wir reichen Industrienationen leben auf Kosten der Entwicklungsländer.

Zu viele Menschen dort arbeiten hart, ohne dass sie davon leben könnten.
Ungerechtigkeiten, liebe Gemeinde, die aufhören werden in Gottes neuer Schöpfung.

Wie gesagt: keine Vertröstung auf das Jenseits:
Gott hat mit uns Lebenden noch großes vor!

Er braucht uns heute und morgen, um schon jetzt auf eine bessere Gerechtigkeit hinzuarbeiten.

 

Dabei lässt uns Gott nicht allein:

„Ehe sie rufen, will ich antworten“, sagt er.

Gott wird bei uns sein, so dass wir es direkt spüren und merken.

Suchen wir also Gott bei der Lösung der Probleme unserer Welt.

Lassen wir uns von Gottes Gedanken seiner Liebe, seines Friedens uns seiner Gerechtigkeit inspirieren.

Lieben wir unseren Nächsten, unseren Mitmenschen, wie uns selbst!

Bleiben wir zuversichtlich.

Im Blick nach vorne, wenn Gott alles vollenden wird:
„Wolf und Schaf sollen beieinander weiden.“

Die bekanntesten Gegner aus der Tierwelt werden in Frieden beieinander wohnen.

Auch uns wird der Friede Gottes dort zuteilwerden.

All der Hass und der Neid, der uns heute umtreibt, all die Heimtücke und Lüge, mit der wir zu kämpfen haben: all das wird ein Ende haben in Gottes neuer Schöpfung.

Aber auch im Blick schon auf das Heute:

 

Als Christen, liebe Schwestern und Brüder, haben wir ein Angeld dieser neuen Schöpfung bereits erhalten;
wir tragen sie als lebendige Hoffnung in uns.

Mit dieser Hoffnung können wir an unsere Toten denken und darin geborgen sein, dass sie schon weitersehen, als wir es jetzt können.

Mit dem hoffnungsvollen Blick nach vorne gehen wir mutig weiter auf unserem Lebensweg – auch, wenn er sich manchmal anfühlt wie ein Weg durch die Wüste.

Johannes Rau, unser ehemaliger Bundespräsident, hat kurz vor seinem Tod folgende Worte gesagt:

„Wenn Menschen meiner Generation mich fragen, was sie denn weitergeben sollten, dann sage ich ihnen dies: Sagt euren Kindern, dass euer Leben verdankt ist dem Lebenswillen Gottes.

Sagt ihnen, dass euer Mut geliehen war von der Zuversicht Gottes.

Sagt ihnen, dass eure Verzweiflung geborgen war in der Gegenwart des Schöpfers.

Sagt ihnen, dass wir auf den Schultern unserer Mütter und Väter stehen.

Sagt ihnen, dass ohne Kenntnis unserer Geschichte und unserer Tradition eine menschliche Zukunft nicht gebaut werden kann.

Sagt ihnen, dass wir ohne innere Heimat keine Reisen unternehmen können.

Denn wer nirgendwo zu Hause ist, der kann auch keine Nachbarn haben.

Und sagt ihnen zu guter Letzt, dass die stete Bereitschaft zum Aufbruch die einzige Form ist, die unsere Existenz zwischen Leben hier und dem Leben dort wirklich ernst nimmt.“

Amen.

 

Und der Friede Gottes, der bei euch wirkt als die größte Hoffnung von allen, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.