28.11.2021 - umarmt von der Sanftmut des Königs - Predigt am 1.Advent zu Mt. 21, 1-9 von Pfarrer R. Koller

Das Licht am Kranz kann nicht die Nacht erhellen,

doch soll es dir und mir ein Zeichen sein!

Es strahlt uns Gottes Glanz aus Finsternissen

und bricht in unsre dunklen Herzen ein.

 

Das erste Licht will uns zur Freude rufen,

so freuet euch im Herren allezeit!

Wie es die Hirten auf dem Felde hörten:

Gott selber tritt in unsre Dunkelheit.

Mt. 21, 1-9:

1 Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus

2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir!

3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.

4 Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9):

5 »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.«

6 Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte,

7 und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf und er setzte sich darauf.

8 Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.

9 Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

 

das sogenannte Goldene Tor Jerusalems liegt in der Nähe des Tempelplatzes. Zu Jesu Zeiten war es von der Burg Antonia, dem Sitz des jüdischen Vierfürsten und der Stadtverwaltung gut einsehbar. Ich kann mir vorstellen, wie an jenem Tage ein römischer Offizier oder ein Beamter des Herodes auf das Gewimmel am Goldenen Tor sah: Menschen legen ihre Kleider oder abgeschnittene Palmzweige in den Staub der Straße, sie jubeln und rufen "Hosianna" - Gottes Heil kommt. Der verheißene König ist da.

Eine laut rufende Menschenmenge ist den Mächtigen oft unheimlich. Und das umso mehr, wenn es da um einen König geht - den König eines Volkes, das unter der Gewalt seiner Besatzer seufzt. Das kann gefährlich werden. Da schaut man besser genau hin.

Aber wer kommt da? Die Menschenmenge teilt sich nicht für einen Streitwagen oder eine prachtvolle Kutsche. Da kommt auch niemand auf einem prächtigen Pferd. Da reitet einer auf einem geliehenen Esel. Rechts und links baumeln seine Beine herunter, seine Kleidung ist ärmlich. Einige kennen ihn als den Wanderprediger aus Galiläa, der seit einiger Zeit Aufsehen im Lande erregt und sich bei Vertretern der einflussreichen Kreise durchaus unbeliebt gemacht hat.

Für die Armen und Benachteiligten hatte er etwas übrig, das wusste man - und die waren es auch, die ihn in Jerusalem begrüßten und ihm ihr Hosianna zuriefen.

Es ist eine bunte Menge vor dem Goldenen Tor. Einige hatten dort ihre kleinen Handelswaren ausgebreitet, kauften und verkauften. Andere waren auf dem Weg zum Tempel. Eine große Schar von Bettlern wartete hier immer auf die Pilger, die nun, kurz vor dem Passahfest, nach Jerusalem zogen, um im Tempel zu beten. Schließlich war noch eine große Gruppe unter ihnen, die mit Jesus gekommen war und die Nachricht seiner Ankunft verbreitete.

An dem Tag, als Jesus durchs Goldene Tor in Jerusalem einzog, richteten sich große Hoffnungen der Menge auf ihn. Die Armen hofften auf eine Linderung ihrer Nöte. Die Unterdrückten hofften auf ein Ende der römischen Zwangsherrschaft, so mancher unter ihnen sicher auch auf Rache für den Mord an dem von vielen verehrten Täufer Johannes. Andere sahen das verheißene Reich des Messias kommen und Israel zum einstigen Glanz des Königreichs Davids zurückkehren. Und all diese Hoffnungen richteten sich auf ihn. Er sollte mit seinen Worten Taten tun. Viele waren schon bereit, ihren Platz einzunehmen und Aufgaben für Jesus auszuführen, wenn das Ergebnis den Erwartungen entsprach. Das sollte der Mühe wert sein.

 

Auch wir haben Erwartungen, für die wir in den nächsten Tagen und Wochen Zeit und Mühe investieren. Die Adventszeit ist für viele eine Zeit durchaus anstrengender Vorbereitungen auf das für sie schönste Fest des Jahres. Am Fest der Kinder wollen wir leuchtende Kinderaugen sehen, in denen sich die Kerzen des Weihnachtsbaumes und die Freude über Geschenke spiegeln. Am Fest der Familie wollen wir das Glück der Geborgenheit erleben und ohne häuslichen Streit in Frieden und Eintracht zusammen sein. Am Fest der Liebe wünschen wir uns die Nähe und das ungestörte Glück des Zusammenseins mit einem geliebten Menschen. - Ob sich alle diese Wünsche erfüllen werden? Und worauf kommt es wirklich an?

 

Jesus hat damals sehr bald die Erwartungen der Menschen am Goldenen Tor enttäuscht. Sein erster Gang galt dem Tempel, wo er Händler und Geldwechsler aus dem Heiligtum vertrieb. Hier predigte er täglich und erzählte den Menschen von Gott - seiner Großzügigkeit, seiner Barmherzigkeit, seiner verschwenderischen Liebe. Und er erzählte vom Kommen des Reiches Gottes jetzt, in seiner Person.

Doch es geschah nichts Spektakuläres, es geschah nichts von dem, was man doch schon jubelnd erwartet hatte. Vom Tempel ging Jesus nicht in die Burg Antonia, um die ungerechten Regenten von ihrem Thron zu zerren. Er erstürmte nicht die römische Wache, wies nicht die Besatzungstruppen aus der Stadt Gottes hinaus. Machtlos, wie er auf seinem geliehenen Esel erschienen war, blieb er.

Begeistert von ihm waren nur wenige, meist die, die mit ihm aus Galiläa nach Jerusalem gekommen waren, die Jünger. Wenige andere teilten ihre Freude, Menschen, die nichts anderes zu erwarten hatten und aufmerksam zuhörten, wenn von Gottes Reich die Rede war.

Die religiösen Autoritäten waren die am stärksten Enttäuschten. Jesus hatte für sie nur scharfe Kritik, stellte ihr Machtinteresse schonungslos bloß und überführte sie der Scheinheiligkeit.

Was wollte dieser Mann, der die Schwächen und Fehler der Mächtigen und Einflussreichen aufdeckte, sich den Armen und Verzweifelten zuwandte und doch in diesen Tagen nicht eine einzige Tat vollbrachte, um den ungerechten Zuständen ein Ende zu bereiten?

Fragen und Zweifel an diesem Jesus brachen auf - und die Enttäuschung wurde bald größer als die Begeisterung des Empfangs. Am Ende waren es die gleichen Stimmen, die am Goldenen Tor das „Hosianna" riefen, die schon wenige Tage später in das „Kreuzige" einstimmten.

 

Falsche Erwartungen werden enttäuscht. Ent-Täuschung bedeutet das Ende der Täuschung. Wer enttäuscht ist, ist eine Täuschung losgeworden und sieht danach vielleicht klarer.

Wer in Jesus den Wundertäter erwartet hatte, der schnell alles verändern würde, der wurde enttäuscht. Jesus redete von Gott und seinem Willen für die Menschen und er fragte danach, wie sie an diesen Gott glaubten und wie sie ihren Glauben lebten.

Wer in Jesus den König erwartete, der machtvoll im Lande durchgriff, der wurde enttäuscht. Dem Jünger, der Ihn mit dem Schwert verteidigen wollte, hielt er mit strengen Worten zurück und bat selbst sterbend noch für seine Henker.

Jesus brachte nicht schnelle Erfüllung für die Erwartungen der Menschen. Er brachte nur sich selbst. Beim Evangelisten Johannes lesen wir es auf den Punkt gebracht: „Ich bin das Licht der Welt - Ich bin das Brot des Lebens - Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben." Jesus spricht zu den Menschen von Gottes Liebe. Was diese Liebe Gottes bedeutet, zeigt er ihnen an seiner eigenen Person. Er ruft die Menschen zu sich, offenbart ihnen die Liebe ihres himmlischen Vaters und weist sie dann zueinander, um diese Liebe zu leben.

 

Wir gehen dem Weihnachtsfest entgegen - der Frohbotschaft, dass Gott in Christus Mensch geworden ist und dass er auch in uns Mensch werden will. Wie werden wir ihn empfangen?

 

Es gibt nicht nur die Weihnachtsfreude. Es gibt auch den Weihnachtskater. Soviel Erwartungen hegt man für das Weihnachtsfest - und trotzdem bleibt oft eine Leere zurück. Das Glück blieb aus, die Geborgenheit wurde vermisst, die Familienharmonie ist misslungen. Falsche Erwartungen führen zur Enttäuschung.

Was erwarten wir? Erwarten wir das Kind in der Krippe, das alle Jahre wieder kommt? Es liegt wahrscheinlich in einem Pappkarton auf dem Speicher und ist aus Holz oder Plastik. So mag auch unser Weihnachtsfest etwas Hölzernes bekommen.

Erwarten wir die Begegnung mit den Träumen unserer Kindertage? Dann wird es eine wehmütige Begegnung werden - „ach ja, das war einmal und ist nicht mehr." Erwarten wir den gewohnten Ablauf unseres Festes und seiner Traditionen? Dann wird es so, wie gewohnt vergehen und wir werden, wie gewohnt, nach dem Fest unsere Arbeit und unsere Mühen beklagen. Der Advent kündigt uns kein „Alle-Jahre-wieder-Christkind" an, keine Kinderträume und keine altgewohnten Traditionen. Mit dem ersten Sonntag im Advent heißt es bereits: Siehe, dein König kommt zu dir. Richten wir uns auf ihn ein?

Auf die Erwartung kommt es an. Auf die Vorbereitung kommt es an.

 

Denken wir daran, wie wir einen lieben Besuch erwarten. Wie kostbar wird uns das Zusammensein mit Menschen, die wir lange und sehnsüchtig erwarten müssen. Wir zählen die Tage und Stunden, bis wir endlich zusammen sind. Mit Vorfreude sehen wir dem Besuch entgegen, malen uns aus, wie es sein wird, wenn er da ist. Gerade wenn wir wissen, dass die Zeit des Zusammenseins uns zu kurz erscheinen wird, wird die Zeit des Wartens viel zu lange sein. Wir füllen sie mit allerlei Tätigkeiten, Vorbereitungen vielleicht, sorgen für eine warme Stube, hoffen auf eine ungestörte Zeit und stehen schon hinter der Tür, wenn der erwartete Besuch endlich kommt. Alle Äußerlichkeiten sind in dem Moment dann nicht mehr wichtig, wenn wir uns begegnen und in die Augen schauen, uns übereinander freuen, und alles austauschen, was uns am Herzen liegt.

Jesus Christus - so die Botschaft von Weihnachten - bringt uns die Liebe Gottes. Wie müssen wir diesen Besuch erwarten!?

Da ist nichts, was wir nur mit einem „Hosianna" nach außen rufen könnten, wenn es im Inneren nicht stimmt. Sollte der Mund etwas rufen, was das Herz nicht sagt? Da ist nichts, was wir an Äußerlichkeiten erwarten dürfen, wenn wir nicht mit einem verlangenden Herzen nach dem Ausschau halten, der von sich sagt: "Ich bin gekommen, damit sie das Leben in Fülle haben."

 

Für so manchen Besuch müssen wir unsere Wohnung aufräumen. Wer auf Jesu Kommen wartet, räumt sein Herz auf. Da wird nichts weggeschafft und verborgen, weil es vielleicht nicht vorzeigbar ist, weil es vielleicht vor Menschen nicht brav und anständig erscheint. Wer sein Herz für den kommenden Christus aufräumt, zeigt sich ihm so, wie er ist, so, wie Jesus uns schon kennt - und lässt sich von der Sanftmut dieses Königs umarmen!

Ein ganzes Leben soll sich für den Herrn öffnen, der sein Leben für uns gab.

Dass wir uns dazu bereiten, ein jeder für sich und alle gemeinsam hier im Gottesdienst, dass wir uns so vorbereiten auf die Heilige Nacht und die Ankunft unseres Herrn, das ist mein Wunsch für uns alle und meine Bitte an Gott in diesem Gottesdienst.