27.03.2022 - Trost - Predigt am 4. Sonntag der Passionszeit von Pfarrer R.Koller
Heute ist der 32. Tag der russischen Invasion. Dieser brutale Überfall auf die Ukraine hat uns alle fassungslos gemacht. Mitten in eine scheinbar friedliche Zeit hinein – zumindest für uns in Europa! – wird die Bevölkerung eines Landes überfallen, getötet, misshandelt, werden Wohngebiete, Krankenhäuser und Kindergärten in Schutt und Asche gelegt. Millionen von Menschen sind auf der Flucht wie seit dem 2 Weltkrieg nicht mehr. Tausende Menschen wurden bereits getötet, zehntausende verletzt.
Für uns, die wir scheinbar weit weg in einem friedlichen Land leben, ist dies alles nicht vorstellbar. Selbst die schrecklichen Bilder von zerstörten Häusern und explodierenden Bomben, die uns über die Medien erreichen, sind und bleiben eben für uns nur das, was sie eben sind: Bilder. Das ungeheure Leid, das sich dahinter verbirgt, der Schmerz und die Verzweiflung, die damit verbunden sind, können wir kaum ermessen, geschweige denn sie in ihrer Tiefe mitfühlen.
Erst wenn wir Geflüchteten begegnen, erst wenn sie uns von ihrem und dem Leid ihrer Familien unmittelbar erzählen, können wir vielleicht erahnen, was dort verloren und erlitten wurde - und gelitten wird!
Und erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges greift Angst wieder um sich! Kein Wunder!
Wenn russische Militärs schon bereit sind, Bomben auf Krankenhäuser und Kindergärten zu werfen, eine Stadt wie Mariupol dem Erdboden gleichzumachen und gewissenlos Kriegsverbrechen und Völkermord begehen, dann fragt man sich beinahe zwangsläufig, wie weit der Verbrecher Vladimir Putin noch bereit ist zu gehen - vor allem dann, wenn er irgendwann mit dem Rücken zur Wand steht!
Seine Drohgebärde mit dem atomaren Feuer hat die Angst vor einem atomar geführten Krieg plötzlich wieder real gemacht. Ja, davor fürchten auch wir uns.
Was kann uns die Heilige Schrift an einem Sonntag wie diesen sagen? Was ist Gottes Ruf an seine Kirche in dieser Situation? Und was ist seine Hilfe?
Unser heutiger Predigttext ist ein Abschnitt aus einem Brief des Apostel Paulus an die Christen in Korinth (2. Kor. 1. 3-7):
3 Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes,
4 der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott.
5 Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus.
6 Haben wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden.
7 Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben.
Unser Predigttext beginnt nicht mit dem Weltuntergang, sondern mit dem Lob Gottes „Gelobt sei Gott!“ Er endet auch nicht mit der Katastrophe, sondern spricht vom Trost „wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben.“
Wie kann das gelebt werden?
Zunächst einmal in einer tiefen Nüchternheit und Klarheit gegenüber der Wirklichkeit. Wirklichkeit wird nicht verdrängt oder verleugnet, nicht idealisiert oder verteufelt, sondern sie ist, wie sie ist!
Paulus erläutert das an seinem eigenen Leben: Er wird in Ephesus zum Tode verurteilt. Er muss in der Arena mit wilden Tieren kämpfen. Mit Mühe und Not entrinnt er dort dem scheinbar sicheren Tod (1. Kor 15,32; 2. Kor 1,8). Ein anderes Mal erzählt er, hätten ihn seine Gegner halbtot gesteinigt. Da sie glaubten, er sei tot, hätten sie ihn vor den Toren der Stadt liegenlassen (Apg. 14,19-20). Einmal ist er schiffbrüchig, aber er überlebt (Apg. 27,43f). Ja, so kann das Leben sein! Es kann uns allerlei widerfahren, das Schlimmste auferlegt werden. So nüchtern sieht der Apostel sein eigenes Leben. Er beklagt sich nicht darüber, klagt Gott nicht an, warum ausgerechnet er das erleben müsse, wo er doch der letzte der berufenen Apostel sei. Vielmehr sieht sich Paulus und sein Leben in einer tiefen Gemeinschaft mit Christus! Denn Bedrängnis, Leid und Tod ist auch Christus widerfahren!
Leiden ist wahrlich nichts Erstrebenswertes, nichts, das man suchen soll. Leiden ist schlicht und einfach schmerzhafte Wirklichkeit.
Die Frage also ist: Wie geht man mit diesen Bedrängnissen und dem Leid um? Zerstört es mich, macht es mich ohnmächtig, hilf- und hoffnungslos? Für Paulus ist klar: Hier, gerade hier, zeigt sich die Kraft des christlichen Glaubens: „In dem allem überwinden weit wir durch den, der uns geliebt hat“ (Röm 8,37).
Überwinden heißt darauf zu vertrauen, dass der Vater Jesu Christi, der Gott allen Trostes, nicht Tod und Zerstörung will, sondern Leben und Hoffnung. Das ist sein Wille für mein Leben, sein Wille für unser aller Leben, für das Leben der Menschen in der Ukraine, in Russland und in aller Welt. In Jesus Christus hat er uns das ein für alle Mal gezeigt, dass er das kann und dass er das auch tut. Ja, Gottes Wille ist Leben und Zukunft für diese Welt. Es ist seine geliebte Welt, die er nicht seinen geschworenen Feinden, dem Tod und dem Bösen anheimgeben wird. Die Auferstehung Jesu ist dieser Sieg über den Tod. Und am Ziel siegen nicht die Knechte des Bösen, sondern die Kinder des Lichtes.
Noch ein weiterer Gesichtspunkt: Paulus erzählt von den Gefahren, die er durchlebt hat, nicht, um sich besonders wichtig zu machen. Er erzählt aber auch nicht davon, dass er „Glück gehabt hätte“ oder dass „ein gnädiges Schicksal“, sein Leben erhalten hätte. Nein! Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, selbst ist es, der ihn gerettet hat aus aller Bedrängnis! Er selbst ist es gewesen, der ihm das Leben erhalten hat! Das ist der Trost, der Paulus widerfahren ist, und den er gern an die Gemeinde in Korinth weitergibt: Gott lässt dich nicht! In seinen Augen bist du wertvoll. Sei dir gewiss: Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand!
Haben wir das in diesen Tagen nicht auch erlebt, wie das Leid, das so vielen Menschen in der Ukraine zugefügt wurde, eine Welle der Gemeinschaft und der Solidarität in ganz Europa ausgelöst hat? Leisten nicht viele Menschen in Polen, in der Tschechei, in der Slowakei, in Rumänien, Moldawien und viele in Deutschland und anderswo Großartiges?
Leid kann Gemeinschaft herstellen, wenn es geteilt wird. Denn wir glauben an den Gott, der hinabführt ins Totenreich und wieder herauf! Wir glauben an den Gott der größer ist als die Mächtigen dieser Erde! Wir glauben an den Vater Jesu Christi, der größer ist als der Tod und der den Tod überwunden hat!
Wir gehen in dieser Passionszeit auf Ostern zu und das bedeutet: Kein Rückzug in eine heile Welt! Aber auch keine Angst und Panik vor dem Schlimmsten! Sondern: Getrost und zuversichtlich in die Zukunft schauen, nüchtern und wachsam, im festen Vertrauen auf den Gott, der bei uns sein wird gestern, morgen und vor allem heute.
Nein, wir können uns die Welt nicht machen, wie sie uns gefällt. Das kann nur Pippi Langstrumpf. Aber wir können beten und hoffen, wir können handeln und die Zeit nutzen - nicht für uns selbst, wohl aber für das heraufziehende Reich Gottes und die Nächsten, die uns anvertraut sind. Wir können so arbeiten und uns einsetzen, dass schon jetzt etwas sichtbar wird von dem, was Gott versprochen hat.
Was das konkret heißt?
Helfen, wo wir können! Sach- und Geldspenden sind dringend nötig. Wo in ihrer Nachbarschaft in ihrem Freundeskreis etwas organisiert wird: Machen Sie einfach mit! Jede Hand wird gebraucht! Selbst wenn das nur ein wenig dazu hilft, die eigene Ohnmacht auszuhalten.
Am Ausgang der Kirche finden Sie von jetzt ab zwei Körbchen, mit denen wir um Ihre Spende bitten: das eine ist wie gewohnt für unsere Gemeinde. Im anderen Körbchen sammeln wir Geld für Hilfsgüter in die Ukraine.
Lasst uns von Herzen beten für die Menschen in der Ukraine und in Russland, für alle, die von dieser fürchterlichen Katastrophe betroffen sind, direkt oder indirekt! Unsere Ohnmacht braucht eine Sprache, unser Entsetzen und unsere Hilflosigkeit einen Ausdruck. Auch das ist tröstlich zu wissen für alle Menschen aus der Ukraine und in der Ukraine: Hier beten Menschen für sie, denken an sie, geben dieses Land nicht auf.
Lasst uns sehen und erkennen, wo wir gebraucht werden. Trost hat es mit Worten und Taten zu tun, die wirklich getan werden. Trost hat es mit Menschen zu tun, die man drückt und denen man den Kühlschrank füllt.
Und lasst uns als Christen gemeinsam unsere Stimme erheben und von Gottes bereits heraufziehender neuer Welt sprechen - seinem Reich, das weder Wolkenkuckucksheim noch apokalyptisches Inferno ist, sondern eine Erde, auf der Frieden und Gerechtigkeit für alle herrschen wird.
Lasst uns Gottes Reich in Wort und Tat als lebendige Zeugen verkünden! Lasst es uns tun wie die kleinen Vögel: Noch vor Anbruch des Tages singen sie schon von Gottes anbrechendem Morgen.
Wie ja auch unser heutiger Predigttext anhebt mit den Worten: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes“
Das ist ein Lied in dunkler Nacht, das auf Gottes neuen Morgen vertraut. Im Singen kommt die Hoffnung und der Trost zur Sprache, den Gott uns schenkt: Dass Gott ein Gott des Lebens ist und die Finsternis und das Böse nicht siegen werden!
Ein solch festes Herz voller Vertrauen gebe Gott uns allen!