17.04.2022 - Heilsames Erschrecken - Predigt zu Mk. 16, 1-8 am Ostersonntag von Pfarrer R. Koller

Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. 2 Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. 3 Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? 4 Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß.
5 Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. 6 Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. 7 Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. 8 Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.

 

Was für ein Schrecken, wenn auf einmal wahr ist, was wir glauben! Was für ein Schrecken, wenn Gottes Wirklichkeit uns anfällt. Wenn sie unerwartet hereinbricht in unser Leben, in unsere Trauerrituale, in unsere Gefühle von schmerzhaftem Verlust und von sich Dreinschicken in das - vermeintlich - Endgültige.

Ja, Ostern ist erschreckend! Ostern ist aufsässige Opposition, ist beunruhigender Protest! Ostern setzt so etwas wie Kernenergie frei, die Kernenergie Hoffnung!

Da denken wir, wir schicken uns drein ins Unabänderliche: „Tot ist tot.“ Und plötzlich ergreift „es“ uns.

Da tun wir, was man zu tun pflegt in solchen Fällen. Und plötzlich überkommt es uns. Da überkommt uns Gott. Erschütternd.

Und wir glauben, was wir nicht zu hoffen wagten.

Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier.“

Nur „Gekreuzigter“ gilt hinfort nicht mehr! Der vom Kreuz ist von den Toten auferweckt worden!

Der Gekreuzigte ist hinfort immer zugleich der Auferstandene. Es gibt den einen nicht mehr ohne den anderen! Und wo er dir in deinem Leid und Tod nahe ist, da ist durch ihn der andere immer mit dabei: als jener Funke von Widerspruch, dieser Tropfen Leben, dieser Keim Gott, der jederzeit aufbrechen kann.

Es ist anders als wir dachten. Es ist so, wie wir kaum zu hoffen wagten.

Wir dachten: Tot ist tot. Es ist nicht so! Wir dachten: Ende. Aus. Aber es ist anders!

 

Und auf einmal kippen die ganzen Jesusgeschichten in diese Richtung:

Die Leute dachten: Besessen.

Er aber sagt: Nein, erlösungsbedürftig.

Die Leute sagten: Sünderin.

Er aber sagt: Gottes geliebte Tochter.

Die Leute dachten: Nur ein Kind.

Er aber sagt: Solchen gehört das Reich Gottes.

Die Leute sagten: Unsere Feinde.

Er weiß, es ist anders, und sagt: Liebt sie.

Wir denken: Überflüssig. Er sagt: Kostbar!

Wir denken: Gescheitert.

Er lehrt uns: So sehen Sieger aus.

 

Es ist anders, als wir dachten. Es ist so, wie wir kaum zu hoffen wagten. Erschreckend heilsam!

Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.“

Wie soll man auch davon sprechen, wenn Gottes Wirklichkeit einen anfällt? Wie kann man so tiefgreifende Erfahrungen überhaupt in Worte fassen?

„Ihn zu fassen ist fast unsere Freude zu klein“, schreibt Hölderlin. Um wie viel mehr dann erst unsere Sprache!

Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.“

Mit dieser Wahnsinns-Wahrheit von der Auferweckung kann man sich eigentlich nur lächerlich machen. So erzählt es dann ja auch der nachgetragene Schluss des Markusevangeliums (Mk. 16, 9ff) und vor allem das Lukasevangelium.

Man glaubte den Frauen einfach nicht! Man nahm sie nicht ernst. Noch nicht einmal unter den Jüngern.

Der Nobelpreisträger J.M. Coetzee erzählt in einem seiner Romane („Der Junge. Eine afrikanische Kindheit.“) von einem Jungen, der seine Ohren verschließt und den Triumphschrei unterdrückt, den die Osterbotschaft ihm unwillkürlich entlocken würde. Er unterdrückt den Triumphschrei, um sich nicht lächerlich zu machen. Seine Furcht ist die gleiche, wie die Furcht der Frauen am Grab Jesu.

 

Und wir? Fürchten wir auch die Wucht der Botschaft? Verschließen wir die Ohren wie der Junge? Fürchten wir auch, uns lächerlich zu machen, und verschließen den Mund? Dabei wartet die Welt in all ihrem Jammer vielleicht insgeheim auf diesen österlichen Triumphschrei.

Ich wage es auch nicht, zu schreien. Obwohl ich es mir befreiend schön vorstelle.

Aber ich kenne eine feine Form des Triumphschreis. Das sind für mich die ersten Töne der Osterfanfare „Christ ist erstanden“. Sie erschüttern Mark und Bein. Einmal habe ich es erlebt, dass ein Posaunenchor auf dem Friedhof angesichts von Tod, Trauer und Vergänglichkeit diese Fanfare anstimmte. Es hat mich zutiefst berührt.

Die Welt wartet auf Ostern! Ja, die ganze Kreatur seufzt und sehnt sich mit uns nach der Erlösung!

Darauf will ich nicht verzichten. Ich will - um Vergänglichkeit, Abschiede und Tod wissend - diesen Triumphschrei des Lebens hören.

Und will darin einstimmen, wenn es geht.

„Er ist auferstanden. Er ist nicht hier.“

Ich will gerne erschrecken, so dass die Botschaft nicht allein im Kopf stecken bleibt, sondern ins Mark geht.

 

Und die Frauen „gingen hinaus und flohen von dem Grab“.

Da muss man fliehen, rennen, keuchen. Die Energie will ja irgendwo hin!

„… denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen.“

„Entsetzen“ – das griechische Wort heißt „ekstasis“. Hören Sie etwas? Genau! Ekstase ist das!

„Entzücken, Begeisterung, Schrecken“ klärt mich das Lexikon auf. Wörtlich „Aus-Sich-Heraustreten“. Und weiter: „jede Verrückung oder Entfernung von einer Stelle, vorzüglich der Seele“.

Eigentlich muss man sagen: Die Frauen sind verrückt im schönsten Sinne des Wortes. Denn ihre traurigen Seelen sind dem Wortsinne nach „ver-rückt“ worden ins Entzücken. Vom Tod ins Leben. Auferweckt. Nicht weniger.

Zittern, Furcht und Schweigen der Frauen haben nichts mit Unglauben zu tun, wie manche Ausleger erklären. Vielmehr zeigt sich darin die bis ins Mark gehende Verwirrung, Erschütterung und zugleich Seligkeit der Frauen. Noch einmal Hölderlin: „Ihn zu fassen ist fast unsere Freude zu klein.“

Aber dies sollen wir heute wissen: Der, der Jesus auferweckt hat, der wird auch uns auferwecken! Die Botschaft, die die Frauen in Ekstase versetzt hat, greift auch nach unseren Herzen. Auf dass wir österlich verrückt werden!

 

„Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.“

Gott sei Dank ist es dabei nicht geblieben. Sonst säßen wir heute nicht am Osterfest hier in der Kirche.

Nach dem Markusevangelium sind die Frauen zu dritt. Drei Frauen, die so etwas miteinander erlebt haben, bleiben nicht stumm. Undenkbar!

Wie sie auf dem Weg zum Grab Jesu miteinander sprachen, wie sie die Trauer geteilt haben und die Sorge „Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?“, so teilen sie nun die Ekstase, die Begeisterung, die österliche Verrücktheit.

Sie werden Worte suchen. Gebrechliche, stammelnde Worte werden es zunächst sein; mehr Fetzen als Vortrag. Aber diese Worte werden auf die Sehnsucht vieler Herzen treffen.

Und sie werden auf Menschen treffen, die es ähnlich erlebt haben. Dieses erschreckende Auferstehen.