18.04.2022 - Vom Freudenmahl Gottes - Predigt zu Lk. 24. 13-35 und Jes. 25. 6-9 am Ostermontag von Pfarrer R. Koller
13 Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa zwei Wegstunden entfernt; dessen Name ist Emmaus. 14 Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. 15 Und es geschah, als sie so redeten und sich miteinander besprachen, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. 16 Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.
17 Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. 18 Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist? 19 Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem Volk; 20 wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. 21 Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. 22 Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, 23 haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. 24 Und einige von uns gingen hin zum Grab und fanden's so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.
25 Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! 26 Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? 27 Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war. 28 Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen. 29 Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.
30 Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen. 31 Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen. 32 Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete? 33 Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; 34 die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen. 35 Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, als er das Brot brach.
Zwei Männer sind unterwegs. Zwei Verlierer. Alles haben sie verloren. Ihre Hoffnung, ihren Glauben, ihre Freude, fast hätten sie ihr Leben verloren, wären sie nicht geflohen - und haben dabei vielleicht ihren Stolz verloren. Es scheint, als würden sie ihr Brot zukünftig nur noch unter Tränen essen können, als würde jeder Schluck Wein ihnen von nun an in der Kehle brennen, weil er nur daran erinnert, wie er geschmeckt hat, als sie mit Jesus zusammen gegessen und getrunken haben. Als sie noch Hoffnung hatten.
Ruhig ist es um sie, es ist, als würde die Welt stillstehen. Wie in einem Nebel bewegen sie sich, hinter einem Tränenschleier verborgen verschwimmt die Welt um sie herum. Schritt für Schritt entfernen sie sich von Jerusalem.
Fort von Zion, der heiligen Stadt, die zur Stadt des Terrors geworden ist. Fort vom Ölberg und vom Berg Golgatha, fort von den Hügeln des Schreckens hinunter nach Emmaus.
Nur die Stimmen der beiden Männer durchbrechen den Klang der Stille, ihre traurigen Worte, die sich nur um das eine drehen: den Tod. Das Ende. Die verlorene Hoffnung.
Wo sollen sie wieder anknüpfen? Überall nur abgeschnittene, lose Enden.
Immer im Kreis dreht sich auch ihr Gespräch, sie haben den Faden verloren, den roten Faden ihres Lebens und ihrer Gedanken.
So gehen sie, der Klang ihrer Schritte verliert sich in der Stille.
Da ertönt, aus dem Nichts, auf einmal ein neuer Klang. Eine neue Stimme. Neue Worte, und doch schon uralt. Da ist einer. Einer, der fragt, der zuhört - und einer, der helfen kann. Helfen, lose Enden zu verknüpfen mit den Worten der Heiligen Schrift. Vielleicht auch mit diesen aus dem Buch des Propheten Jesaja, Kap. 25:
„Der Herr Zebaoth wird auf diesem Berge allen Völkern ein fettes Mahl machen, ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist. Und er wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen, mit der alle Völker verhüllt sind, und die Decke, mit der alle Heiden zugedeckt sind. Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der Herr wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der Herr hat’s gesagt. Zu der Zeit wird man sagen: ‚Siehe, das ist unser Gott, auf den wir hofften, dass er uns helfe. Das ist der Herr, auf den wir hofften; lasst uns jubeln und fröhlich sein über sein Heil.‘“
Ein herrlicher Klang breitet sich aus.
Frieden unter den Menschen, ein Freudenmahl auf dem Berg Zion…
Keine Decke der Trennung und der Feindschaft wird mehr sein unter den Menschen, keine Tränen, kein Schmerz und kein Geschrei! Eine Gemeinschaft der Hoffnung. Großmut und Weite herrschen - alle dürfen kommen, umsonst. Niemand muss etwas bringen. Ein großes Fest des Lebens, und der Tod wird nicht mehr sein, und er selbst, Gott, wird bei ihnen sein. Verschlungen wird er, der Tod, der große Verschlinger, vom Leben.
Das klingt schön - zu schön, um wahr zu sein.
Vielleicht später, wenn ich tot bin. Dann vielleicht. Aber nicht jetzt.
Doch, sagt der Prophet Jesaja.
Genau jetzt, sagt Jesus. Hier, in diesem Augenblick! Der Tod ist verschlungen, jetzt, in diesem Moment.
Verschlungen ist er, der nach so viel mehr giert als nach toten Menschen. Er giert nach den Lebenden. Er giert danach, uns hoffnungslos zu machen. Er giert danach, uns zu isolieren. Er giert danach, uns uns selbst zu überlassen und niemandem sonst.
Der Tod giert nach Feindschaft unter den Menschen, nach leblosen Beziehungen, nach schattenhaftem Dasein. Danach, dass sich die Decke der Freudlosigkeit und der Orientierungslosigkeit über alles legt und das graue Tuch des Neides und der Eigensucht unser Leben zudeckt - diese mottenzerfressenen Tücher, aus denen sich der Hass nährt, die Gleichgültigkeit und das ewige Ringen darum, immer der Beste sein zu müssen. Die Gier des Todes frisst auf. Sie hinterlässt nichts Gutes.
Wir aber sind geladen zu einem Festmahl, das Appetit macht auf ein Leben in Fülle. Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist. Ihr, die ihr an Ostern nicht wisst, wohin mit der ganzen Schokolade, ebenso wie ihr, die ihr nicht wisst, woher wenigstens ein bisschen Brot kommen soll. Ihr, die ihr am liebsten niemanden um euch haben würdet, genauso wie ihr, die ihr vor Einsamkeit verkümmert. Wir alle sind eingeladen zu einem Mahl, das niemandem den Appetit verdirbt, sondern Appetit macht auf mehr!
Mehr Freude, mehr Freiheit, mehr Gerechtigkeit. Appetit auf Frieden unter den Völkern. Appetit darauf, dass alle satt werden auf dieser Erde.
Und Appetit darauf, dass das, was mir schwer auf der Seele liegt und die Luft zum Atmen nimmt, gelüftet wird. Dass die schwere Decke der Angst, nicht genügen zu können, weggezogen wird. Klare Himmelsluft, die mich tief durchatmen lässt und mich belebt. Ein freier Blick auf mich selbst, unverstellt von Angst oder Scham. Ein Blick, der mich auch meine Abgründe sehen lässt, alles das, was mir selbst und anderen das Leben schwermacht. Heilsames Erschrecken vielleicht auch darüber, welche Tode ich billigend in Kauf nehme. Eigene und fremde.
Die weggezogene Decke, sie eröffnet auch den Blick darauf, dass wir aufstehen müssen gegen den Tod und seine Schatten in unserer Welt. Gegen eine Wirtschaft, die für ihr Wachstum Kindern die Chance nimmt, eine Kindheit zu haben. Gegen eine Politik, die für den eigenen Wohlstand erträgt, dass Menschen in Massen im Mittelmeer immer noch ertrinken. Gegen Ideologien, die sich um jeden Preis Macht erkämpfen, auch mit Mitteln brutaler Gewalt.
Das Freudenmahl Gottes ist nicht nur ein ferner Traum. Weltfremd und utopisch. Kein Bild nur für Fülle im Geist und Freude im Glauben.
Das würde wohl die freuen, die am liebsten nur für sich selbst sorgen. Die eine Decke über ihre Augen legen, um nur sich selbst zu sehen. Damit sie keine Verantwortung mehr spüren müssen für die, die an Hunger und Durst sterben in unserer Welt.
Das würde auch die freuen, die uns weismachen wollen, es komme nur auf die Seele an, der Leib spiele keine Rolle. Oder auch die, die mit dem Christentum nichts anfangen wollen, weil es leibfeindlich sei. Nein, unsere Religion ist nicht leibfeindlich. Im Gegenteil. Unendlich leibfreundlich ist der lebendige Gott.
Davon kündet Jesaja. Davon erzählt Lukas. Dieser Gott, der sich in Brot und Wein offenbart, kann nicht wollen, dass Menschen hungern und dürsten nach Brot und Gerechtigkeit. Dieser Gott, der seinen Sohn in die Welt hineingeboren sein lässt, will, dass unser Leben ganz und heil ist. Und vielleicht erzählt darum Lukas auch von der Auferstehung Jesu so, wie er es tut. Als Auferstehung Jesu mit seinem ganzen Leib, der doch zugleich so ganz fremd ist. Weil Gott will, dass weder unser Leib noch unsere Seele Schaden nehmen durch die Todesschatten, die unser Leben bedrohen.
Max Frisch hat einmal geschrieben: „Erst wenn das Grässliche inbegriffen ist, beginnt die wahre Erlösung.“
Unser Gott ist hindurchgegangen durch das Grässliche, er hat den Tod erlitten. Gott hat den Tod nicht gierig aufgefressen und verdaut, ohne etwas übrig zu lassen. Gott hat den Tod zu sich genommen. Damit er selbst der Herr sei über die Lebenden und die Toten und niemand sonst. Von heute an ist der Tod in Gottes Gewalt.
Die Decke ist gelüftet, mein Blick ist frei. Frei auf mein Elend und frei auf mein Heil. Frei, um die Hand anzuschauen, die die Todesschattendecke meines Lebens fortzieht und mich neu und tief durchatmen lässt.
Und die mir sanft meine Tränen fortwischt, die ich weine um mich und diese Welt.
Die, auch wenn es noch so wehtut, mich hält und mich aushält.
Und eine Stimme, die sagt: Es ist gut. Ich bin da. Nicht aus deiner Kraft, sondern mit meiner Kraft sollst du getröstet sein. Ich helfe dir. Ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.
Den Jüngern brennt das Herz in der Brust. Auf dem Weg nach Emmaus - unterwegs zu dem Ort, wo einem warm wird - beginnen sie bereits zu ahnen, dass ihr Weg eine neue Richtung bekommen wird. Ihr Tränenschleier hat sich gelüftet. Sie haben Appetit bekommen, Appetit auf Gemeinschaft. Appetit auf Brot und Wein. Einen Appetit, von dem sie dachten, er sei ihnen auf ewig vergangen. Und so tun sie genau das Richtige, das in diesem Moment einzig Wahre: Sie laden den Fremden zum Essen ein, zur Gemeinschaft. Und unverhofft wird ihr Hunger gestillt. Der Fremde bricht das Brot. Er spricht den Segen. Und von einem Augenblick auf den anderen wird das karge Abendmahl zum endzeitlichen Freudenmahl. Hier und jetzt. Worte erklingen. Vertraute Worte, verloren geglaubte Worte:
„Mich hat herzlich verlangt, dies Passahlamm mit euch zu essen, ehe ich leide. Denn ich sage euch, dass ich es nicht mehr essen werde, bis es erfüllt wird im Reich Gottes. Und er nahm den Kelch, dankte und sprach: Nehmt ihn und teilt ihn unter euch; denn ich sage euch: Ich werde von nun an nicht trinken von dem Gewächs des Weinstocks, bis das Reich Gottes kommt.“
Es ist da. Jetzt. Gottes Reich. Die Tränen sind fortgewischt. Der Weg ist frei. Und die Männer rennen los. So schnell es geht. Zurück dorthin, wohin sie nie wieder gehen wollten. Hinaus in die Nacht, um von der hellen Morgensonne der Auferstehung zu erzählen und das Licht der guten Botschaft zu verbreiten. Bewegt und voller Freude machen sie sich auf um zu verkünden: Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja.