15.05.2022 - "Worum geht's?" - Predigt zu Kolosser 3,12-17 am Sonntag Kantate (Pfr. Fischer)

Liebe Gemeinde,

was bestimmt unser Leben?

Treffen sich zwei Konfis nach ihrer Konfirmation - Entschuldigung - ich meine natürlich zwei Konfirmierte.

Die erste Frage, die gestellt wird, lautet: „Wie viel Geld hast du denn zur Konfirmation bekommen?“

Fast kein Mensch fragt: Wie war denn der Kuchen? Was hat die Tante gesagt? War der Freund deiner Schwester auch da? Haben sie sich auch alle gut amüsiert? Wie war das Gespräch im Kreis der Familie?

 

„Wie viel Geld hast du denn zur Konfirmation bekommen?“

So wird vermutlich bei den meisten der Konfirmierten die erste Frage lauten.

Darum geht's bei den meisten: ums Geld.

Es geht ums Kaufen, ums Haben, nicht ums Sein.

Das ist eine längst in Vergessenheit geratene Sache.

Wer ich bin, hängt nicht selten von dem ab, was ich habe, was ich zeigen kann, was bei anderen Begehrlichkeiten weckt ...

 

Kaum ein Erwachsener würde bei derselben Konfirmationsfeier fragen:

Was verdienst du heute eigentlich?

Mit wie viel Geld musst du denn klarkommen?

Unter Erwachsenen gilt: über Geld spricht man nicht.

Nicht, weil es nicht von Interesse wäre, sondern weil es peinlich ist, mit weniger als das Gegenüber auskommen zu müssen.

Dass es auch bei uns Erwachsenen meistens ums Geld geht, wird deutlich, wenn man die Zeitung aufschlägt oder die Meldungen über Finanz- und Schuldenkrise, Steuererhöhungen, Sonderabgaben, etc. pp im Fernsehen verfolgt.

 

Was bestimmt unser Leben?

Das ist die Frage, um die es nicht nur bei der Konfirmation geht.

Was bestimmt unser Leben?

Was braucht ein Mensch für sein Leben?

Und welche Rolle spielen dabei die anderen?

Wie ist das Miteinander gestaltet?

Was ist wichtig im Blick auf Arbeit, Familie, Zukunft?

Welches Interesse habe ich am Leben anderer Menschen?

 

Was, liebe Gemeinde, antwortet ihr auf die Frage?

Was braucht ein Mensch heute - Ihrer Meinung nach?

Ellenbogen, Durchsetzungsvermögen, Macht ...?

Wie muss der Mensch von heute beschaffen sein? Rücksichtslos, auf seinen Vorteil bedacht, zielorientiert, sicher im Auftreten, ohne Zweifel, gefühllos ...?

So etwas sagen Sie nicht?

Nein!? Wirklich nicht?

Folgende Geschichte kann sehr schön deutlich machen, wie es auch unter Freunden zugehen kann.

 

Zwei Freunde waren im Urlaub in den Rocky Mountains wandern.

Als sie sich so ihren Weg durch die Wälder bahnten, stand da plötzlich in einiger Entfernung ein riesiger großer Grizzly vor ihnen.

Und dieser Grizzly war sichtlich wütend.

Und es war ganz klar, dass er sie angreifen würde.

Blitzschnell setzte sich der eine der beiden Freunde auf den Boden, riss sich die schweren Wanderstiefel von den Füßen, nahm ein paar Laufschuhe aus seinem Rucksack, zog sie an und schnürte sie eilig zu.

Das ging wirklich in Sekundenschnelle!

Sein Freund stand daneben und beobachtete abwechselnd ihn und den Bären.

„Sag mal“, sagte er verwundert, „glaubst du wirklich, dass du in der Lage bist, mit diesen Schuhen vor diesem Bären davonzurennen?“

„Nee“, sagte der andere. „Ich muss auch gar nicht dem Bären davonrennen. Ich muss nur schneller sein als du!“

 

Eine unglaubliche Geschichte.

Mit der Wirklichkeit hat das doch bestimmt nichts zu tun, oder?

Wie lauten denn die Sätze, die unsere Jugendlichen auch von uns heute zu hören bekommen?

„Du musst dich selbst behaupten, sonst gehst du unter.“

„Zeig Selbstbewusstsein, lass dir nicht die Butter vom Brot nehmen.“

„Es gibt Momente, da musst du deine Ellbogen einsetzen.“

„Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt.“

„Willst du nach oben, musst du manchmal nach unten treten.“

Oder wie haben es die Prinzen einmal gesungen: „Du musst ein Schwein sein in dieser Welt, ein Schwein sein. Du musst gemein sein in dieser Welt, gemein sein.“

Denn die Ehrlichen sind am Ende die Dummen, die Braven sind die Verlierer, die zieht man über den Tisch, die nimmt man nicht ernst.

„Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin.“ – auch ein so ein Spruch.

 

Nicht nur in den Himmel, sondern überall hinkommen ist der Wunsch des Menschen.

Nach Möglichkeit der/die Erste sein.

Nur nicht verlieren, nur nicht zurückstehen müssen.

Erfolg haben - um jeden Preis.

Das ist die Botschaft einer sogenannten „perfekten“ Welt.

Nur noch sich selber sehen und sich um die eigene Achse drehen.

Das Ziel des Lebens entspricht weitgehend der eigenen Selbstverwirklichung.

Ein Leistungsdruck, dessen Kurve steil nach oben zeigt, Verluste produziert, Versagensängste nach sich zieht ...

Eine Lebensphilosophie, die längst auch in unseren Kinderzimmern angekommen ist.

Welches Kraut ist dem gewachsen?

Wer oder was vermag von diesem Zwang zu befreien?

 

Paulus schreibt seiner Gemeinde in Kolossä im 3. Kapitel, die Verse 12-17:

(12) So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld;

(13) und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!

(14) Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.

(15) Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar.

(16) Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen.

(17) Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.

 

Wenn das so leicht wäre, einfach das, was uns belastet, abzulegen wie ein Kleidungsstück und stattdessen ein neues überzuziehen.

Einmal nicht die Ellenbogen gebrauchen müssen, ohne Beleidigungen und Lügen auskommen können, nicht das haben müssen, was andere haben, stattdessen freundlich und geduldig sein, den anderen lieben und ihm verzeihen ... Wenn das so einfach wäre.

 

Keiner ändert sein Leben so leicht.

Ihr kennt das sicherlich alle.

Wie oft schon haben wir uns vorgenommen, uns zu ändern, schlechte, unliebsame Eigenschaften abzulegen - Jahreswechsel oder Geburtstage sind besonders beliebte Anlässe hierfür.

Zukünftig soll alles anders werden.

Da wollen wir unsere Süchte und unsere Leidenschaften in den Griff kriegen.

Da wollen wir gesünder leben.

Da wollen wir uns mehr Zeit nehmen für die Familie.

Da wollen wir nicht mehr schummeln und selbst dem miesen Arbeitskollegen freundlich begegnen ...

In der Regel funktioniert es nicht lange.

Und trotzdem ist es möglich.

Warum?

Wie kommt Paulus darauf?

Was bringt ihn dazu anzunehmen, dass wir als Christen in der Lage sind, so zu leben?

 

Ihr müsst das alles ablegen, auch Zorn und Aufbrausen, Hass, Beleidigung und Verleumdung.

Keiner soll mehr den anderen belügen.

Seid mitfühlend, freundlich, ehrerbietig, nachsichtig und geduldig.

Kommt miteinander aus!

Tragt es keinem nach, wenn er euch Unrecht getan hat; sondern vergebt einander.

Tut alles in der Liebe!

 

Wie kann Paulus glauben, dass die Menschen in dieser kleinen Gemeinde einen christlichen Lebenswandel an den Tag legen?

Wie kann er annehmen, dass trotz der so verschiedenen Glaubens- und Weltanschauungen sich ausgerechnet die christliche Sicht der Dinge durchsetzt?

Woher nimmt er die Hoffnung, dass die Taufe auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes zu einem befreiten Leben ohne Zwang zur Selbsterlösung und ohne Leistungsdruck führen wird?

 

Weil Gott es so will, lautet die Antwort eines Paulus.

Es soll all dies möglich sein, weil - weil Gott es so will.

Weil Gott es uns Menschen zutraut.

Weil wir Menschen nach seinem, nach Gottes Ebenbild geschaffen sind.

Wir sind Gottes gute Schöpfung und müssen es nicht erst noch aufgrund unserer guten Werke werden oder gar verdienen.

So wie wir sind, sind wir Gottes gute Schöpfung.

 

Und das gilt gegen die Meinung der Menschen, die alles Mögliche Abwertende über uns behaupten:
Du bist zu klein, sagt der Vater.
Du bist zu langsam, sagt die Mutter.
Du bist ein Träumer, sagt der Lehrer.
Die anderen sind besser, sagt der Lehrmeister.
Du bist nicht solidarisch, sagen die Kollegen.
Du hast keine Haltung, sagt der Leutnant.
Du bist auf dem falschen Weg, sagt der Pfarrer.
Die anderen verdienen mehr, sagt die Ehefrau.
Du bist ein Waschlappen, sagen die Kinder. Demgegenüber sagt Gott, unser Vater im Himmel zu mir: Du bist mir ähnlich.

 

Gott sagt uns:
Ihr könnt das alles ablegen, auch Zorn und Aufbrausen, Hass, Beleidigung und Verleumdung.

Keiner muss mehr den anderen belügen.
Und so könnt ihr sein: mitfühlend, freundlich, ehrerbietig, nachsichtig und geduldig.
Ihr könnt miteinander auskommen!
Ihr müsst Unrecht nicht wiederholen;
Stattdessen könnt ihr einander vergeben.

Gott sagt: Ihr könnt das alles tun, ihr seid nach meinem Bild geschaffen, ihr seid von mir erwählt.

Amen.