31.07.2022 - "Das Wunder des Teilens" - Predigt zu Johannes 6,1-15 am 7. Sonntag nach Trinitatis (Pfr. Fischer)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Wir hören das Predigtwort aus dem Johannesevangelium im 6. Kapitel:
Danach fuhr Jesus weg über das Galiläische Meer, das auch See Tiberias heißt.
Und es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat.
Jesus aber ging auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern.
Es war kurz vor dem Passa, dem Fest der Juden.
Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, dass viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus: Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?
Das sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er wusste wohl, was er tun wollte.
Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder ein wenig bekomme.
Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus:
Es ist ein Kind hier, das hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; aber was ist das für so viele?
Jesus aber sprach: Lasst die Leute sich lagern.
Es war aber viel Gras an dem Ort.
Da lagerten sich etwa fünftausend Männer.
Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, so viel sie wollten
Als sie aber satt waren, sprach er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt.
Da sammelten sie und füllten von den fünf Gerstenbroten zwölf Körbe mit Brocken, die denen übrigblieben, die gespeist worden waren.
Als nun die Menschen das Zeichen sahen, das Jesus tat, sprachen sie: Das ist wahrlich ein Prophet, der in die Welt kommen soll.
Als Jesus nun merkte, dass sie kommen würden und ihn ergreifen, um ihn zum König zu machen, entwich er wieder auf den Berg, er selbst allein.
Liebe Gemeinde,
wann immer diese Geschichte zu hören ist, dann sind zuerst die klugen Rechner da, wie übrigens in der Erzählung selber der Jünger Philippus schon einer war: Wie denn zwei Fische und fünf Gerstenbrote, das Brot der armen Leute in Israel, unter so viele zu teilen?
Und wie denn am Schluss da so viel übrigbleiben kann: 12 Körbe Brocken, die gesammelt werden, damit nichts umkomme?
Und das Ganze soll dann reichen für 5000 Mann, Frauen und Kinder noch nicht dazugerechnet?
Es ist typisch für viele Erzählungen im Neuen Testament: Zeichen und Wunder geschehen, wenn eine Not da ist, wenn Jesus im Namen seines Vaters Menschen in Not helfen will.
Und so sieht auch hier Jesus Tausende Leute ankommen.
Sie brauchen Speise brauchen und wollen ihren Hunger stillen auf der Suche nach ihm.
Und dann geschieht das, was hier so unspektakulär mit den Worten des Abendmahls geschildert wird: „Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie“, heißt es in Vers 11.
Über das „wie“ dieser Brotvermehrung wird also kein Wort verloren.
Und deswegen würden wir zu kurz denken, wenn wir uns bei den gesammelten rechnerischen Unwahrscheinlichkeiten des Brotwunders aufhalten würden.
Über sie nachzudenken, würde uns den Sinn dieses Lebenszeichens Jesu gar nicht erfassen lassen.
Wir würden uns nur auf der Seite der Rechner und der Skeptiker wiederfinden, wie die Jünger in unserer Erzählung: Das Geld reicht nicht, die Menge der Lebensmittel reicht nicht, die Not kann gar nicht bekämpft werden.
Hier dürfen wir nicht stehen bleiben.
Unsere Geschichte hat einen tieferen Sinn.
Die Bibel ist kein Physikbuch und kein Handbuch über Nahrungsmittelchemie.
Unsere Geschichte ist auch keine historisch belegte Reportage, sondern eine Zeichenerzählung mit einem tieferen Sinn.
Daraufhin will sie gelesen und bedacht werden.
Also übertragen auf unser heutiges Predigtwort heißt das: der tiefere Sinn besteht darin, dass Jesus sich dem Volk zuwendet und dass er seine Jünger beauftragt, zu teilen und den Hunger nach Leben zu stillen.
Jesus selbst sagt in der Bergpredigt bei Matthäus: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von dem Wort, das von Gott kommt.
Es geht also bei unserer Geschichte nicht nur um das Wunder, das Tausende satt werden, obwohl nicht genug Nahrung da ist.
Sondern wir sollen staunend erkennen, dass Gott uns beisteht, dass er uns für seinen Dienst beauftragt.
Und dieser Dienst heißt, den Lebenshunger der Menschen, überall, wo sie uns begegnen, in seinem Namen zu stillen.
Doch hier liegt dann auch das Problem unseres Predigtwortes.
Wie sollen wir das den umsetzen?
Wunder sind selten geworden.
Wie schwierig ist es, von so einem Angebot zu erzählen, wenn alle satt sind, wie bei uns.
Wenn das größte Problem die Auswahl der Schlemmerangebote und die Auswahl der daraufhin nötigen Abspeckdiäten zu sein scheint?
Von dem Autor Wolfgang Borchert stammt eine Erzählung aus der Nachkriegszeit: Mann und Frau leben seit 48 Jahren treu zusammen.
In der Küche ist als einziger Vorrat ein Stück trocknes Brot.
In der Nacht kann der Mann nicht schlafen vor Hunger, er steht auf und isst von der Kruste.
Seine Frau wacht auf, folgt ihm in die Küche.
„Ich habe nur nachgesehen, ob das Fenster nicht offen ist“ antwortet der Mann auf die unausgesprochene Frage und spricht in seiner Hungersnot die erste Lüge in ihrer Ehe aus.
Und sie sieht ihn noch kauen und geht gnädig darüber hinweg.
Wenn man Kindern von heute diese Geschichte erzählt, fragen sie fassungslos:
„Ja aber warum geht er denn nicht einfach an den Kühlschrank?“
Meine Generation und jünger hat nie Hunger leiden müssen.
Wir sind in den Überfluss geboren.
Unsere Lösung ist selbstverständlich der Kühlschrank, und falls der doch einmal leer sein sollte, sind’s die vollen Regale und Theken der Geschäfte und Supermärkte.
Das Gute daran ist, dass wir Gott sei Dank keinen solchen Hunger mehr leiden müssen, wie es meine Großmutter in den Hungerwintern nach dem Krieg erlebt.
Aber ich glaube dennoch, dass wir in unserem Land Hunger haben und manche sogar verhungern.
Den Hungersnöten in den Entwicklungsländern entspricht das seelische Elend bei uns hier.
In einem Zeitungsartikel über dieses Problem heißt es:
„Möglicherweise ist es am schwersten zu ertragen, dass, wenn alle Probleme gelöst sind, das Glück dennoch ausbleibt“.
Daran verzweifeln viele Menschen.
Da fehlt es nicht am Teilen der materiellen Güter, sondern an der inneren, an der herzlichen Anteilnahme, an Mitempfinden, an Zeit, an Zuneigung;
alles Werte, die uns mehr und mehr verloren gehen.
Uns wird stattdessen immer mehr eingeredet, dass wir in einer Konsumgesellschaft leben und unser einziger Wert darin besteht, zu kaufen und zu verbrauchen, damit es mit der Wirtschaft aufwärts geht.
Wir können nicht einmal mehr richtig genießen, weil uns der innere Bezug fehlt.
Unser Predigtwort will uns deshalb für den tieferen Sinn öffnen.
Es geht hier um das großartige Angebot Gottes, dass er unseren Lebenshunger stillen will.
Das ist das große Wunder dieser Erzählung.
Der allmächtige Gott erweist sich in Jesus als der, der sich um die Hungrigen kümmert.
Gott kümmert sich um mich und das täglich.
Das wäre für mich ein Wunder, wenn wir ein Stück in den Händen hielten und Gott dafür von Herzen danken würden.
Und aus dieser Dankbarkeit an Gott, der mir das Nötige zum Leben gibt, könnte dann das nächste Wunder entstehen.
Dass wir die Gaben unseres Schöpfers reichlich austeilen.
Wie Jesus gesagt hat, nicht nur das Brot allein, sondern Gottes Wort.
Lebenshunger wird gestillt, die Freude verdoppelt und das Leiden geteilt.
Für solche Gemeinschaft beschenkt und begabt Jesus die Jünger, das Volk und uns heute.
Die Speisung der 5000 ist eine Mutmachgeschichte.
Mut zu teilen und darin neue Gemeinschaft, neuen Lebensmut zu finden;
Lebensmut, der unsern Lebenshunger stillen und uns von dem Gefühl befreien kann, zu kurz zu kommen und mitten im Überfluss zu ersticken.
Stattdessen haben wir Anteil am Brot des Lebens, an Jesus selbst, an der Liebe Gottes, die größer ist als unser Rechnen und unser Zweifel, die uns neuen Mut und immer neue Anfänge schenkt.
So haben wir Teil am ewigen Leben.
Das Abendmahl ist sichtbares Zeichen dafür.
Nicht unser leiblicher Hunger wird durch das Stück Brot gestillt.
Der wahre Wert liegt darin, dass sich Jesus mir schenkt, dass ich weiß, er ist bei mir, ich bin nicht allein, sondern habe Schwestern und Brüder an meiner Seite.
Ich werde frei von Schuld und Sünde.
Mein Lebenshunger wird gestillt.
Wie das aussehen kann, dass man reich werden kann, auch wenn alles Rechnen ergibt, das wir unsern Hunger nicht stillen können, will ich einer kurzen Geschichte zusammenfassen.
Als ein hochbetagter Arzt gestorben war, machten seine Söhne eine merkwürdige Entdeckung.
In einem alten Sekretär aus dem Sprechzimmer ihres Vaters fanden sie ein wunderlich geformtes graues Stück etwas.
„Was ist denn das?“ fragten Sie ihre Tante.
„Oh,“ antwortete die alte Dame, „das ist eine kostbare Erinnerung, die Euer Vater immer aufgehoben und vor Augen gehabt hat.
In der Nachkriegszeit, als überall so große Not war, ist er nämlich einmal selber krank geworden.
Und wie ein ehemaliger Patient davon gehört hatte, schickte er ihm einen frischen Laib Brot, er solle nur ja auf sich achten, von dem guten Brot essen, damit er bald wieder zu Kräften käme, um andern weiter so zu helfen, wie er ihm geholfen habe.
Als das frische Brot angekommen war, erinnerte er sich aber an die Mutter, die noch am Vormittag mit ihren beiden Hungerkindern in der Praxis gewesen war.
Und so bat er mich, mit dem Brot in die Kellerwohnung zu gehen, damit die Kinder satt würden.
Am gleichen Tag aber hatte die Mutter für ihre Kinder ein Paket bekommen, so dass der größte Hunger gestillt war.
Die Mutter der Kinder schickte das Brot an einen Mann, der oben unter dem Dach wohnte und hatte fliehen müssen mit nichts als den Sachen, die er am Leibe trug.
Die Freude war groß, als der Empfänger sah, dass jemand an ihn gedacht hatte.
Aber weil er gesund war und gerade seine Abendsuppe gegessen hatte, gingen seine Gedanken an seinen Vetter, der ausgebombt war und nichts zu beißen hatte.
Gedacht getan, er brachte ihm den duftenden Laib Brot und teilte die Freude mit dem Beschenkten.
Der aber hatte gehört, dass der alte Arzt das Bett hüten musste und schritt eilig in die Praxis, um mit einem frischen Brot zur Gesundung des frisch Erkrankten beizutragen.
Natürlich hat Euer Vater das Brot sofort wieder erkannt, und seitdem hat er dieses Brot sorgfältig aufgehoben als ein Zeichen der Liebe Gottes unter den Menschen.
„Nie will ich vergessen“, hat er gesagt, „dass wir alle durch das Teilen von der Güte Gottes leben und dass sich die Bitte `unser täglich Brot gib uns heute´ oft unerwartet erfüllt.
Aber zugleich hebe ich es auf als Mahnung, dankbar zu sein.
Denn obwohl von diesem Brot keiner gegessen hat, sind doch viele satt geworden durch dieses Zeichen und haben ihren Hunger nach der Liebe Gottes stillen können.“
Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.