02.10.2022 - "Auf Danken und Geben liegt Segen" - Predigt zu Jes 58,7-12 am Erntedanktag (Pfr. Fischer)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Das Predigtwort für das heutige Erntedankfest steht im Buch des Propheten Jesaja im 58. Kapitel.
Ich lese die Verse 7-12:

(7) Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!
Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
(8) Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des HERRN wird deinen Zug beschließen.

(9) Dann wirst du rufen, und der HERR wird dir antworten.
Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.
Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest,
(10) sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.
(11) Und der HERR wird dich immerdar führen und dich sättigen in der Dürre und dein Gebein stärken.
Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.
(12) Und es soll durch dich wieder aufgebaut werde, was lange wüst gelegen hat, und du wirst wieder aufrichten, was vorzeiten gegründet ward;
und du sollst heißen: „Der die Lücken zumauert und die Wege ausbessert, dass man da wohnen könne."

 

Liebe Gemeinde,

Es gibt Tage, da geht einem das Wort „danke“ leichter über die Lippen als sonst.

Heute ist so ein Tag. Erntedank.

Der Altar ist heute reich geschmückt mit dem, was wir geerntet haben.

Obst und Gemüse; und auch Brot - auch das Getreide verdanken wir doch Gottes Segen.

Wie es so schön heißt im Lied von Matthias Claudius:

„Er sendet Tau und Regen und Sonn und Mondenschein,
er wickelt seinen Segen gar zart und künstlich ein
und bringt ihn dann behände in unser Feld und Brot:
es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott.“

 

Gottes Segen erfahren wir in dem, was wir ernten.

Nicht nur in den Früchten des Feldes und des Gartens: Auch in dem, was durch unsere Hände gegangen ist, lässt sich Gottes Gabe erkennen.

Eine Packung mit Keksen auf dem Erntedankaltar oder eine Konservendose sind Hinweise darauf, dass es für viel mehr zu danken gibt als das, was draußen gewachsen ist.

Die Früchte unserer Arbeit, Erfolg und gute Erfahrungen - all das, was vielleicht durch unsere Hände gegangen ist, was wir aber letztlich doch Gott verdanken.

All das, was Martin Luther zum täglichen Brot zählt wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut und auch gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.

Danksagen können wir heute nicht nur für eine gesegnete Ernte, sondern für allen Segen, den wir erfahren haben im zurückliegenden Jahr.

Auch für die Auszeichnung unseres Dorfes zum Golddorf.

Großartig!

 

Erntedank – Dank für Gottes Segen.

Wir erfahren Gottes Segen anscheinend in all dem, was wir ernten, was uns an Gutem widerfährt.

Aber nicht nur.

Bei Jesaja wird Gottes Verheißung aber mit etwas anderem verbunden.

Nicht was wir haben, zählt - was wir daraus machen, darauf liegt die Verheißung: „Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest, sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.“

Für die Ernte des Jahres können wir danken, ja.

Aber was wir daraus machen, darauf kommt es an.

Ob wir ängstlich festhalten, was wir erwirtschaftet haben, oder ob wir andere teilhaben lassen.

Ob wir uns selbst der Nächste bleiben oder ob wir der Not der Menschen um uns begegnen.

Auf dem Geben liegt die Verheißung Gottes, sagt der Prophet: „Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.“

 

Danach sehnten sich die Menschen damals zur Zeit des Propheten: dass Gott ihnen nahe ist, dass Gottes Segen auf ihnen ruht.

Eigentlich konnten sie ja zufrieden sein, damals, als die Zeit der Gefangenschaft in Babylonien zu Ende war.

Mehr als zweitausend Jahre ist das jetzt her, als sich dieser unbekannte Prophet, den wir den dritten Jesaja nennen, im Namen Gottes zu Wort meldete.

Nach den Jahrzehnten Fremdherrschaft und Leben in der Verbannung war in Israel wieder Frieden eingekehrt.

Das Leben lief wieder in gewohnten Bahnen.

Manche waren zu etwas Wohlstand gekommen, andere litten aber auch Not und gerieten in Abhängigkeiten.

Man machte sich Gedanken über den Wiederaufbau des Tempels und der Stadtmauer von Jerusalem, und jeder versuchte über die Runden zu kommen, so gut es ging.

 

Aber doch fehlte etwas: Leere machte sich breit.

Es gab keine Visionen, keine Hoffnung für die Zukunft, es fehlte die Begeisterung.

Gott schien in unnahbarer Ferne.

Mit frommen Übungen versuchten einige, sich der Nähe Gottes zu vergewissern.

Wenn ich faste und in Sack und Asche gehe, dann muss Gott mir doch gnädig sein, sagten sich manche, dann muss er mir doch freundlich begegnen.

 

Diese Haltung rief den Zorn des Propheten heraus, und im Namen Gottes fragte er: „Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag, an dem der Herr Wohlgefallen hat?“

Wer so sein eigenes Heil erzwingen will, der wird es verfehlen.

Gottes Verheißungen gelten denen, die für andere da sind.

So wird Gottes Nähe erfahrbar, „und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.“

 

Bei uns wird hoffentlich niemand versuchen, sich Gottes Gnade durch Askese oder Fasten herbeizuzwingen.

Aber die Lähmung, die unsere Gesellschaft durchzieht, scheint mir vergleichbar zu sein mit dem damaligen Lebensgefühl.

Ängstlich schauen viele auf das private Wohlergehen, und dabei geraten die anderen aus dem Blickfeld.

Die steigenden Kosten, immer mehr Menschen, denen es am Nötigsten fehlt.

Viele besitzen mehr, als sie brauchen, aber irgendwann spürt man: Der äußere Wohlstand kann nichts ausrichten gegen die innere Leere.

Im Getriebe unserer Zeit kann man innerlich arm werden; Sinn und Ziel des eigenen Lebens gehen verloren.

Wo ist Gott geblieben?

Wie die Menschen damals sehnen wir uns nach Gottes Nähe, nach Gottes Segen in unserem Leben.

 

Ich habe mich oft gefragt, was eigentlich das Erntedankfest so beliebt macht.

Und ich habe den Eindruck, es ist mehr als der festlich geschmückte Altar und das Gefühl des Dankes nach eingebrachter Ernte.
Ich glaube, dahinter steckt auch der Wunsch und die Sehnsucht nach Gottes Segen: Zeigt sich der nicht in der Ernte dieses Jahres?

 

Doch der Prophet weist uns auf eine andere Spur.

Gottes Segen erweist sich nicht im äußeren Überfluss, Gottes Segen werden wir erfahren, wo wir uns den Notleidenden zuwenden.

Das ist das ganze Geheimnis: Wirklich reich ist nicht der, der viel hat, sondern der, der viel gibt.

Wirklich reich ist nicht der, der viel hat, sondern der, der viel gibt.

„Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus! ... Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte ... und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.“

 

So einfach ist das, und so schwer zugleich.

„Brich dem Hungrigen dein Brot.“

So klar ist diese Mahnung, und doch ist es so schwierig, sich danach zu richten.

Sofort melden sich die Bedenken: Was kann ich schon ausrichten gegen den Hunger?

Ist das nicht ein Tropfen auf den heißen Stein?

Wo soll ich anfangen, wo aufhören?

Und was bleibt am Ende für mich?

Und am Ende bleibt doch alles beim Alten.

 

Ich glaube, es gibt nur eine Möglichkeit: Fang einfach an!

Und du wirst merken: Reich bist du nicht durch das, was du hast, reich wirst du durch das, was du gibst.

Man kann damit anfangen, Geld zu spenden, man kann anfangen, mit den Menschen in der Nachbarschaft zu teilen.

Roger Schutz, der Gründer von Taizé, hat einmal geschrieben:

„Fange damit an, deine Lebensgewohnheiten umzugestalten. Wenn du dein Leben verändern willst, wird niemand von dir verlangen, dass du in puritanischer Strenge Schönheit und Freude verachtest. Teile alles, was du hast, du wirst darin Freiheit finden ... Mache deine Wohnräume zu einem Ort, an dem andere immer willkommen sind, zu einem Haus des Friedens und des gegenseitigen Verzeihens. Du hast Nachbarn im Wohnviertel. Nimm dir Zeit, immer wieder auf sie zuzugehen und mit ihnen Verbindungen zu knüpfen. Du wirst dabei auf große Einsamkeit stoßen und feststellen, dass die Grenze der Ungerechtigkeit nicht nur zwischen Kontinenten, sondern nur einige hundert Meter von deiner Wohnung entfernt verläuft.“

So schwer ist das und so einfach.

 

Erntedank.

Wir haben Grund genug zu danken und zu feiern.

Wir danken für die Ernte der Felder, für die Ernte unserer Arbeit, für die Ernte unseres Lebens.

Vieles ist durch unsere Hände gegangen, und doch kommt es von Gott.

Unser Dank kommt zum Ziel, wenn er zum Teilen führt.

Auf Danken und Geben liegt der Segen.

Amen.

 

Der Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.