16.10.2022 - "Hilf meinem Unglauben!" - Predigt zu Markus 9,17-27 am 18. Sonntag nach Trinitatis (Pfr. Fischer)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Wir hören das Predigtwort aus dem 9. Kapitel des Markusevangeliums:
Einer aus der Menge sagte zu Jesus: Meister, ich habe meinen Sohn hergebracht zu dir, der hat einen sprachlosen Geist.
Und wo er ihn erwischt, reißt er ihn; und er hat Schaum vor dem Mund und knirscht mit den Zähnen und wird starr.
Und ich habe mit deinen Jüngern geredet, dass sie ihn austreiben sollen, und sie konnten’s nicht.
Er aber antwortete ihnen und sprach: O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir!
Und sie brachten ihn zu ihm. Und sogleich, als ihn der Geist sah, riss er ihn. Und er fiel auf die Erde, wälzte sich und hatte Schaum vor dem Mund.
Und Jesus fragte seinen Vater: Wie lange ist’s, dass ihm das widerfährt? Er sprach: Von Kind auf.
Und oft hat er ihn ins Feuer und ins Wasser geworfen, dass er ihn umbrächte. Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!
Jesus aber sprach zu ihm: Du sagst: Wenn du kannst – alle Dinge sind möglich dem, der glaubt.
Sogleich schrie der Vater des Kindes: Ich glaube; hilf meinem Unglauben!
Als nun Jesus sah, dass das Volk herbeilief, bedrohte er den unreinen Geist und sprach zu ihm: Du sprachloser und tauber Geist, ich gebiete dir: Fahre von ihm aus und fahre nicht mehr in ihn hinein!
Da schrie er und riss ihn sehr und fuhr aus. Und der Knabe lag da wie tot, so dass die Menge sagte: Er ist tot.
Jesus aber ergriff ihn bei der Hand und richtete ihn auf, und er stand auf.
Und als er heimkam, fragten ihn seine Jünger für sich allein: Warum konnten wir ihn nicht austreiben?
Und er sprach: Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch Beten!
Liebe Gemeinde,
„viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen,
Gesundheit und Frohsinn sei auch mit dabei!“.
Was von diesen Wünschen Vieren wünsche ich mir am meisten?
Ältere Menschen tendieren eindeutig zu Antwort C): Gesundheit.
Zumindest war es bis vor einigen Jahren so.
Doch der Wunsch nach Gesundheit wird auch in den jüngeren Generationen immer größer.
Die Grenzen der körperlichen und vor allem der seelischen Belastbarkeit sind mehr und mehr erreicht.
Die Überforderung, also das Gefühl sich zunehmend allein um alles kümmern zu müssen – und das einfach nicht zu schaffen können – macht immer häufiger die Menschen krank.
„Burnout wird zur Volkskrankheit“, hieß es diese Woche im Radio.
Die Gesundheit wird verbrannt – keine Lebens-Energie mehr.
Eine schlimme Sache ist das!
Das ist ja nur eine Seite!
Kranksein macht keinen Spaß.
Ich meine hier übrigens „Krank sein“, nicht „Krank machen“.
Eine Krankheit schränkt nicht nur die eigene Leistungsfähigkeit ein, weil ich mich schlapp und müde fühle; sie ist nicht nur ein Angriff auf meinen Körper.
Eine Krankheit greift auch mein Gemüt an, meinen seelischen Zustand – und das, je schlimmer ich erkranke.
Und je schwerer die Krankheit ist, umso mehr wächst auch die Sehnsucht nach Heilung.
Ich glaube jeder von uns trägt diese Sehnsucht nach Heilung in sich.
Doch wohin gehen wir, wenn wir krank sind?
Vor 40 Jahren hätte ich darauf geantwortet: Wenn ich krank bin – dann gehe ich einfach nicht in die Schule.
Doch ernsthaft gefragt: Wohin gehen wir, wenn wir krank sind?
Vielleicht denken Sie sich ja jetzt: Na klar, zum Arzt; wohin denn sonst.
Der ist doch zuständig fürs Gesundwerden.
Das ist natürlich erst einmal richtig.
Doch was ist, wenn der Hausarzt nicht mehr helfen kann?
In unserer Gesellschaft gibt es seit längerer Zeiteinen Trend hin zum Übersinnlichen, zum Okkulten, zum Esoterischen.
Eigentlich ist das alles überhaupt nichts Neues.
Denn den Aberglauben, also den Glauben an Dämonen und überirdische Schicksalsmächte, hat es schon immer gegeben und wird es auch weiterhin geben – da brauchen wir uns keine Illusionen zu machen.
Gurus, Geistheiler, Gesundbeter bieten ihre Dienste an, versprechen Heilung für Leib und Seele.
Sehr viele von ihnen sind Scharlatane, die aus der Gutgläubigkeit kranker Menschen nichts als Profit ziehen wollen.
Diese Scharlatane lassen sich nicht leider nicht nach Berufsgruppen unterscheiden; es gibt sie überall:
Es gibt Scharlatane unter den Medizinern; es gibt sie unter den Heilpraktikern, es gibt sie bei Geistheilern und Gesundbetern.
Aber Vorsicht
mit Urteilen über andere!
Wer weiß – vielleicht bin ja auch ich ein Scharlatan, der Wasser predigt und Wein säuft, wie es der Volksmund treffend ausdrückt.
Wir müssen schon gut prüfen – um es mit den Worten des Apostels Paulus aus dem 1.Thessalonicherbrief, Kapitel 5, zu sagen – damit wir das Gute behalten – Alles prüfen und das Gute behalten, damit wir diesen Betrügern nicht auf den Leim gehen.
Und das ist überhaupt nicht leicht.
Jedenfalls haben all diejenigen, die Heilung versprechen, alle Hände voll zu tun.
Sie berühren eine tiefe Sehnsucht in uns drin:
Die Sehnsucht nach Heilung, nach Befreiung von Krankheit, störenden Einflüssen und dunklen Mächten.
Auf der Suche nach Erlösung von unseren Krankheiten müssen wir allerdings das Eine ziemlich nüchtern feststellen: Letztendlich gibt es in dieser Welt keine Garantie für Heilung – auch nicht für uns Christen.
Das bezeugt auch unser Predigtwort:
„Und sie konnten's nicht“, heißt es da über die Jünger kurz und bündig.
Das Menschenmögliche ist oft halt doch nicht möglich.
Das Einzusehen fällt schwer.
Und oft reagieren wir Menschen darauf mit tiefer Enttäuschung, mit Ärger, Wut und Verzweiflung – oder sie geben Gott die Schuld, weil er nicht so will, wie wir uns das vorstellen.
Eine schwere Krankheit wird meist immer als ungerecht empfunden – Warum ich gerade ich?
Zurzeit Jesu wurde eine Krankheit als gerechte Sache verstanden.
Denn sie wurde als Strafe Gottes verstanden.
Das hieße also: wenn ich krank bin, ist das Gottes Antwort auf meine Sünde.
Und je kränker ich bin, umso größer ist meine Sünde.
Zurzeit Jesu hatte das unbarmherzige Folgen:
Der Kranke damals hatte nicht nur schwer an seiner Krankheit zu tragen - er wurde – meist mit seiner ganzen Familie – auch noch sozial ausgegrenzt und ausgestoßen.
Auch, wenn Krankheit – und das zurecht – nicht mehr als Strafe Gottes verstanden wird,
meint ihr, dass sich an der Einstellung zu den Kranken heute so viel verändert hat?
Ich befürchte: Nein!
Es kommt mir so vor, als ob Menschen heutzutage nur wertvoll sind, wenn sie jung, gesund, schön – kurz gesagt: „makellos“ sind.
Wir sind ständig in Gefahr, jeden, der diesem Maßstab nicht mehr entspricht, abzudrängen oder im schlimmsten Fall abzuschieben.
Wir sind in Versuchung, was unbequem ist und anstrengt und was einen zutiefst berührt, einfach von uns wegzudrängen.
Die bittere Erfahrung kranker Menschen ist oft:
Das große Leid entsteht nicht durch die Krankheit selbst, sondern durch das Verhalten der Mitmenschen.
Was Menschen behindert, ist mehr als ihre Behinderung.
Es sind die Grenzen, an die sie zusätzlich stoßen.
Grenzen, die die so genannten Gesunden und Normalen aufrichten, vielleicht aus Unsicherheit, aus Unwissen, aus Angst vor ähnlichem Schicksal.
Die sehen wir nicht gerne, sie stören uns.
Wir stoßen ja schließlich auch an unsere Grenzen der Belastbarkeit, und errichten dann Grenzen zu denen hin, die eigentlich unsere Zuwendung bräuchten.
„Und sie konnten's nicht“ – heißt es von den Jüngern Jesu.
Auch die Jünger scheitern.
Sie sind mit der Krankheit des Jungen überfordert – vielleicht auch aus Unsicherheit oder Angst im Umgang mit diesem kranken und behinderten Jungen.
Wenn du aber etwas kannst, hilf uns!
Das ist der letzte Aufschrei eines verzweifelten Vaters.
Vom Rand der Kräfte kommt der Aufschrei.
Er ist ja schon von Hinz nach Kunz gelaufen, hat doch schon alles versucht.
Wie oft hat er den Jungen schon vor dem Schlimmsten bewahrt, aus akuter Lebensgefahr gerettet.
Jetzt kann er nicht mehr.
Der Vater ist am Ende seiner Kräfte - Burnout.
Ein Funke Hoffnung ist noch da.
Und dieser Funke reicht.
Jesus antwortet: Alle Dinge sind möglich dem, der glaubt.
Jesus erkennt, dass der Vater auch an die Grenzen seines Glaubens gestoßen ist.
Wie die Krankheit den Jungen hin- und herreißt, so ist der Vater zwischen Glauben und Zweifel hin- und hergerissen.
Und vielleicht auch zwischen der Liebe zu diesem Kind und seiner Ablehnung.
Das eigentliche Wunder dieser Geschichte ist nicht, dass Jesus den kranken Jungen heilt.
Das eigentliche Wunder geschieht am Vater!
Ich glaube, hilf meinem Unglauben!
Mit diesem Satz, mit diesem ersten Gebetsruf! – fällt die Mauer.
In diesem Aufschrei liegen seine ganzen Zweifel, seine ganzen Widersprüche.
Endlich kann er sie aussprechen.
Der Vater kann sich endlich öffnen.
Und jetzt geschieht die eigentliche Heilung.
Der Vater des Jungen legt sein Leben in die Hände des Heilands.
Das ist das eigentliche Wunder:
Aus dem letzten Funken Hoffnung entzündet Jesus das Feuer des Glaubens.
Glaube, der sich ganz Gott anvertrauen kann, der uns sieht, wie wir wirklich sind: mit all unseren Begrenztheiten und Widersprüchen und auch unserer tiefen Sehnsucht nach Heilwerden.
Hier beginnt bereits die Heilung.
Im Vertrauen auf Jesus wächst in uns der Glaube, der größer ist als nur die bloße Hoffnung auf körperliches Gesundwerden.
Der tiefe Glaube, den Gott uns schenkt, lässt uns unser eigenes Leben aus einem ganz neuen Blickwinkel sehen.
Unser Leben braucht nicht mehr makellos sein.
Gott gibt unserem Leben Würde und Wert.
Im Glauben können wir unser Leben so annehmen, wie es ist; weil wir erkennen, dass Gott uns dieses Leben geschenkt hat und dass er uns begleitet in guten wie in schlechten Zeiten.
Ich weiß mich gehalten in Gott.
Und wenn ich mich so sehen kann: würdig und wertvoll, schön trotz aller Makel – dann klappt’s auch mit dem Nachbarn.
Dieses heilende Wunder kann täglich an uns geschehen.
Warten wir nicht bis zum letzten Funken Hoffnung.
In diesem Sinne:
„Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen,
Gesundheit und Frohsinn sei auch mit dabei!“
Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.