11.12.2022 - „Bereit für Gottes Herrlichkeit?“ - Predigt am 3. Advent zu Jesaja 40,1-11 von Pfarrer R. Koller

Bereitet dem Herrn den Weg; denn siehe, der Herr kommt gewaltig! (Jes 40, 3.10 -Wochenspruch)

 

1 Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. 2 Redet mit Jerusalem freundlich und prediget ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des HERRN für alle ihre Sünden.

3 Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! 4 Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; 5 denn die Herrlichkeit des HERRN soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des HERRN Mund hat's geredet.

6 Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. 7 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des HERRN Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! 8 Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.

9 Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht; erhebe sie und fürchte dich nicht! Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; 10 siehe, da ist Gott der HERR! Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her. 11 Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.

 

Keine zwei Wochen mehr und wir feiern Heiligabend. Wir treffen unsere Familien und freuen uns auf gemeinsame Zeit. Wir freuen uns auf gutes Essen und leckere Getränke. Wir haben unsere schönen Rituale und Traditionen. Ja, oft laden wir dieses Fest auch ziemlich auf - ohne alle Erwartungen dann auch einlösen zu können. Aber trotz allem vorweihnachtlichen Stress ist unser Weg dahin ein Weg mit Lichtern und Düften, mit Glühwein und Plätzchen und nicht zu vergessen: dem Adventskalender, der die Vorfreude in Tagen zählt.

Der Prophet Jesaja schreibt auch von Vorfreude. Aber der Weg dorthin führt durch eine andere Wirklichkeit. Da geht es um Trost und da geht es um Schuld. Da ist von Strafe die Rede und von Sünde.

„Tröstet, tröstet mein Volk! spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und prediget ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat.“ Das Ende der Verschleppung. Die Rückkehr der Israeliten in die Heimat, in die Heilige Stadt, zurückgerufen von Gott selbst nach nun 60 Jahren Leben im Exil. Das ersehnte Ende einer erzwungenen Deportation.

Rückkehr in die Heimat … Auch heute? Nach Kiew und Kramatorsk, nach Damaskus und Aleppo?

Damals in Israel lebte das Volk in der Überzeugung, dass die Verschleppung aus Jerusalem eine Strafe Gottes war. Könige und Volk hatten sich nicht an seine Gebote gehalten und hatten andere Götter verehrt. Also gab Gott sein Volk in die Hände eines mächtigeren Reiches. Er ließ Israel Kriege verlieren und ausbluten. So reimten sich die Menschen das damals zusammen, dass aus dem von Gott erwählten Volk ein verschlepptes Volk werden konnte.

 

Unsere „kleine Heimkehr“ an Heiligabend erinnert an die „große Heimkehr“, die das Volk Israel erleben durfte: Rückkehr in ihre Heimat, Heimkehr zu den Hügeln und Tälern der Kindheit, zum Geruch der Zedern und der Zelte, den Häusern mit ihren Wohnstuben. Rückkehr zu den Menschen, die zu ihnen gehören. An Orte, die den Alten nicht nur vertraut sind, sondern in denen sie gelebt haben und die selbst ein Teil von ihnen sind.

„Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem HERRN den Weg“. - Advent heißt Ankunft. Es ist aber noch nicht das Volk, das sich in Bewegung setzt. Sondern erst muss Gott zum Volk kommen können. Dazu verändert das Land selbst sein Gesicht! Wenn Gott zu seinem Volk kommen will, dann auf ebener Bahn, dann bleibt kein Stein auf dem anderen! Berge und Hügel werden eingeebnet und die Täler werden aufgefüllt. Gott kommt nicht auf verschlungenen Pfaden, sondern auf direktem Weg, auf ebener Bahn!

Advent - Gott kommt!

Johannes der Täufer hat diese Ankündigung in der Zeit Jesu wiederholt. „Bereitet dem Herrn den Weg“, predigt Johannes. Wendet euch Gott neu zu, kehrt um! Fragt neu danach, was Gott will! Geht nicht wie selbstverständlich davon aus, dass der Weg zu euch schon längst frei ist! Steht Gott nicht im Weg, wenn er kommen will! Und steht euch selbst nicht im Weg, wenn ihr Gott empfangen wollt! Bereitet nicht nur den Weg, sondern auch euch selbst auf diese Ankunft vor! So könnte man die Predigt des Täufers zusammenfassen.

Das Land selbst verändert sein Gesicht - so bei Jesaja - weil „die Herrlichkeit des Herrn“ offenbart werden soll. Aber was ist die „Herrlichkeit des Herrn“?

Im Hebräischen steht an dieser Stelle eigentlich: das Gewicht, die Schwere Gottes. Also dasjenige, was beim Erscheinen Gottes im wahrsten Sinne des Wortes Eindruck macht und Spuren hinterlässt. Aus der Schwere Gottes wurde im übertragenen Sinn Gottes Erhabenheit, Gottes Ehre, Gottes Ruhm. Weniger die ebene Bahn sondern mehr der Glanz, der da einhergeht.

In jedem Fall ist es ein Wendepunkt, dass Gott so erscheint. Die Verschleppung ins Exil war eine Katastrophe. Aber nun erklingt in der Ankündigung des Propheten, dass die Herrlichkeit des Herrn offenbart werden soll, eine große, unbeschreibliche Hoffnung.

Johannes der Täufer predigte Buße und die Hinwendung zu Gott. Bei der Predigt des Propheten Jesaja steht an dieser Stelle etwas Anderes im Vordergrund. „Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des Herrn Odem bläst darein.“ Das Volk, alles Leben, letztlich die ganze Schöpfung ist und bleibt immer vergänglich. Aber Gott ist und bleibt ewig: „Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.“. Gottes Atem ist kein laues Lüftchen, sondern passt zu seiner Schwere und Herrlichkeit: Er ist wie ein Wind, hat manchmal auch die Kraft eines Sturmes. Es ist der Odem Gottes, der Leben einhaucht, der Leben beseelt und dies tut von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Und dann wird die Stadt selbst zur Freudenbotin. Jerusalem soll es allen anderen Städten und Orten im Land weitersagen, dass Gott da ist. Gott erscheint in seiner Herrlichkeit auf ebener Bahn. Er weht wie ein Wind durch alles, was lebt, und „kommt“, wie es dann heißt, „gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her.“

Man könnte leicht über dieses „gewaltige Kommen“ Gottes stolpern. Deshalb zum besseren Verständnis einen Auszug aus einer Predigt von Pfarrer Johannes Taig aus dem Jahr 2012:

Gottes gewaltiges Kommen, sein herrschender Arm sind nicht das, was man auf unserer Welt darunter versteht. Sein herrschender Arm sammelt die Lämmer ein, die hilflosen und wehrlosen. Sein Gewand ist nicht der Mantel des Feldherrn, sondern der Umhang des Hirten, unter dem es schön warm ist. Gottes Advent ist nicht laut und pompös. In der Heiligen Nacht rauscht sein Hirtenmantel über die Welt. In der Heiligen Nacht beginnt er einzusammeln, was verloren und finster ist. Und was er findet, das schlägt er in seinen Mantel, das drückt er ans Herz und nimmt es mit in sein himmlisches Reich. Getrösteter kann man nicht sein. In diesem Bild hat das ganze Evangelium Platz.

(„Der Hirtenmantel Gottes“ - Predigt am 3. Advent 2012 - http://altarchiv.hospitalkirchehof.de/Predigt/prejes40,1.htm)

Am Ende heißt es bei Jesaja: „Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte. Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.“

Dazu noch einmal Pfarrer Taig:

„Mutterschafe dürfen nebenherlaufen. Leithammel kommen nicht vor. Denn Gott kann die Platzhirsche und Leithammel in seiner Herde zu nichts gebrauchen. Sie sind im Reich Gottes Auslaufmodelle. In seiner Kirche sollten sie es deshalb auch sein!

Hier werden Muttertiere gebraucht:

  • Menschen, die Vertrauen geben und gewähren.
  • Menschen auf deren Wort und Tat Verlass ist.
  • Menschen, bei denen alles vom Lob bis zur bitteren Klage gut aufgehoben ist.
  • Menschen, vor denen man keine falsche Scheu haben muss.
  • Menschen, die einen liebvollen und aufmerksamen Blick haben für alles, was um sie gedacht und getan, gefeiert und durchlitten wird.
  • Menschen, denen man nicht aus Angst, sondern gerne und freiwillig folgt.
  • Menschen, die nicht voranpreschen, sondern dafür sorgen, dass keiner auf der Strecke bleibt.

 

Gott braucht in seiner Gemeinde nicht die Autorität der Macht, sondern die Kompetenz der Liebe. Denn bei ihm ist die Liebe streitbar und die Wahrheit friedfertig.“

 

Keine zwei Wochen mehr, und wir feiern Heiligabend. Wir treffen unsere Familien und freuen uns auf gemeinsame Zeit. Wir freuen uns auf gutes Essen und leckere Getränke. Wir haben unsere schönen Rituale und Traditionen.

Aber der Weg dahin ist nicht nur ein Weg, den wir gehen. Es ist zugleich der Weg, auf dem Gott selbst uns entgegenkommt.

Seine Ankunft ist nicht nur ein Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte, sondern mag einem jeden selbst zum Wendepunkt werden: In der Umkehr von falschen Wegen, in einer neuen Hinwendung zu dem, der nicht nur die Mächtigen vom Thron stürzt, sondern Arme hat, einen jeden zu tragen, der nicht weiterkann, und ihn an sein Herz zu drücken.

Sind wir also bereit für „die Herrlichkeit des Herrn“?