29.01.2023 - Kinder des Lichts -Predigt am letzten Sonntag der Epiphaniaszeit zu Joh. 12. 34-36 von Pfarrer R. Koller
In einem Internat in England wird zu Beginn des neuen Schuljahres der neue Lehrer vorgestellt Er unterrichtet englische Literatur. Er bringt sehr gute Qualifikationen mit, spricht man unter den Kollegen. Allerdings soll er auch ungewöhnliche Unterrichtsmethoden haben.
Gleich in der ersten Unterrichtsstunde holt er seine fast erwachsenen Schüler in die Aula. Hinter Glasvitrinen hängen schwarz-weiße Gruppenfotos von den allerersten Abiturjahrgängen dieser altehrwürdigen Schule. Der Lehrer bittet seine Schüler, die Fotos einmal genau anzuschauen: Sehen die jungen Leute auf dem Foto nicht aus wie sie selbst? Voller Kraft und Tatendrang? Voller Energie, das eigene Leben in die Hand zu nehmen?
Dann unvermittelt der Satz: „Sie sind heute alle schon tot – so wie jeder von euch einmal tot sein wird, Fraß für die Würmer.“ Und dann bittet der Lehrer seine Schüler, ganz nahe an die Glasvitrinen heranzutreten, damit sie hören könnten, was die Toten den Lebenden zuflüstern. Die Schüler tun es und hören ein Geflüster: „Carpe diem! Nutze den Tag!“
So beginnt der Film „Klub der toten Dichter“ – ein immer noch und immer wieder sehenswerter Film.
„Nutze den Tag!“ als Botschaft der Toten an die Lebenden.
So ähnlich steht das auch immer wieder in der Heiligen Schrift: Paulus fordert auf, „die Zeit auszukaufen“. Und im 90.Psalm bittet der Beter Gott um die Weisheit des rechten Umgangs mit unserem Leben und unserer Lebenszeit: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“! Denn so viel gilt sicher auch für uns: eines Tages wird ein jeder von uns tot sein. Unser Ende ist uns näher als wir sehen können und oft auch sehen wollen.
Also: Nutze den Tag! Vergeude nicht kostbare Lebenszeit! Keiner von uns weiß mit Sicherheit, ob er morgen noch aufwacht.
Aber was heißt das: den Tag zu nutzen? Keine Zeit zu vergeuden? Dass heute fast jeder den ganzen Tag hektisch herumrennt und keine Zeit hat, weder für den anderen noch für sich selbst – das kann es ja wohl nicht sein. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Denn letztlich muss ein jeder von uns sich diese Frage selbst beantworten, was es für ihn heißt, diesen Tag – den einzigen, den er jetzt gerade hat – zu nutzen.
Aber eine Anregung, einen altbewährten Tipp bekommen Sie von mir: Verfolgen Sie den Gedanken doch einmal zu Ende: Ihr Arzt teilt Ihnen mit, dass Sie noch 24 Stunden zu leben haben!
Was würden Sie die verbleibenden 24 Stunden tun? Und was würden Sie unterlassen?
Ihre Gedanken dazu - betrachten Sie sie einmal in Ruhe und legen sie sie dann über den Tag, wie Sie ihn gewöhnlich verbringen, was Sie normalerweise tun und was Sie normalerweise unterlassen. Wenn man das macht, dann hat man schon eine erste Ahnung von dem bekommen, was am Ende des eigenen Lebens wirklich Bestand haben wird: Was bleiben wird beim letzten Blick zurück, was wir als Summe wirklich gelebten Lebens dann in den Händen oder besser gesagt: im Herzen halten.
Aber auch, was wir an ungelebtem Leben in Gottes Hand zurückgeben müssen.
Vom „Bleiben“, von dem, was Bestand hat und von der kurzen Lebenszeit redet auch der heutige Predigttext. Stören Sie sich nicht daran, dass die Worte aus dem Johannes-Evangelium ein Gesprächsfetzen sind. Wenn Sie das ganze Gespräch Jesu mit den Griechen verfolgen wollen, dann lesen Sie das 12.Kapitel bei Joh.
Da antwortete ihm das Volk: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann: Der Menschensohn muss erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn? Da sprach Jesus zu ihnen: Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht.
Glaubt an das Licht, solange ihr’s habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet. (Joh. 12. 34-36)
„Nutzt den Tag!“ sagt Jesus hier, „wandelt im Licht“, solange Ihr es noch habt; die kleine Weile, die noch Zeit ist.
Einige haben damals den Tag genutzt und haben sich als Jünger auf einen gemeinsamen Weg mit ihrem Herrn Jesus gemacht. Ihre Geschichten kennen wir.
„Werdet Kinder des Lichtes!“ – Beim Nachdenken über diese Worte des Joh. ist mir diese Formulierung am meisten hängengeblieben. Ich finde sie wunderschön!
Wandel im Licht – Leben im Licht – kein Leben in der Finsternis, wo auch immer sie herkommen mag, welchen Namen auch immer die Finsternis haben mag! Nein, Leben im Licht! Leben, das seinen Namen verdient: lebendiges, erfülltes Leben! Was für ein starkes Bild!
Und dazu die Aufforderung: „Und glaubt an das Licht!“ Lasst euch diese Sehnsucht nicht nehmen!
Beides – das Leben im Licht und der Glaube daran – verbindet sich bei mir in der Formulierung „Werdet Kinder des Lichtes“. Drei Gedankenkreise dazu möchte ich Ihnen mitteilen:
Das erste, was mir dazu einfällt: Leben im Licht – das ist Leben in der Klarheit und in der damit verbundenen Wahrheit!
Nicht umsonst ist Gottes erstes Wort, das er in der Geisteseinheit mit dem Sohn zu dieser Welt spricht, sein „Es werde Licht!“
Nicht umsonst ist „Licht“ Gottes erstes Schöpfungs-werk. Und nicht umsonst steht diese Geschichte als erste Geschichte in der Bibel.
Leben im Licht ist Leben in der Klarheit und in der Wahrheit: im Licht erst werden Konturen deutlich; da verschwimmt nicht alles in der Unkenntlichkeit eines dämmrigen Grau; ja, bunt ist die Welt! Und jedes Geschöpf in ihr ist ein bischen anders: jedes Tier, jeder Mensch - ein jedes und jeder hat seine eigene Färbung, seine eigenen Konturen, Ecken und Kanten, seine hellen Seiten und seinen Schatten; bei Lichte besehen wird deutlich: jedes Leben hat seiner eigenen Wahrheit zu folgen, hat seinen eigenen Weg zu gehen! Und das erste, was Gott dazu sagt, ist: „Es ist gut so, ja, sehr gut!“
Freilich, die Zeit zu leben ist kurz. Und am Ende eines jeden Lebens wird wohl vor allem zählen, wie weit ein jeder dem gefolgt ist, was er als Wahrheit für sein Leben erkannt hat.
Also: Nutze den Tag! Werde klar, verschaffe dir Klarheit! Und vergiss nicht: Das Licht, das Klarheit schafft und in die Wahrheit leitet, kommt aus einer andern Welt: Wir sind nicht das Licht – auch wenn wir uns gerne für große Leuchten halten – sondern: Kinder des Lichts. Also: Lebe als Kind des Lichts! Lass dich bestrahlen von Gottes Klarheit in Jesus Christus! Lass dich durch ihn befähigen zum Wandel im Licht! Lass dich durch ihn rufen zum Glauben an das Licht!
Das Zweite, was ich sagen möchte: Leben im Licht – das ist: Leben in der Liebe!
Was das ist und wie das ausschaut, das haben Dichter und Denker aller Zeiten und an allen Orten immer wieder zu beschreiben versucht - und sind doch nie damit fertig geworden. Selbst der Apostel Paulus ringt um Worte in seinem 1. Brief an die Christen in Korinth, wo er im 13. Kapitel das Lied der Liebe singt.
Aber wer liebt, wer nur einmal geliebt hat, der weiß, wovon hier die Rede ist; der hat diese unbeschreibliche Kraft gespürt, die einen ergreift und alles erfüllt und alles in einem neuen Licht erscheinen lässt: sowohl die Licht-, aber eben auch die Schattenseiten des Lebens, des eigenen Lebens wie das des Geliebten.
Wer liebt, spürt, dass er jetzt erst wirklich lebt. Der weiß, was lebendiges, erfülltes Leben ist.
Wer liebt, der weiß jetzt schon, was am Ende seiner Tage zählt und welche Tage er genutzt hat. Und das sind, so vermute ich, nicht in erster Linie die Tage, wo er geliebt wurde, sondern die, wo er selbst geliebt hat.
Auch ich vermag nicht erschöpfend zu beschreiben, wie das ausschaut: ein von der Liebe erleuchtetes Leben. Weil ein jeder seine eigenen Konturen, seine eigenen Ecken und Kanten hat.
Ein dritter und letzter Gedanke: Leben im Licht – das ist Leben in der „Gemeinschaft der Heiligen“, wie wir im Glaubensbekenntnis sagen. Und wir meinen damit nicht, dass die Gemeinschaft der Gläubigen aus lauter Heiligen besteht. Nein, der Menschensohn musste erhöht werden, auf dass wir alle Gemeinschaft haben mit ihm, dem Heiland der Welt! Hier in dieser Welt durch sein Wort und Sakrament, dort in jener Welt im Schauen seiner Herrlichkeit.
Für die Zeit, wo wir noch unterwegs sind, brauchen wir deshalb auch die sichtbare Gemeinschaft der Kirche, die sich um sein Wort und Sakrament versammelt und daraus Glaube, Liebe und Hoffnung schöpft. Eine Gemeinschaft, die füreinander einsteht und gegebenenfalls auch einmal aufsteht wie am Ende des Films „Der Klub der toten Dichter“. Eine Gemeinschaft, die das Licht der Welt, Jesus Christus, immer wieder feiert und einmal im Jahr sich sogar mit einem Kerzenlicht in der Hand vergewissert, dass wir alle „Kinder des Lichtes“ sind.