04.06.2023 - "Unser Umgang mit dem Heiligen" - Predigt zu Jesaja 6,1-13 am Sonntag Trinitatis (Pfr. Fischer)

Trinitatis: Gottes heilige Kraft begegnet uns auf dreierlei Weise: schöpferisch, erlösend, belebend.

Wir hören unseren heutigen Predigtabschnitt

aus dem Jesaja-Buch mit den starken und zum Teil befremdlichen Bildern.

Ich lese 6. Kapitel, die Verse 1-13, in der die Berufung des Propheten geschildert wird:
In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron, und sein Saum füllte den Tempel.
Serafim standen über ihm, ein jeder hatte sechs Flügel: Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße, und mit zweien flogen sie.
Und einer rief zum andern und sprach: „Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!“
Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch.
Da sprach ich: „Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen.“
Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: „Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei.“
und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: „Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?
Ich aber sprach: „Hier bin ich, sende mich!“
Und er sprach: „Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet’s nicht; seht und merket’s nicht! Verstocke das Herz dieses Volks und lass ihre Ohren taub sein und ihre Augen blind, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen.“
Ich aber sprach: „Herr, wie lange?“
Er sprach: „Bis die Städte wüst werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen und das Feld ganz wüst daliegt. Denn der HERR wird die Menschen weit wegtun, so dass das Land sehr verlassen sein wird. Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, wo wird es abermals verheert werden, doch wie bei einer Eiche und Linde, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein.“

 

Liebe Gemeinde,

In drei Abschnitten möchte ich mit Ihnen diesen prophetischen Text bedenken:

 

I. Eine Gottesbegegnung der schaurigen Art!

In großen, theatralischen Bildern schildert uns Jesaja seine Vision: Er sieht Gott auf einem hohen, stattlichen Thron sitzen, mit einem Thronmantel, dessen Saum den Tempel füllt.

Seraphim, geflügelte Wesen mit 6 Flügeln, stehen über ihm.

Eins ruft dem anderen zu: „Heilig, heilig, heilig ist Jahwe Zebaoth.

Alle Lande sind voll von seinem Glanz und seiner Herrlichkeit!“.

Die Schwellen beben, das Haus ist voller Rauch.

Jesaja schauert es.

Kein Wunder!

Die Mächte, die den Tempel schwanken lassen, bedrohen ihn.

Voll Todesangst ruft er: „Weh mir, ich vergehe! Denn meine Lippen sind unrein! Und so bin ich vor Jahwe Zebaoth getreten.“

Und weiter sieht Jesaja, wie einer der Seraphen eine glühende Kohle vom Altar nimmt, damit seinen Mund berührt und ihm Vergebung seiner Sünden zuspricht. – Soweit der erste Teil – das, was Jesaja sah und noch Jahre danach genau beschreiben konnte.

Ich muss gestehen: so beeindruckend und großartig diese Bilder sind, als so fremdartig empfinde ich sie gleichzeitig.

Eine solche drastische Berufungsvision kann ich nicht vorweisen.

Eher schon sehe ich beim Lesen dieser Verse Szenen aus Fantasy-Filmen vor mir, in denen sich geflügelte Wesen tummeln.

Die sind ja momentan schwer angesagt.

Wo begegnen wir dem Heiligen?

Wir tun uns schwer.

Vielleicht unterscheidet das uns aufgeklärte moderne Menschen von der Religiosität der Gläubigen im Altertum.

So viele einst geheimnisvolle Phänomene der Natur können wir uns heute erklären – Blitz und Donner, Erdanziehungskraft und elektromagnetische Wellen.

Die Menschen sind schlauer geworden.

Die Naturwissenschaften haben viele naturwissenschaftliche Rätsel gelöst, unsere Grenzen ins Weltall hinaus erweitert.

Wir stecken in einer Falle – einerseits meinen wir, alles ohne Gott erklären zu können.

Andererseits sehnen wir uns nach einer übersinnlichen Macht, die endlich eingreift und Ordnung schafft im menschlichen Chaos.

Es klingt in meinen Ohren:

Dieses „Weh mir, ich vergehe!“ im Angesicht des Schreckens.

Zu oft haben wir es hören müssen in den letzten Wochen und Monaten.

Da erschreckt uns mehr denn je die Brutalität der Kriege und des Terrors unserer Zeit.

Die fast alltäglichen Bilder sind kaum mehr auszuhalten; wir stumpfen langsam ab, gewöhnen uns daran, lassen den Schrecken nicht zu nahe an uns herankommen.

Wenn wir auf die Zukunft unseres Planeten schauen, der ökologischen Katastrophe, die sich, wenn wir uns nicht ändern, unvermeidlich scheint:
Klimaerwärmung, Anstieg des Meeresspiegels und Vernichtung von Lebensraum.

Gleichzeitig verwandeln sich unsere Meere in gigantische Plastikmüllkippen.

Ein Artensterben im Tierreich wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit.
Die Liste ist leider noch nicht zu Ende.

„Weh mir! Weh uns!“

Fast scheint mir, als blickten wir zunehmend mit Grauen und Todesangst auf unser selbst gebrautes Elend: „Weh uns, wir vergehen!“

Wie der Zauberlehrling in Goethes Gedicht, der sich eingestehen musste: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los!“ Zu viel vom Heiligen entzaubert, zu viel selbst Gott gespielt!

Am Abgrund fragen wir neu nach dem Meister und hoffen, dass er die Geister bannen möge, die wir entfesselt haben.

 

Der zweite Abschnitt: Gesendet ins Dunkel der eigenen Zeit

Im nächsten Textabschnitt schildert Jesaja, was er hörte.

Gottes Stimme fragte nach einem Boten.

Und Jesaja meldete sich: „Hier bin ich. Sende mich!“

Dann erhielt er einen äußerst befremdlichen Auftrag: Als Folge von Jesajas Botschaft sollen die menschlichen Augen blind, die Ohren taub und die Herzen hart werden.

Eine düstere Vision wird vor Jesajas Augen ausgebreitet: wüste Städte ohne Einwohner, leere Häuser, brachliegende Felder und nach einer Reduzierung der Bevölkerung auf ein Zehntel dann nochmals Krieg.

Jesaja ist hier kein lieblicher Freudenbote.

Das ist kein Auftrag, der ihm Wählerstimmen einbringen würde.

Harte Zeitansagen werden von ihm gefordert, hinein ins Dunkel seiner Zeit.

Jesaja sollte sein Volk mit Gottes Willen konfrontieren und es auf den richtigen Weg zurückholen.

Auf einen Weg in Respekt vor Gottes Heiligkeit und vor der Würde der Mitmenschen.

Wir wissen, dass Jesaja viel Ablehnung erlebte.

Wir wissen auch, dass Jesaja rechtbehielt:

Später den Überfall der Assyrischen Großmacht, die Auslöschung der eigenständigen Existenz des Nordreiches Israel.

Und noch später wurde das Südreich, Juda, von den Babyloniern überrollt und ein Großteil der Bevölkerung in die Deportation verschleppt.

Jesajas mahnende Worte wurden ignoriert.

Und seine Zeitgenossen mussten mit den bitteren Konsequenzen leben.

Wir sind nicht Jesaja, Jeremia oder Hesekiel.

Aber auch wir wissen doch: Mit der schonungslosen offenen Wahrheit, unbequem aber ehrlich, lässt sich keine Wahrheit gewinnen.

Aber manchmal ruft uns Gott so wie Jesaja.

Manchmal kommt es vielleicht gerade auf unsere Worte an.

Oder auf konkrete Schritte:

Gott braucht unsere Stimme als Christen in dieser Welt.

Wo dürfen wir um unseres Glaubens willen nicht schweigen?

 

Der dritte Abschnitt: Lichtstreifen am Horizont

Da ist die Rede von einem Baumstupf als heiliger Same für etwas Neues.

Ein schönes Bild.

Das Volk Israel durfte es erleben: ein Teil blieb unversehrt im Südreich wohnen.

Und die Gefangenen durften nach 40 Jahren des babylonischen Exils in Schüben zurückkehren in ihre Heimat.

Daraus erwuchs die neue jüdische Gemeinde.

Gottes Gnade ermöglichte einen neuen Anfang in Jerusalem.

Und dann Jahrhunderte später wurde Gott Mensch;
der Himmel kommt auf die Erde.

Jesus verkündigt das Reich Gottes:

Gott ist euch nahe, jetzt hier, mitten unter euch, in meinen Worten und meinen Wundern, in Heilungen und in unserer Gemeinschaft – nicht zum Erschrecken, sondern zum Freuen.

Das Heil kommt zu euch.

Jesus ist nicht mehr sichtbar unter uns.

Aber wir haben Orte, wo wir Gott finden können; in denen Gott uns besonders nahe kommt, uns mit seinem Geist beschenkt und die von Jesus selbst eingesetzt sind:

Der erste Ort ist die Taufe:

Im Zeichen des Wassers verwandelt uns Gott durch seinen Geist, gibt uns Anteil an der göttlichen Welt.

Wir werden von neuem geboren.

Wie im Evangelium: ein Schriftgelehrter will es in der Nacht von Jesus wissen will.

Was muss ich denn tun, um etwas vom ewigen Leben zu erwerben?

Jesus: Neu geboren werden durch Wasser und Geist.

In der Taufe werden wir zu Gotteskindern – alles Trennende soll im Wasser „ersäuft“ werden, der neue Mensch daraus hervorgehen.

Wir Getaufte gehören zur „Gemeinschaft der Heiligen“.

Der nächste wichtige Ort ist das Heilige Abendmahl.

Da feiern wir die Gemeinschaft mit Gott und untereinander mitten in unserem oft dunklen Alltag.

Ganz nah kommt uns Gott.

Wir sehen, schmecken und fühlen seine Nähe.

So erleben wir ein Stück vom Reich Gottes, ein Stück Heil hier und jetzt, mitten unter uns – eine Gemeinschaft, die in Jesus Christus verbunden ist.

Alle sind in diesem Moment vor Gott gleich, Brüder und Schwestern.

Wir erfahren Vergebung und Versöhnung mit Gott und untereinander.

Und der dritte Ort ist das Gebet.

Gott lädt uns ein zum Gespräch, ohne Wenn und Aber!

Wir dürfen ihm unser Herz ausschütten.

Wir können uns freireden – und wir können uns freisprechen lassen.

Was in der Psychotherapie längst das hilfreiche Mittel ist, haben wir im Glauben im Gott schon längst entdeckt – und vergessen es doch viel zu oft.

Doch das Gebet ist und bleibt eine Herzensangelegenheit – eine Übung, die keine Last, sondern eine Befreiung ist.

„Kommet zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid“, sagt Jesus, „ich will euch erquicken“.

Im Gebet erfahren wir die Kraft zum Leben, weil das Gebet uns mit der Macht des Lebens verbindet.

So beschenkt uns Gott.

Ich wünsche uns diese Erfahrung,
die Begegnung mit dem dreieinigen Gott, dem Gott des Lebens und der Liebe.
Ich wünsche uns, dass unser Herz übervoll wird von Trost, Liebe und Geborgenheit und wir dann mit Jesaja einstimmen können:
„Hier bin ich! Sende mich!“

Zeig mir den Ort und die Aufgabe, wo ich Dir und Deiner Schöpfung dienen kann.

um Licht zu bringen, klare Ansagen zu machen und Frieden zu stiften.

Amen.