09.07.2023 - Alles ist gesagt -Predigt zu 1. Mose 12. 1-4 am 5.So.nach Tinitatis von Pfarrer Rr.Koller

Alles Wesentliche ist gesagt: Wer Gott ist; wer der Mensch ist; und wie es um unsere Welt bestellt ist. Was schon immer galt, was auch heute gilt und was immer gelten wird:
- Dass Gott „der Herr“ ist – jene unermessliche, unbegreifliche Macht des Lebens, die Leben schafft in staunenswerter Fülle und Vielfalt; und die das Leben wieder nimmt, wann immer es ihr gefällt. Dass Gott der All-Mächtige ist, vor dem alle anderen Mächte schlichtweg „Nichtse“ sind. Dass Gott, die Lebensmacht, einen Willen hat und nichts Anderes will als: Leben - in Fülle und Vielfalt!
Was schon immer galt, was auch heute gilt und was immer gelten wird:
- Dass der Mensch ein zwiespältiges Wesen ist: Gemacht von Gott nur wenig geringer als Gott – und doch bereit, seinen eigenen Bruder zu erschlagen; fähig zur intimsten Gemeinschaft und fähig zu jeder bodenlosen Gemeinheit; dazu berufen, an Gottes statt diesen Garten Eden zu bewahren und ihn zu einer Heimstatt für alle zu machen, fühlt er sich zu Höherem berufen, spielt sich auf als der liebe Gott und knechtet und tyrannisiert seine Mitmenschen, kennt keine Skrupel, jeden und alles zum eigenen Vorteil auszunutzen.
Was schon immer galt, was auch heute gilt und was immer gelten wird:
- Dass diese Welt, ja der ganze Kosmos ein unbeschreibliches Kunstwerk ist, Grund zum Staunen ohne Ende: Welch wunderbare Ordnung von Lebens-Räumen für Vögel und Fische und für alle Landtiere, auch den Menschen! Und der Mensch hat Sinn und Verstand, all dies zu erkennen. Ja, diese Welt ist wunderschön! Und doch seufzt sie an allen Enden, weil der Mensch ständig Unsinn macht, weil er ein unvernünftiger Haushalter ist, weil sein Trachten immer wieder abgrundtief böse ist. So kennzeichnen Leid und Schmerz und vieltausendfacher sinnloser Tod immer wieder die Wirklichkeit.
Was schon immer galt, was auch heute gilt und was immer gelten wird - Alles Wesentliche ist gesagt in den ersten Kapiteln der Heiligen Schrift, jenen mythischen Erzählungen in 1. Mose Kapitel 1-11. Es sind die großen Menschheitsthemen, die hier verhandelt werden: Woher kommt alles, was ist alles, wohin geht alles. Und die Verfasser zeigen im Verlauf dieser Geschichten beides: Einerseits ein lawinenartiges Anwachsen der Sünde und Gottes Strafen dafür, andererseits doch auch sein immer wieder gnädiges Handeln: Adam und Eva macht er Röcke aus Fell, damit sie „jenseits von Eden“ überleben können; dem Brudermörder Kain gibt er ein Schutzzeichen, dass er weiterleben kann, dem Noah setzt er den Regenbogen an den Himmel zum Zeichen, dass er die Rhythmen der Natur garantieren will. Es ist also die Geschichte Gottes mit den Menschen beschrieben, die eine ständig sich erweiternde Kluft zwischen Gott und Mensch zeigt, die Geschichte eines immer neuen Strafens und zugleich eines gnädigen Bewahrens.
Nun fehlt aber an einer Stelle diese tröstliche Bewahrung, nämlich am Ende der Urgeschichten. Die Geschichte vom Turmbau schließt mit einem gnadenlosen Gottesgericht über die Menschheit. Und die Frage drängt sich auf: Ist Gottes Geduld am Ende? Ist sein Verhältnis zu den Völkern dieser Erde endgültig zerrüttet? Ist wirklich alles gesagt?
Wir hören den Predigttext, wie er geschrieben steht 1. Mose 12. 1-4 – im unmittelbaren Anschluss an die mythischen Erzählungen der Urgeschichte in den Kapiteln 1-11:
[1] Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. [2] Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. [3] Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. [4a] Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm.
Mit einem Mal und abrupt hat sich das universale Blickfeld verengt: Welt und Menschheit, alle universalen Themen versinken und alles Interesse ist auf einen einzelnen Menschen konzentriert. Gott wählt aus der Fülle der Völker einen einzelnen Menschen aus, löst ihn aus seinen angestammten Bindungen und macht ihn zum Anfänger eines neuen Volkes und zum Empfänger großer Heilsverheißungen. Und das hat Gott selbst den Verfassern der Urgeschichte offenbart: Dass schon am Anfang des Weges hinein in ein besonderes Gottesverhältnis ein Wort über das Ende dieses Weges steht: nämlich die Andeutung, dass das Heil, das dem Abraham zuteilwird, am Ende allen Geschlechtern auf Erden zuteilwerden wird. Als Christen sehen wir uns als Erben dieser Abrahams-Verheißung.
Liebe Gemeinde, drei Gedankengänge als Anregung zum selber weiterdenken:
1. Alles beginnt damit, dass Gott zu einem einzelnen Menschen spricht. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Freilich, seine Stimme wird gerne überhört. Sie ist nicht laut, die Stimmen des Alltags sind in der Regel lauter. Aber wer sie hört, der wird ein anderer, ein „neuer Mensch“ wie der Apostel Paulus sagt. Er erfährt sich als einen, der von der Macht des Lebens persönlich angesprochen wird, der berufen, herausgerufen wird. Die „Ecclesia“, die Kirche ist ihrem griechischen Wortsinn nach ja nichts anderes als die Gemeinschaft der „Herausgerufenen“….sagen wir einfach mal: aus den eingefahrenen Gleisen des Denkens und des Verhaltens, aus dem Alltagstrott unseres Egoismus, unserer Freudlosigkeit, unserer Blindheit gegenüber dem Wunder des Lebens, dem Wunder des Mitmenschen, den vielen Wundern der Mitgeschöpfe.
Abraham, so wird die spätere Tradition vermuten, sah sich herausgerufen aus einer falschen Gottesverehrung – ein Gedanke, der bei näherem Hinsehen durchaus Plausibilität hat. In jedem Fall bedeutet es Aufbruch und Neuanfang, wenn ein Mensch Gottes Stimme hört. Er wird auf einen Weg geschickt in das „Land der Verheißung“, das Ziel ist ein erfülltes, ein sinnvolles Leben, das es nur in der Gemeinschaft mit allen gibt, mit allen Mitmenschen, mit allen Mitgeschöpfen. Dazu beruft Gottes Stimme.
2. Alles lebt von Gottes Segen. „Ich will dich segnen“ spricht Gott. Die ursprüngliche Bedeutung von segnen meint „mit heilvoller Kraft begaben“. – Ja, es geht etwas Heilsames von Menschen aus, die staunen können über das Wunder des Lebens; die dankbar sind für jede geschenkte Lebenszeit; die einem anderen Menschen ganz nah sein können, ohne Angst um sich selber zu bekommen; die klar sind in ihren Worten und Taten; die immer noch Hoffnung haben trotz allem; die Lebensfreude ausstrahlen, weil sie etwas spüren vom Geheimnis der Lebenskraft. Wer so von Gott gesegnet ist, von dem geht sozusagen von selbst ein Segen aus – trotz, oder vielleicht muss man sagen: gerade wegen des vielen Fluchens und Verfluchens auf Erden. Der wird zum Mitstreiter Gottes für das Leben in gelingender Gemeinschaft.
3. „Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte“. – Im NT berichten die Evangelisten, wie die Jünger Jesu Ruf in die Nachfolge folgten. Auch da keine Diskussionen, kein Wenn und Aber. Sie folgten einfach seiner Stimme.
So ist das: Entweder man tut es, oder man lässt es sein; entweder man hört Gottes Stimme und folgt ihr, oder man verschließt das Ohr und in der Regel auch das Herz. Entweder lässt man sich von Gott führen, oder man folgt anderen Führern. Entweder vertraut man auf ihn oder immer nur auf seine eigene Kraft. Ein Drittes gibt es nicht. Und mehr ist auch nicht zu sagen.

Freilich, Poeten und Dichter vermögen manche Dinge auch noch anders zu sagen, so dass nicht nur der Verstand sondern auch unsere Seele angesprochen wird. Schon in meiner Jugendzeit, aber auch immer wieder in den Jahren seither, hat mich ein Gedicht von Hermann Hesse tief in meiner Seele berührt. Wenn ich es Ihnen jetzt vortrage, dann in der Hoffnung, dass der „Weltgeist“ – ich würde sagen: der Heilige Geist – auch Ihre Seele berühre und bereit mache zu Aufbruch und Neuanfang:
„Stufen“:
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden....
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!