15.10.2023 - "Heilung ist möglich" - Predigt am 19. Sonntag nach Trinitatis zu Jakobus 5,13-16 (Pfarrer Stefan Fischer)
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Unser Predigtwort stammt aus der, wie Luther dieses biblische Buch bezeichnete, „strohernen Epistel“, dem Jakobusbrief, Kapitel 5, die Verse 13-16:
13Leidet jemand unter euch, der bete;
ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen.
14Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.
15Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.
16Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet.
Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.
Liebe Gemeinde,
„Es gilt als bewiesen, dass Christen gesünder sind als andere Menschen.
Sie haben weniger psychischen Stress, heißt es, und bessere Wege der Verarbeitung.“
Dieses Zitat steht als Aufmacher in einer digitalen Smartphone-App, die als liturgischer Wegweiser durch das Kirchenjahr führt, über dem heutigen Sonntag.
Erste Reaktion: Draufschauen. Nachdenken. Staunen. Wundern. Weglegen.
So könnte das zumindest sein.
Dann aber kommt der Blick in die Wirklichkeit des Lebens und dann ändert sich der Umgang damit:
Wer sich heute nämlich in der Kirche umschaut, wird das kaum bestätigen können.
Weniger psychischer Stress unter Christinnen und Christen? – Die Erfahrung und die Realität spiegelt das nicht wider.
Ganz im Gegenteil.
Diese Tage setzten uns allen zu.
Die vielen, ineinandergreifenden Krisen in der Welt gehen uns an die Nieren, setzen uns unter zum Teil enormen psychischen Druck.
Der weitgehend unentschlossene Kampf gegen den Klimawandel, die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, der Ukrainekrieg, die Krisen weltweit, und zuletzt die Lage im Heiligen Land – das alles geht uns an die Nieren; wir haben das Gefühl von Orientierungslosigkeit, Zukunftsangst.
Wer seinen eigenen Lebenskreis verlässt und hingeht in die Ecken und Winkel unserer Städte, in denen die Menschen nur wenig zum Leben haben, obwohl sie schwer arbeiten und doch immer wieder um ihr Auskommen und ihre soziale Stellung in der Gesellschaft bangen und ringen, wird erfahren, wie schwer es ist, nicht unter Druck zu sein.
Da steigen die Wut und der Zorn auf die Lebensverhältnisse und auf den unkoordinierten und mühsamen Wandel.
Es lässt viele tief verunsichert, ratlos und mit einem Gefühl der Missachtung zurück.
Der psychische Druck sucht sich gelegentlich Wege nach außen.
Da werden Verletzungen zugefügt, die lange nicht heilen werden.
Das aber ist in der Kirche und unter Christinnen und Christen nicht anders als sonst auch.
Es hat den Anschein, dass diese Welt und die Bedingungen, unter denen wir leben, die Menschen krank machen.
Sie machen krank im Nachdenken und Grübeln.
Sie machen krank an Leib und Seele.
Nicht wenige haben in den letzten Jahren viel zu schaffen damit.
Viele kommen aus dem Drehen und Kreiseln um immer neue Anforderungen und Belastungen nicht mehr heraus.
Manche fallen um und finden, wenn überhaupt, nur unter Mühen den Weg ins Leben zurück.
Dass das unter Christinnen und Christen nicht anders ist, lässt sich an unseren kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ablesen.
Die Institution Kirche steht als Institution und als Arbeitgeberin unter dem großen Veränderungsdruck.
Da ist es gleich, ob es um ehrenamtlich oder beruflich Beschäftigte geht.
Die Kirche ist in keiner Konfession mehr verlässlich der sichere Hafen des Trostes, der Gemeinschaft und des ruhigen Miteinanders, die sie eigentlich sein sollte.
Jedenfalls für viele Menschen nicht mehr.
Noch ist es nicht überall so – Gott sei Dank!
Es gibt auch ganz andere Beispiele von miteinander und tröstender, geistlicher Gemeinschaft.
Doch wir müssen die Veränderungen schon ernst nehmen.
Die zunehmende Frustration und Belastung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, von Kirchenmitgliedern, die enttäuscht ihrer Kirche den Rücken zuwenden.
Das Gefühl nach kirchlicher Heimat verliert sich immer mehr, wenn das seelsorgende Personal immer weniger wird, Pfarrhäuser aufgegeben, Kirchen und Gemeindehäuser geschlossen werden.
Die hohe Zahl an Kirchenaustritten steht dafür:
So viele Menschen gibt es, die diese Heimat gerade auch angesichts der existentiellen Fragen der Zeit nicht mehr finden.
Was ist das also, was in dieser Gesellschaft und in ihr in dieser Kirche so sehr fehlt?
Schauen wir auf diese Welt, dann wird deutlich, wie sehr Menschen in ihr einsam sind.
Sie werden mit ihren Problemen allein gelassen, bedrängt von einem Dogma der Selbstverantwortlichkeit und einer Strategie, Debatten und Probleme auf einer sehr oberflächlichen Ebene anzugehen.
Gesellschaftliche Probleme werden auf die Einzelnen abgeladen.
Sie werden nicht mehr diskutiert, sondern mit einer Friss-oder-stirb-Mentalität“ behandelt, in der wir in Konkurrenz zueinanderstehen.
Das Gemeinsame, die gemeinschaftliche Vision von Zukunft und freundlichem Leben für alle Menschen, zerbricht dabei.
Das ist für mich der Kern des Problems.
Geistlich ist das der Verlust einer Vorstellung vom Reich Gottes schon in dieser Welt.
Aber sie ist da, die Sehnsucht nach Gemeinschaft, nach Nähe und Geborgenheit.
Und nun, was tun?
Orientierung ist nötig und Leitung.
Die Menschen sehnen sich nach Heilung des eigenen Lebens und in all dem auch nach dem Heil unseres Gottes, wo es keine Tränen mehr gibt, kein Geschrei, kein Leid und keinen Schmerz.
Als Christinnen und Christen steht es uns nicht nur in solchen Zeiten gut an, die Bibel als Wort Gottes für unsere Zeit wahr- und ernst zu nehmen, aber hier nun gerade besonders.
So wie das der Apostel im Jakobusbrief zu seiner Zeit auch getan hat: „Zur Zeit der Angst werden alle Heiligen zu dir beten“, heißt es im 32. Psalm.
Das weiß der Apostel.
Er hält sich fest an der alten Überlieferung und dem Wissen um die Kraft des Glaubens und an der heilenden Wirkung der Gemeinschaft.
Also schreibt er an seine Gemeinde und bietet dieses Rezept an.
Der Apostel schreibt von den Kranken, die im Kummer gefangen sind.
Er schreibt vom Leid.
Die Menschen sorgen sich um ihre Zukunft.
Sie fürchten das Ende ihres Lebens und sie hoffen auf Besserung und auf einen neuen Aufbruch.
Sie hoffen auf eine Welt, in der sie weiterexistieren und sein können.
Aus dem Dunkel hinein in ein neues Licht.
Sein Rezept, die Therapie des Apostels aber ist ganz klar.
Er schreibt es ausdrücklich:
Beten, singen, mit Öl salben, Sünden bekennen.
Für uns heute übertragen heißt das eigentlich nur das: Der Apostel schreibt von einer sich liebenden Gemeinschaft.
Die Menschen sollen zusammenkommen, die Kranken, die aus der Bahn eines geordneten Lebens geworfen sind, nicht allein lassen, sondern sich unter- und miteinander verbinden.
Was er beschreibt, ist der Weg, den wir zueinander finden.
Hin zu den Menschen in ihrer Not, in ihrer Schuld und Gemeinschaft stiften mit Jesus Christus, der uns vergibt und befreit.
Der Apostel reißt diese Welt aus der Vereinzelung und dem alleinigen Drehen um sich selbst heraus, in dem jede und jeder mit den Problemen allein fertig werden muss.
Er ruft zur Gemeinschaft und zur Wahrnehmung der vorhandenen Notwendigkeiten und Bedürfnisse.
Das ist genau der Ruf ins Reich Gottes, den die Menschen dieser Zeit ersehnen.
Schon hier in dieser Welt.
So wird es einmal sein, wenn wir, durch Jesus Christus erlöst, aus den Gräbern gerufen werden.
So soll es aber auch hier schon sein, weil sich nur so die Liebe zum Leben und die Vergebung Gottes über diesem Leben erfahren lässt.
Das ist der Trost, den wir Menschen in schweren Zeiten brauchen und der uns die Arme Gottes trägt.
Das schaffen wir nur zusammen und gemeinsam.
Für den Apostel ist das keine Frage.
Bleiben wir mit Sorgen und Herausforderungen allein, bleibt es auch schwer im Leben.
Packen wir gemeinsam an, gestalten wir eine neue Welt und der Gott wird uns aufrichten.
Seit dem Ostermorgen feiern wir, dass Gott Jesus Christus von den Toten auferweckt hat.
Seither wissen wir, dass Aufstehen zu uns gehört.
Wir bleiben nicht zurück in der Dunkelheit des Todes.
Seither gehen wir aufeinander zu, um das Leben gemeinsam zu gestalten - in der Freiheit der Kinder Gottes.
Also, sind Christinnen und Christen, ist die Kirche nun vielleicht doch besser gefeit vor den Belastungen dieser Welt?
Sind sie vielleicht doch gesünder und können mit psychischem Stress besser umgehen? –
Man kann daran zweifeln, aber ich denke, dass wir es mit Gott und miteinander besser haben.
Im Glauben liegt das Potential, Abhilfe zu schaffen, wenn wir tun, was unsren Glauben hält und trägt, wenn wir schaffen, wozu wir als Kirche da sind:
Die Nähe Gottes in das Leben der Menschen bringen.
Auch und gerade in die verborgenen Ecken unserer Gesellschaft: Seinen Trost, sein Leben, seine Orientierung, seine Solidarität mit den Bedrückten und in allem seine Liebe und seine Zukunft.
Im Namen Gottes geht das.
Die Gemeinschaft Gottes heilt.
Daraus lässt sich das Leben neu gestalten.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Gebet:
Lieber Herr und Gott, wir kommen an diesem Morgen zur dir mit allem, was uns aus der zurückliegenden Woche beschäftigt und bewegt.
Wir kommen zu dir mit allen Fragen der Zukunft, die vor uns liegt.
Vor allem aber kommen wir zu dir, um dir zu danken:
Froh über unser Leben, dass wir lieben und atmen, dass wir kräftig sind, deinem Ruf zu folgen und in diesem Moment vereint sind als glaubende, tröstende und aufrichtende Gemeinde.
Manchmal aber geht es über unsere Kraft.
So komm uns nahe, Gott, mit deiner befreienden Kraft, die Verschlossenes öffnet und neue Stärke gibt.
Komm mit deiner Wärme, die wohltut und heilt.
Durch unsern Herrn Jesus Christus, der mit dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schafft in Ewigkeit.
Amen.