12.11.2023 - "Hoffnung macht lebendig" - Predigt zu Römer 8,18-25 am Drittletzten Sonntag des Kirchenjahres (Pfarrer Stefan Fischer)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Mit welchen Gefühlen blicken wir in die Zukunft?
Was erwarten wir von der Zukunft?

Es ist die Zeit der Meinungsumfragen gegen Ende des Jahres.
Die Antworten malen ein eher düsteres Bild, das viele Menschen vor sich sehen, wenn sie an ihre Zukunft denken.

Sie fühlen sich schwach und verängstigt, sehen keinen Ausweg mehr aus Schuldenfalle, Klimawandel und Krisen im häuslichen Bereich und natürlich die weltweiten Krisen, Kriege, Tod und Zerstörung, Flucht … begleitet vom Gefühl allein gelassen zu werden von der Familie, dem Sozialstaat und auch der Kirche.
Eine hoffnungslose, resignierte Stimmung breitet sich aus.
Manche sprechen von Endzeitstimmung.

 

Daneben auch immer wieder hoffnungsvolle Ausblicke auf die Zukunft.
Wir können auch diese Krise – wie so viele andere in unserer Geschichte meistern.
Da zeigt sich nach langer Trauer wieder das Licht neuen Lebensmutes und Neuaufbruchs zurück ins Leben.

Vereinzelt stellt sich auch Optimismus und die vorsichtige Die Hoffnung stirbt zuletzt – und das ist gut so.

Allerdings ist sie auch ein zartes Pflänzchen, dass gepflegt werden muss.

Hoffnung keimt auf, manchmal nur für einen kurzen Augenblick, manchmal auch so, dass sie dem Leben eine neue Richtung gibt.

Doch wie schnell kann sich alles wieder verändern?

Wir haben es in unserer Hand, ob wir Hoffnung sähen oder rauben.

 

In George Orwells Fabel „Farm der Tiere“ sehen es die Tiere so: Das Leben besteht aus Arbeit, Hunger und Entbehrungen.

Es ist ein klägliches Leben, voller Leid und Schmerzen.

Die Tiere bekommen von dem unbarmherzigen Besitzer der „Herrenfarm“ gerade mal so viel Futter, wie sie zum Überleben brauchen.

Doch mit einem Mal scheint in dieses hoffnungslose, traurige Leben ein heller Lichtstrahl hinein.

Old Major, das älteste Tier der Farm, hat einen Traum.

Es ist ein Traum, der die Hoffnung auf ein anderes, ein besseres Leben in der Zukunft weckt;

Old Major träumt von einem Aufstand der Tiere gegen die Menschen, die für ihn die natürlichen Feinde der Tiere sind.

Er sieht die Vision eines gleichberechtigten und friedlichen Zusammenlebens aller auf der Farm.

Alle sind gleich und können in Würde miteinander leben.

 

Schon bald nach dem Tod von Old Major wird dieser Traum Wirklichkeit - zunächst jedenfalls.

Mit Mut und List vertreiben die Tiere die Menschen von der Farm.

Alle Zeichen der Unterdrückung, wie Peitschen und Ketten, werden vernichtet.

Regeln für das neue Zusammenleben werden aufgestellt.

Und nach einer kurzen, unbeschwerten Zeit, in der zwar alle hart arbeiten, aber auch für die Mühen belohnt werden, geschieht das Schreckliche:

Die Schweine übernehmen nach und nach die Herrschaft über die Farm.

Mit immer neuen Tricks und durch kleine Veränderungen der Regeln des Zusammenlebens, beuten sie am Ende die Tiere genauso aus wie früher die Menschen.

Die Tiere verstehen erst nach und nach, was passiert und wie die guten Ideen des Anfangs missbraucht und pervertiert werden.

Die Schweine tragen schließlich Kleidung wie die Menschen, leben im Farmhaus wie der ehemals verhasste Besitzer der Farm, trinken Alkohol und sitzen einträchtig mit den Nachbarfarmern beieinander.

Voll Entsetzen erkennen die anderen Tiere: Die Gesichter der Schweine und die Gesichter der Menschen sehen gleich aus!

 

Ich mag diese Geschichte sehr: Sie ist wunderschön, weil sie von der Hoffnung und der tiefen Sehnsucht aller Lebewesen nach einem erfüllten Leben erzählt.

Sie ist traurig, weil diese Hoffnung am Ende enttäuscht wird und sich Ausbeutung, Leid und Gewalt durchsetzen.

Gibt es dennoch Hoffnung? –

Eine Hoffnung auf Befreiung aller Lebewesen von Leid und Unterdrückung?

Eine Hoffnung, die am Ende bestehen bleibt und nicht enttäuscht wird?

Der Apostel Paulus schreibt in seinem Brief an die römische Gemeinde von einer Hoffnung, die das gegenwärtige Leid nicht ausblendet und dennoch Befreiung für alles Lebendige verheißt.

 

Wir hören den Predigttext aus dem Römerbrief im 8. Kapitel, die Verse 18-25:

18 (Denn) Ich bin überzeugt, dass dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.
19 Denn das ängstliche Harre der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden.
20 Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit – ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung;
21 denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.
22 Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.
23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindeschaft, der Erlösung unsers Leibes.
24 Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung.
Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht?
25 Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.


Diese Worte des Paulus klingen unerhört zuversichtlich.

Ein wenig erinnern sie an die vollmundigen Versprechungen, die wir heute auch von anderer Seite hören und denen wir mitunter so gern Glauben schenken, besonders dann, wenn wir selbst nicht gerade voller Vertrauen in die Zukunft blicken:
Die ewige Treue, die der neue Liebhaber verspricht, der Aufschwung, der nach den Wahlen versprochen wird.
Solche Zukunftsversprechen unterliegen dem Verdacht der Illusion und der Enttäuschung.
Und die christliche Zukunftshoffnung, die Paulus hier so glühend verkündet, wird von nicht wenigen Menschen als Vertröstung empfunden - als Vertröstung auf eine bessere Zukunft angesichts einer schlimmen Gegenwart.

 

„Ich bin überzeugt ...“, so beginnt Paulus seine Predigt vollmundig und beschreibt, dann, worauf er seine Hoffnung baut.

Paulus predigt Hoffnung für die seufzende, nach Erlösung von Leid und Vergänglichkeit sich sehnende Schöpfung - Hoffnung für alle geschundenen Tiere und Pflanzen, für das verschmutzte Meer und die abgetragenen Berge; Hoffnung aber auch für alle Nichtchristinnen und Nichtchristen:

Hoffnung auf Erlösung von Leid, Schmerz und Vergänglichkeit für die ganze Erde.

Paulus konnte dabei noch nicht unsere aktuellen Probleme vor Augen haben – aber es scheint sich ein destruktiver roter Faden durch die Menschheitsgeschichte zu ziehen.

„Der Mensch ist der Feind der übrigen Schöpfung“ - so hatten es die Tiere in der Fabel gesehen.

Und so sieht es auch Paulus, wenn er davon spricht, dass die gesamte Schöpfung unter der Vergänglichkeit und Vergeblichkeit leidet, ohne eigenes Verschulden - verursacht durch uns Menschen.

 

Doch dieses Leiden ist für Paulus eine Art Durchgangsstadium zu einem neuen Leben.

Wie eine schwangere Frau, die in Wehen liegt, hört und sieht Paulus die Schöpfung seufzen, stöhnen und gespannt warten.

Die Haltung eines auf Beute lauernden Tieres, das den Kopf weit nach vorn streckt, den ganzen Körper angespannt hat und sprungbereit ist - sie wird für Paulus zum Symbol für die gespannte Erwartung der Schöpfung. Sie wartet darauf, dass wir, die Christen und Christinnen, endlich als Söhne Gottes offenbar werden.

Denn auch wir seufzen und sehnen uns nach Erlösung von unserem Leid, der Hoffnungslosigkeit und der Vergänglichkeit.

Wie gut kann ich Paulus bis hierher verstehen.

 

Dann macht Paulus deutlich: Es kommt darauf an, dass wir als Söhne - und wir können heute auch hinzufügen - als Töchter und Söhne Gottes offenbar werden.

Denn die Hoffnung für die Schöpfung hängt an der Hoffnung, die uns Christinnen und Christen von Gott geschenkt wurde.

 

„Sohn Gottes“ war ursprünglich ein Königstitel, der für Freiheit und Unabhängigkeit stand.

Söhne sind nicht mehr Sklaven oder Knechte.

Sie gehören ganz eng zu Gott. Die frühe Christenheit hat diesen Titel dann auf Jesus Christus übertragen - er ist der Sohn Gottes.

Und wir werden von Gott durch die Zugehörigkeit zu Jesus Christus zu Töchtern und Söhnen Gottes. Paulus sagt: Alle, die vom Geist Gottes erfüllt sind, tragen schon jetzt etwas von dem in sich, zu dem Gott sie einmal bestimmt hat - Freie Kinder Gottes zu sein, ohne Angst und Unterdrückung, ohne Leid und Vergänglichkeit.

Wir sind von Gott dazu bestimmt, mit der ganzen Schöpfung und mit ihm selbst eins zu werden, verbunden mit allem Lebendigen in einer neuen, verwandelten Welt.

 

Wir wissen nicht, wie diese neue Welt Gottes aussehen wird!

Paulus formuliert da ganz vorsichtig.

Denn eine Hoffnung, die man sieht, ist keine Hoffnung, schreibt er.

An anderen Stellen malen ja die Texte des Neuen Testamentes wunderbare Bilder für diese neue Welt Gottes: Einen neuen Himmel und eine neue Erde, einen blühenden Garten oder das himmlische Jerusalem.

 

Paulus hat in seinem Leben selbst Not, Leid und Hoffnungslosigkeit erlebt.

Er hat erfahren, dass alle menschlichen Ideen und Ideologien, auf die wir unsere Hoffnung richten, missbraucht werden können.

Darum predigt er so leidenschaftlich allein den Sieg Gottes über alle Gewalten.

Paulus weiß nicht, wie die neue Welt Gottes aussehen wird.

Aber er ist überzeugt davon, dass wir von Gott dazu bestimmt sind, als neue Menschen, als Gottes Töchter und Söhne gemeinsam mit der ganzen Schöpfung in ihr zu leben.

 

Und unsere Gegenwart?

Sie mag oft hoffnungslos aussehen.

Mit unserem Mut und unserer Entschlossenheit, für Gottes neue Welt hoffnungsvoll einzutreten, mag es oft mau aussehen.

Doch wir sind als Töchter und Söhne Gottes auf Hoffnung hin gerettet.

Darauf haben wir das Versprechen Gottes.

Gottes neue Welt - sie wird so sein, dass uns am Ende alle Leiden dieser Zeit nicht mehr belasten.

Ein Leben aus dieser Hoffnung setzt auch positive Energie für das Heute frei.

Der Blick auf Gottes Zukunft könnte uns mutiger machen für unsere Aufgaben in der Gegenwart.

Gott helfe uns dazu mit seiner Liebe und Gnade.

 

Sein Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.