24.12.2023 - "Hirtenerwartungen" - Predigt zur Christmette zu Lk 2,1-20 (Vikar Fabiunke)

Liebe Gemeinde,

 

Israel war ein Hirtenvolk.

In diesem Volk zirkulierten vielerlei Bilder, Geschichten und Eindrücke des Hirtenberufes.

Dementsprechend zahlreich sind die Belege der Wörter „Hirten“ oder „hüten“in der Bibel,

dementsprechend bekannt sind sie.

Schließlich wurde das Bild des Hirten sogar auf Gott übertragen.

„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.

Er weidet mich auf einer grünen Aue

und führet mich zum frischen Wasser“

Viele von Ihnen werden den bekannten Psalm 23 problemlos weiter beten können.

Aber auch diesseitige Herrscher wurden in Israel als Hirten angesehen.

Beim Propheten Ezechiel erfährt man, dass die Israeliten auf einen „Knecht David“ hofften, der Israel unter den Völkern zum Blühen bringen sollte.

„Ich will einen einzigen Hirten erwecken,

der sie weiden soll, nämlich meinen Knecht David.

Der wird sie weiden und soll ihr Hirte sein,

und ich, der Herr, will ihr Gott sein.“ (Ez 34, 23-24)

König David selbst begann einst seine steile Karriere als Hirte.

Und im 2. Buch Samuel kommen dann tatsächlich alle Stämme Israels zu ihm, um ihn zum weltlichen Herrscher mit Hirteneigenschaften zu erheben:

Gute Herrscher sind Hirten.

Ich möchte mir es so vorstellen, dass die Hirten im Felde, welchen in der Weihnachtsnacht von dem Engel die Geburt des Heilands verkündet wurde, auch von der Prophetie Ezechiels wussten.

Und was dann in den Hirten an der Krippe geschah, kann man sich wohl als ein „Zur-Deckung-Bringen“ vorstellen:

Das, was dir Hirten kannten, passte schließlich auf eigenartige Weise zu dem, was die Engel ihnen verkündet hatten, und was sie an der Krippe später zu erleben schienen.

Die Erwartungen der Hirten und das reale Geschehen, schienen in dieser Nacht zu verschmelzen.

Aber dieser Herr war nicht einer wie es noch David war!

David nämlich blieben nichts als die irdischen Mittel der Herrschaft, um den göttlichen Herrschaftsauftrag zu erfüllen:

Heldenmut, Waffengewalt, Liebreiz, Talent und Stärke.

David beschützte seine Herde vor den Raubtieren.

Nichts war den Hirten an dieser Herrschaftspraxis fremd.

Sie verteidigten die Feinde von außen, und schufen Frieden nach innen.

Der neue König aber, der da in Windeln gewickelt vor den Hirten lag, der sollte ein Königreich bauen, welches nicht von dieser Welt war.

Doch wie sollten die armen Hirten dies in der Weihnachtsnacht wissen?

Wenn der Engel also spricht „fürchtet euch nicht!“ so hat das seinen guten Gründe.

Einmal könnte die Engelserscheinung selbst furchterregend gewesen sein.

Aber ich möchte Ihnen noch einen weiteren Gedanken dazu anbieten:

Vor Herrschern, auch vor kommenden, hat man sich ganz einfach zu fürchten.

Herrschaft ist erst mal auch furchterregend.

Wir heute wissen, dass der Engel eine nie dagewesene Herrschaft verkündete.

Den Hirten damals blieb nichts, als mit bekannten Herrschaften zu rechnen.

Der Prophet Ezechiel prophezeit scheinbar alt-Bekanntes:

„Und sie sollen nicht mehr den Völkern zum Raub werden, und kein wildes Tier im Lande soll sie mehr fressen, sondern sie sollen sicher wohnen, und niemand soll sie schrecken.“ (Ez 34, 28)

Was die Hirten nicht wissen ist doch dies:

Der da kommt, ist derjenige, der das Verlorene sucht.

Er ist der, der sich über ein verlorenes und wiedergefundenes Schaf mehr freut, als über eines, das nie von seiner Seite wich.

Er sucht, was verloren ist. Nicht sucht er Macht, Gesundheit und Reichtum.

Jesus war nicht Anführer einer bewaffneten Bewegung, die sich des Jerusalemer Tempels bemächtigte.

Seine Bewegung verfügte über keinerlei finanziellen Mittel.

Gekrönt wurde er nicht mit der Krone von Königen, sondern mit einer Krone des Spottes: „Der König der Juden“.

Und trotzdem halte ich daran fest, dass er eine Herrschaft ausübte, welche die Menschen sowohl vor den wilden Tieren, als auch vor dem Schrecken innerer Bedrohung bewahrte – Jesus dementsprechend echter Hirte war:

„Der Herr und Heiland“, predigte Martin Luther am ersten Weihnachtsfeiertag des Jahres 1538, „ist gekommen und ist dazu geboren und mit gleich worden, dass er mir freundlich zusprechen und die Wort ins Herz hineintreiben will: fürchte dich nicht!

Ich bin kein Wolf oder Bär, und will dich nicht zerreißen, bin auch nicht dein Teufel, der dich wegführte, sondern ein Heiland und will dir helfen aus aller Not, aus der dir weder Mensch noch Engel helfen kann. Ich will in den Schlamm treten und nicht wieder hinausgehen, ich nähme dich denn mit.“

Ein solcher Herrscher bewahrt uns vor den „Wilden Tieren“, nicht zuletzt auch der Bestie in uns, indem er uns zum irdischen Vorbild wurde, und als solches Pfade beschritt, die bis dahin im Verborgenen geblieben waren – schlammige Pfade.

Anders noch als die Hirten, müssen wir uns nicht aufmachen, um unserem neuen Herrn zu begegnen.

Und schon gar nicht müssen wir auf einen herrschaftlichem Portikus hinaufblicken, wenn wir ihn dann empfangen.

Aufstiege zu einem Thron oder Altar wären von Nöten, um einem König David zu begegnen. Christus aber wurde uns, die wir auch das Zeugnis seines erwachsenen Lebens haben, geschenkt und mitten unter uns gesandt – „in den Schlamm“, wie Luther schreibt.

Und so schön der winterliche Sternenhimmel auch sein mag:

vielleicht ist gerade Weihnachten das Fest, an dem wir hinab schauen sollen statt hinauf.

Auf die weihnachtliche Herrschaft Gottes schauen wir hinab.

Hinab, denn sie ist bereits hier unten bei uns.

Gott kommt uns zuvor.

Hinab, weil sie im Kleinen, im Irdischen, im Menschlichen zur Verwirklichung kommt:

– in unseren Lichtern und Bräuchen, in den Kindern, und in unseren Gemütern.

Hinab schauen wir, weil die weihnachtliche Herrschaft Gottes häufig da aufkeimt, wo wir sie nicht vermuten:

bei den Einsamen und Bedürftigen in unserer Mitte.;

aber auch in Streit und Hader

und in gestressten Seelen.

Der Blick meines zaghaften Glaubens wandert verzweifelt umher.

Wo ist er , der Punkt an dem Ruhe herrscht, den mir Gott als Versicherung zusendet?

Ich suche den Himmel ab: nichts.

Ich schaue auf mich selbst: nichts.

Wir hören nochmal Martin Luther:

„zuvor gab Gott Himmel und Erden zum Pfand für das erste Gebot 'Ich bin der Herr, dein Gott': sind die Wort zu schwach, so schaue Himmel und Erden an, die dir dienen.

Sind auch die zu schwach, so schau den Sohn an: er kam nicht in Gestalt eines Engels, nicht in Feuerflammen, viel weniger als ein Bär, sondern in deiner Gestalt, von einer Jungfrau geboren, in lauter sanftem Wesen, daß du nicht erschrecken müsstest.“

Heute feiern wir Weihnachten und damit die tiefe Einsicht, dass Gott für und auf dieser Erde nichts als unser Leben will, und sich notfalls wie ein guter Hirte selbst aufmacht, um das Verlorene zurückzuholen.

Schauen Sie hinab auf das Kleine;

auf all die wunderbaren Details der Weihnachtszeit;

Lassen Sie sich von dem Kind in der Krippe anrühren;

Beschauen Sie es ruhig lange und ausgiebig;

Der gute Hirte ist längst unter uns;

Hier unten haben wir heute alles.

„Wenn solches dich nicht tröstet“, schreibt der große Reformator, „dass der Schöpfer dir gleich wird und in deiner Gestalt darhergeht, was soll dich dann trösten?“

Amen.