31.12.2023 - Gottes Weihnachtsprogramm - Predigt zu Matthäus 2,13–23 am 1. Sonntag nach Weihnachten von Pfarrer R. Koller

13 Als sie aber hinweg gezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir's sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen.

14 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten

15 und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Hosea 11,1): „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.“

16 Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Kinder in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erkundet hatte.

17 Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht (Jeremia 31,15):

18 „In Rama hat man ein Geschrei gehört, viel Weinen und Wehklagen; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen.“

19 Als aber Herodes gestorben war, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum in Ägypten

20 und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und zieh hin in das Land Israel; sie sind gestorben, die dem Kindlein nach dem Leben getrachtet haben.

21 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich und kam in das Land Israel.

22 Als er aber hörte, dass Archelaus in Judäa König war anstatt seines Vaters Herodes, fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Und im Traum empfing er Befehl von Gott und zog ins galiläische Land

23 und kam und wohnte in einer Stadt mit Namen Nazareth, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch die Propheten: Er soll Nazoräer heißen.

 

Jetzt wird es ernst! Nach Hirten und Weisen, nach Engelgesang und erstem Familienglück. Zwar stand die Geburt Jesu von Anfang an unter einem eher schlechten Stern. Aber schließlich ist doch alles gutgegangen. Wenigstens bis hierher.

Aber jetzt wird es ernst. Denn König Herodes riecht Konkurrenz. Er hat Sorge um seinen Thron. Und er hat große Macht. Und große Wut. Einen fremden Anwärter auf den Thron kann er nicht dulden. Und so plant er Mord.

Aber Gott sei Dank gibt es Träume und Engel! Und so flieht Joseph mit seiner kleinen Familie nach Ägypten. In Sicherheit. Die Grausamkeit des Herodes schreit zum Himmel, aber das Jesuskind entkommt.

 

Ist Weihnachten so schnell zu Ende? Muss denn alles gleich dermaßen verdorben werden?

Um den Sinn davon zu verstehen schaue ich die drei Akteure dieser so unidyllischen Weihnachtsgeschichte genauer an: Herodes, die heilige Familie und zuletzt die Engel. Vielleicht erzählen sie uns über den Sinn von Weihnachten ja mehr als nur ein Ende mit Schrecken.

 

Also zunächst Herodes: Er sitzt eigentlich ziemlich unangefochten auf seinem Thron. Er gilt unter den Historikern als der Große, weil er politisch außergewöhnlich erfolgreich war. Das mag auch so stimmen. Doch die Frage der Historiker ist nicht die Frage unserer biblischen Geschichte. Herodes wird hier mit den Augen des Glaubens gesehen. Und in diesen Augen ist er nicht groß. Da ist er einfach nur brutal.

Und so erkennen wir einen enormen Unterschied zwischen den Maßstäben Gottes und den Maßstäben der Welt, zwischen König Herodes und dem Jesuskind. Es geht Weihnachten also grundsätzlich um andere Maßstäbe!

 

Auch dann, wenn Augustus, der Kaiser von Rom, und Quirinius, der Landpfleger von Syrien, zu Weihnachten auftreten. Auch das sind ja historisch große Persönlichkeiten, einflussreiche Vertreter des römischen Weltreichs. Aber in der Weihnachtsgeschichte bleiben sie nur Randfiguren. Denn der Glaube misst mit anderen Maßstäben.

Die göttliche Geschichte hingegen spielt lediglich in einem kleinen Winkel der damaligen Welt. Die weltliche Geschichte dagegen wird bestimmt durch ihre Großen in den Hauptstädten und Palästen. Die siegreiche Geschichte Roms läuft ja weiter wie bisher, vollkommen unbeeindruckt davon, dass Gott auf die Erde gekommen ist. Keiner der römischen Schriftsteller nimmt Notiz davon.

Zwar gibt es Berührungen. Augustus verordnet die Volkszählung und Steuerschätzung. Quirinius organisiert sie. Doch die Berührungen sind einseitig, von oben nach unten. Und Herodes sendet schließlich die Soldaten mit dem Mordbefehl.

Aber selbst das ist so uninteressant, dass es nicht einmal als Randnotiz bei nichtchristlichen Chronisten auftaucht.

Weihnachten bleibt für die große Politik eine Randerscheinung. Aber genau darin erschließt sich uns der Sinn von Weihnachten!

 

Denn für die Hirten und für die Weisen, für Maria und Joseph und auf entsetzliche Weise für die gemordeten Kinder und ihre Familien in Bethlehem ist die Geburt von Jesus keine Randerscheinung. Es ist ihre kleine Welt von Nazareth und Bethlehem, in der Jesus zur Welt kommt. Es ist ihre kleine Welt, in der sie von den Regierenden herumgeschickt werden, hilflos der Gewalt ausgesetzt.

Es ist die Welt ihrer Familien, die täglich fürs Überleben sorgen müssen. Die Kinder haben und Verantwortung für ihre Kinder. Die ihre Berufe haben vom Hirten bis zum Zimmermann. Die noch nie einen Augustus persönlich gesehen haben oder einen Herodes, ja kaum einen Quirinius. Nur deren Soldaten und Steuereintreiber kennen sie.

Genau in diese Welt hinein kommt Gott. Als Kind am Rande der Stadt, in einer Krippe liegend. Unter Hirten. Und sein Leben ist bedroht. König Herodes auf seinem Thron und mit seinen Soldaten zeigt uns eindrücklich, wohin Gott nicht kommt, wenn er zur Welt kommt. Gottes Maßstab sind die einfachen Menschen!

 

Deshalb stammt ja auch die heilige Familie aus der Mitte ihres Volkes, aus der Mitte Israels. Joseph, der Zimmermann, Maria, die junge Mutter. Sie gebiert ihren Sohn. Es ist nicht einfach, im Stall, in der Kälte, in der fremden Stadt. Aber Joseph sorgt für die Familie und schaut nach dem Rechten.

Gott entscheidet sich so und nicht anders! Gott erwählt den Haushalt des Zimmermanns, nicht die Villa des Herodes! Gott erwählt ein normales junges Mädchen, keine Königin! Gott erwählt die Krippe, kein Bett mit Purpur, Samt und Seiden! Gott erwählt die Hirten, nicht die Leibgarde am Hof!

Und Gott zeigt damit: Ihr seid mir wichtig, ihr Hirten und ihr Menschen in euern Städten und Dörfern! Ihr seid mir so unendlich wichtig, dass ich in eure Mitte komme! Ich möchte mit euch teilen, was euch bewegt und freut, was euch belastet und wovor ihr Angst habt. Ich bin da! Mitten unter euch!

 

Die heilige Familie heißt heilige Familie, weil Jesus das Kind Gottes ist. Sie heißt nicht heilige Familie, weil sie über menschlichen Dingen steht. Im Gegenteil! Sie bringt Gott in die Welt und Gott lebt in der Welt mit, lacht und weint als kleines Kind, leidet unter Hunger und Kälte auf der Flucht, spürt die Angst der Eltern, ihre Sorge um das Leben ihres kleinen Kindes, ihre Fürsorge und ihre Liebe.

 

Was Joseph und Maria erleben, ist Programm! Es macht Sinn! Denn Jesus wird erwachsen und geht diesen Weg weiter. Er geht ihn bis in den Tod am Kreuz. Am Ende wird er nicht mehr gerettet vor den Henkersknechten der Mächtigen. Dann flieht er nicht mehr. Sondern er stellt sich seinen Verfolgern. Dann leidet er als Mensch Gefangenschaft, Folter, Qualen, Demütigung. Dann schreit er: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“ Dann ist er dem Schicksal der Bethlehemer Kinder und ihrer Familien unmittelbar nahe, dem er als Säugling gerade noch entkommt. Dann ist er ganz einer von ihnen. Und unterm Kreuz steht Maria, seine Mutter, und weint um ihr Kind.

 

Der bedrohte Anfang des neugeborenen Jesus ist der Anfang des Programms der anderen Maßstäbe Gottes. Jesus hält daran fest, bis ans Ende seines Lebens, bis zum Tod am Kreuz. Für dieses Programm steht die Flucht der heiligen Familie aus Angst vor Gewalt, vor Verfolgung und Tod.

 

Und zugleich zeigt die Rettung, die gelungene Flucht, das Ziel des Programms! Gottes Ziel ist Rettung! Heute die Rettung seines Sohnes, morgen die Rettung aller Menschen!

Sichtbar und hörbar wird dieses Ziel durch die Engel, von Anfang an. Die Engel spielen eine wichtige Rolle in unserer Geschichte. Wie in der ganzen Weihnachts-zeit. Ohne Engel ist Weihnachten eigentlich gar nicht möglich.

Die Engel sind immer im Hintergrund. Und im richtigen Moment gewähren sie einen Blick hinter die Kulissen, einen Blick in die göttliche Wirklichkeit hinter allem.

 

Vielleicht kennen Sie alte Kunstwerke. Diese wurden damals oft auf goldenem Hintergrund gemalt. Damit leuchten die Farben eindringlicher. Aber wenn man an der Oberfläche kratzt, erscheint darunter das Gold.

So ist es mit den Engeln. Wo sie eingreifen, wird das Gold sichtbar hinter der Oberfläche.

So wecken die Engel die Hirten mitten in der Nacht. Es wird taghell und die Hirten erfahren, der Säugling in der Krippe ist in Wahrheit ihr Erlöser. „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren.“

Die Engel sorgen dafür, dass Joseph bei Maria bleibt. Sie öffnen ihm die Augen für die Wirklichkeit hinter den Dingen.

Und die Engel schützen und bewahren das Jesuskind durch Träume in der Nacht.

Kurz gesagt: Wo sie auftreten, wird klar: Es gibt eine andere Ebene der Wirklichkeit hinter der Oberfläche. Es gibt die göttliche Dimension, das Gold hinter den Farben der Welt.

Ohne diese göttliche Ebene bliebe der Stall ein kalter, armer Stall, Ausdruck sinnloser Not. Ohne diese Ebene bliebe der Kindermord nur ein weiteres Beispiel von menschlicher Brutalität. Hoffnungslos! Ohne diese Ebene bliebe die Flucht nach Ägypten nur ein weiterer Beleg für die Ohnmacht und Hilflosigkeit Gottes gegen das Böse in der Welt.

 

Mit den Engeln bekommt alles eine Richtung, ein Ziel. Eben das Ziel der Rettung und Erlösung. Und zwar durch die Armut, durch die Flucht, ja, durch den Tod hindurch. Ja, in tiefster Solidarität Gottes mit dem Frieren, Hungern und Sterben der Kinder. Und zugleich mit dem Ziel, dass das ein Ende finden soll. Gerade weil Gott selbst alles auf sich nimmt.

Nie mehr soll man in Rama ein Geschrei hören, nie mehr Weinen und Wehklagen. Nie mehr soll Rahel ihre Kinder beweinen müssen. Und wenn es Ostern wird, dann stehen die Engel endgültig am Grabstein Jesu und sagen: „Was sucht ihr Jesus bei den Toten? Er ist nicht hier. Er ist auferstanden.“

Jede Hoffnung, jede Zuversicht in dieser Geschichte ist ein Werk der Engel, ein Lichtblitz von Gold hinter düsteren Farben.

Was also wäre Weihnachten ohne die Engel? Dann hätten die Maßstäbe der Welt gesiegt. Herodes bliebe unangefochten der Große und Augustus und Quirinius die Einzigen, über die die Geschichtsbücher zu berichten wüssten. Es gäbe keine Notiz mehr vom Kindermord in Bethlehem. Das Weinen der Familien wäre verstummt und vergessen, unwichtig, eine Randerscheinung der Weltgeschichte.

 

Engel - sie sichern und offenbaren die Maßstäbe Gottes in dieser Welt. Sie sichern und offenbaren den Frieden auf Erden. Und sie zeigen, dass Gottes Maßstäbe stärker und mächtiger sind als der noch so große Herodes.

 

Es ist in meinen Augen ein feinsinniger Schurkenstreich des Heiligen Geistes, dass inzwischen unsere Jahre nach der Geburt von Jesus Christus gezählt werden. Und dass selbst von einem Kaiser Augustus im Lexikon notiert wird: geboren 63 vor Christus, gestorben 14 nach Christus. Und von Landpfleger Quirinius, dass er von 45 vor bis 21 nach Christus lebte. Und Herodes der Große starb 4 vor Christus in Jerusalem. Ja, 4 Jahre vor Christus, weil sich der Mönch Dionysius Exiguus, der unsere Zeitrechnung erfunden hat, ein bisschen verrechnet hat.

Der Heilige Geist zeigt auch diesbezüglich Humor, weil sich die Geburt unseres Erlösers nicht wirklich mathematisch berechnen lässt. Seine Geburt ist das Gold hinter den Farben dieser Welt!

Nein, das hätte damals niemand gedacht, dass die Jahre der Großen der Weltgeschichte einmal nach Jesus Christus und seiner armseligen Geburt bemessen werden.

Im Sinne dieser weisen Berechnung wünsche ich uns allen ein gutes und gesegnetes Jahr 2024 nach Christus, will sagen: nach den Maßstäben Gottes.

 

Gebet zum Neuen Jahr:

Ewiger Gott, Anfang und Ende liegen in deinen Händen. Aus ihnen empfangen wir ein Neues Jahr.

Wir danken dir für dein Geleit bis zu diesem Tag.

Wir danken dir für Brot und Wein, den Zeichen deiner Gegenwart.

Wir bitten dich um deinen Schutz und Segen für die Tage, die vor uns liegen.

 

Wir bitten dich für unsere Familien, für alle Eheleute, für Eltern und ihre Kinder: mach unsere Familien zu Orten, wo Dein Wort zuhause ist und die Herzen bewegt, wo das Leben blüht und Gemeinschaft gelingt, wo die Freude aneinander und die Achtung voreinander sich umarmen.

Lehre uns, recht zu streiten und mach uns versöhnlich. Entzünde die Liebe aufs Neue bei allen, die sich fremd geworden sind.

 

Wir bitten dich für unsere Gemeinden, hier und in aller Welt, für deine heilige christliche Kirche:

Lass dein Wort in ihr fließen wie einen Strom, der frisches Wasser mit sich führt.

Erquicke die Herzen und Gemüter aller Gläubigen mit der frohen Botschaft deiner Menschwerdung in Jesus Christus.

Bewahre deine Kirche vor der Krankheit geistlicher Versteinerung, vor Planungswut und aller Scheinheiligkeit.

Umfange sie mit der Kraft deiner Christusliebe, damit du in deiner Menschenfreundlichkeit in ihr und durch sie zur Welt kommst.

Hilf allen Christen, dich mit Herzen, Mund und Händen zu bekennen.

Und gib uns allen ein Herz für die Armen.

 

Wir legen an dein Herz alle, die in Angst und Schrecken leben, die hungern und dürsten, die frieren und auf der Flucht sind, weil Terror und Krieg ihnen alles genommen haben; die jetzt trauern, weil sie liebe Menschen verloren haben oder von ihnen getrennt sind: Nimm du ihrer Not den Schrecken, tröste ihr Herz mit der Hoffnung auf dein Kommen! Lass sie Dich spüren als die Macht, die ihr Leben hält und ihr Schicksal wendet.

Den Regierenden und allen, die Verantwortung tragen, sende deinen guten Geist, dass ihre Entscheidungen dem Leben dienen.

Nimm uns alle Angst vor dem Fremden und mach unsere Herzen und unsere Häuser gastfreundlich.

 

Lass uns zuversichtlich in das neue Jahr gehen, gelassen und unverzagt annehmen, was uns freut und schmerzt, und als Menschen deiner Gnade mit dir leben.

Darum bitten wir dich im Vertrauen auf deinen Sohn Jesus Christus, der mit dir und dem Heiligen Geist lebt und lebendig macht von Ewigkeit zu Ewigkeit.