14.01.2024 - "Gipfelblicke" - Predigt zu Hebräer 12,12-25 am 2. Sonntag nach Epiphanias (Pfr. Fischer)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.

 

Liebe Gemeinde,

Das Ziel zum greifen nahe - und doch will man aufgeben.

Das ist eine bittere Erfahrung.

Das Ziel zum greifen nahe, fast hat man es - und doch: Die Kräfte reichen nicht mehr, geistig wie körperlich; kein Schritt geht mehr nach vorn.

Das Ziel zum greifen nahe - und doch will man aufgeben.

Das ist eine Erfahrung, die auch wir Christen machen können.

Das Ziel zum greifen nahe - und doch will man aufgeben.

 

Das Neue Testament kennt diese Erfahrung und versucht eine Antwort darauf zu geben.

Wir hören das Predigtwort aus dem 12. Kapitel des Briefs an die Hebräer:

Stärkt die müden Hände und die wankenden Knie, und macht sichere Schritte mit euren Füßen,

damit niemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.

Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird, und gebt acht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume; dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte und viele durch sie unrein werden;

dass nicht jemand ein Unzüchtiger oder Gottloser sei wie Esau, der um der einen Speise willen seine Erstgeburt verkaufte. Ihr wisst ja, dass er hernach, als er den Segen ererben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Raum zur Umkehr, obwohl er sie mit Tränen suchte.

Denn ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln, und zu der Festversammlung und zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten und zu dem Mittler des Neuen Bundes, Jesus.

 

Liebe Gemeinde,

in unserem Predigtwort geht es um eine Bergtour besonderer Art:

Christen sind unterwegs zum Berg Zion mit der himmlischen Stadt Jerusalem.

Das ist ein Bild für unseren Weg im Glauben.

Der Berg Zion ist das Ziel.

Dort finden wir den lebendigen Gott, seinen Hofstaat und seine Festversammlung: Die Geister der vollendeten Gerechten, das sind alle die Menschen unter uns, die gestorben und nun bei Gott sind.

Die das Ziel ihres Glaubens bereits erreicht haben.

Der Berg Zion verspricht die herrlichsten Aussichten.

Wenn wir oben stehen auf seinem Gipfel, dann werden wir teilhaben an dem, was wir jetzt nur hoffen können: Wir werden die Herrlichkeit Gottes sehen.

Kein Leid, kein Klagen, keine Kriegsängste werden mehr sein, weil wir ewige Ruhe finden bei ihm.

Endlich Ruhe, endlich ein Ende mit den Folgen der schrecklichen Katastrophen – wer wünscht sich das heute nicht?

Frieden und Heiligkeit, so nennt es unser Predigtwort.

 

Dieses Ziel, den Berg Gottes, den haben wir vor Augen, wenn wir uns im Glauben auf den Weg machen.

Irgendwann einmal werden wir den Gipfel dort oben erreichen.

Irgendwann einmal werden sich alle Mühen und Qualen des Aufstiegs gelohnt haben.

Der Gipfelblick entschädigt für alles.

 

Diese Hoffnung, diese frohe Erwartung treibt uns vorwärts.

Sie lässt uns den schwierigeren Weg gehen.

Der Berg Gottes liegt ganz deutlich vor uns.

Wir haben das Ziel, den Gipfel, ganz deutlich vor Augen.

Der Glaubensweg geht bergauf, ist manchmal sehr steil.

Aber er führt aus den Tälern des Lebens heraus, wo es dunkel ist.

Es gibt aber auch Stellen auf diesem Anstieg, die uns alle unsere Kräfte abverlangen.

An denen unsere Hände müde werden und unsere Knie zittrig und wankend.

An denen es uns schwer fällt, einen sicheren Schritt zu tun.

Das sind die dunklen, die qualvollen Erlebnisse einer Bergtour.

Das Ziel ist greifbar nahe - und man kann nicht mehr vorwärts.

Die Hände wollen nicht mehr zupacken, die Beine nicht mehr gehen.

 

Auch unser Lebensweg hat solche Nullpunkte – wer kennt sie nicht?

Wenn der Tod unseren Weg kreuzt und einen lieben Menschen herausreißt aus unserer Mitte und unsere Hände zu müde sind zum beten, unsere Knie zu wankend, um den Weg zum Gottesdienst zu gehen.

Wenn unsere Trauer zur Klage wird, wenn wir nicht verstehen können, warum Gott das zulässt, warum er gerade uns so hart prüft.

 

In diesen Momenten verdecken dunkle Wolken den Blick auf den Gipfel.

Er scheint uns plötzlich ganz fern zu sein, obwohl er immer noch in Reichweite ist.

In diesen Momenten ist die Versuchung am größten, aufzugeben, umzukehren, zurück auf die bequemeren Wege unten im Tal, die schnelles Glück versprechen.

Es ist aber nicht nur der Tod, der unsere Hände und Knie müde und wankend macht auf dem Weg zum Gipfel Gottes.

Es sind oft schon die scheinbar kleinen Lasten, die sich unter der Woche so ansammeln können.

Aber gerade die können uns ganz schön zudecken und niederdrücken.

Die Schulnote, wenn sie nicht so gut ausfällt, wie erwartet.

Oder die Sorge um die Arbeitsstelle, die steigenden Lebenskosten.

Oder auch Krankheiten, die uns direkt oder indirekt treffen können.

Das Bangen: „Hoffentlich wird er oder sie wieder gesund; was wird sein, wenn nicht?“.

 

Ich kann verstehen, wenn in solchen Augenblicken Menschen kraftlos und mutlos werden können - auch Christen.

Wenn die Versuchung aufzugeben und umzukehren größer ist, als weiterzugehen auf das Ziel zu.

 

In diesen Momenten tut es gut, wenn uns jemand beisteht.

Wenn ich treue Gefährten habe, die mit mir bis hierher gegangen sind.

Und die jetzt auch bei mir bleiben, wenn ich nicht mehr weiter kann.

Die nicht einfach weiterrennen, weil sie das Ziel, die Herrlichkeit Gottes auf seinem Berg, klarer vor Augen haben, als ich.

Ein eherner Gesetz in den Bergen ist: Gehe niemals allein!

Wenigstens ein treuer Gefährte in guten, wie in schlechten Zeiten - der mir Mut macht, mich aufbaut, und mich stützt.

Der mir neu das Ziel vor Augen malt und mir so meine müden Hände stärkt und meine wankenden Knie.

 

In unserem Predigtwort steckt auch ein warnendes Beispiel.

Es ist die Geschichte der Bruder Jakob und Esau.

Eigentlich musste man meinen, Brüder wären zwei treue Gefährten.

Doch diese Geschichte lehrt uns etwas anderes.

Der eine, Esau, gibt sein Erstgeburtsrecht auf für einen Teller Linsensuppe.

Er gibt etwas Großartiges auf für etwas ganz Geringes.

Und der andere, Jakob, betrügt seinen Bruder.

Denn als Esau vom Feld heimkommt und ausgehungert ist, nützt Jakob die Situation zu seinem Vorteil aus.

Er verkauft ihm die einfache Linsensuppe für das teure Recht der Erstgeburt.

Das Recht auf das Erbe und den Segen des Vaters.

 

Einen solchen Gefährten, wünsche ich keinem von uns in schweren Zeiten, liebe Gemeinde.

Einen, der meine Notlage zu seinem Vorteil ausnützt.

Und das andere wünsche ich uns auch nicht: Das wir das großartige Ziel unseres Glaubens eintauschen gegen ein Linsengericht dieser Welt.

Und es gibt viele dieser Linsengerichte.

Sie alle versprechen den schnellen Erfolg, Reichtum, Glück, Wohlstand, Ansehen usw.

Sie alle wollen uns den Ausblick auf unser Ziel verdecken - den Blick nach oben, den Blick auf Christus, auf die Herrlichkeit Gottes.

Die Linsengerichte dieser Welt wollen uns einreden, dass es besser sei umzukehren, Gott den Rücken zuzuwenden und den scheinbar leichteren Weg ins Tal zu nehmen.

Und ich kann es nicht leugnen: Es ist oft leichter aufzugeben, als weiterzugehen nach oben.

Aber um welchen Preis?

Die Höhen einzutauschen gegen die Niederungen?

 

Wie gut, wenn da jemand bei mir ist, der sich mit mir ausruht, mir meine müden Hände und wankenden Knie stärken will.

Der mit mir gemeinsam dem Frieden und der Heiligung nachjagen will.

Der sich Zeit lässt für mich und bei mir bleibt.

Kein verantwortlicher Bergsteiger steigt allein auf einen Berg.

Er sucht sich Gefährten, auf die er sich verlassen kann.

Eine Gruppe, die sich aneinander bindet, um zusammen die schwierigen und gefährlichen Stellen zu meistern.

Einer für den anderen.

Eine „bittere Wurzel“, wie der Hebräerbrief das ausdrückt, können sie in ihren Reihen nicht gebrauchen.

Also jemand, der sich nicht helfen lassen will, der allzu leicht aufgibt und andere damit ansteckt.

Oder der jede Situation zu seinem Vorteil ausnützt, auf den kein Verlass ist.

In einer Seilschaft braucht einer den anderen, in guten wie in schlechten Zeiten.

Sich in schlechten Zeiten gegenseitig die müden Hände zu stärken und die wankenden Knie ist das Eine.

Das Andere ist auch die Freude miteinander zu teilen, Schritt für Schritt dem Ziel näher zu kommen.

Der Weg ist dabei auch schon das Ziel.

Denn wenn wir uns gegenseitig beistehen und uns bestärken, dann verwirklicht sich schon jetzt und hier in dieser Welt etwas von der himmlischen Gemeinschaft mit Gott.

 

Gemeinschaft mit Gott - seinen Frieden und seine Heiligkeit erleben, das geschieht schon jetzt überall dort, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, schon hier in diesem Gottesdienst.

Wenn wir uns gegenseitig trösten und ermutigen, wenn wir auf Gottes Wort und es uns gegenseitig zusprechen, dann breitet sich schon jetzt Gottes Frieden und Heiligkeit aus. Der Himmel und die Erde kommen sich ganz nah.

 

Ich wünsche uns, dass wir uns weiterhin unseren Glaubensweg zum Gipfel Gottes gemeinsam gehen.

Dass wir auch morgen, wenn wir es nötig haben, treue Gefährten finden, die Freude und Leid mit uns teilen.

 

Dass wir selbst zum Gefährten werden für andere, und so unsere Gemeinschaft untereinander und mit Gott weiter geht und wächst.

Eine Gemeinschaft, in der wir Frieden und Heiligkeit finden. Amen.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.