21.01.2024 - Wer sich selber ansieht leuchtet nicht! Predigt zu Mt. 17. 1-9 von Pfarrer R.Koller zum 3. Sonntag nach Epiphanis
[1] Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. [2] Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. [3] Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. [4] Petrus aber fing an und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. [5] Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! [6] Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. [7] Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! [8] Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. [9] Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist.
Heute werden wir also auf einen hohen Berg geführt -„nach sechs Tagen“, wie Mt. nicht ohne Grund betont. Nach 6 Tagen: das erinnert an die 6 Tage der Schöpfung. Am 7. Tag ruhte Gott von seinen Werken, heißt es da. Und auch Jesus macht einen Ruhe-, einen Feiertag, nachdem er alles andere schon getan hat: Er hat gelehrt und geheilt, die Bergpredigt gehalten, Blinde sehend und Lahme gehend gemacht. Er hat Tauben das Gehör und Toten das Leben wieder gegeben. Er hat sich als Messias des Wortes und der Tat erwiesen.
Aber heute ist der 7. Tag, Tag der gefeierten Ruhe, Tag der Herrlichkeit Gottes. Heute nimmt Jesus seine Lieblingsjünger mit auf einen hohen Berg. Er nimmt sie „zu sich besonders“ wie es in einer Übersetzung heißt. Und er lässt sie etwas ganz Besonderes erleben.
Nicht allen Jüngern wird dieses Besondere einer Gottesschau zuteil. Wir könnten fragen, warum nur den dreien und nicht auch den anderen Jüngern. Aber wer so fragt, verliert sich in haltlose Spekulationen. Wir überlassen das Recht zur Auswahl unserem Herrn Jesus, wem er in dieser Welt eine Gottesschau ermöglicht. Und wir lassen uns von der Geschichte des Petrus warnen, dass auch eine Gottesschau im Leben nicht davor bewahren muss, den Herrn Jesus zu verleugnen.
Wie auch immer, Jesus nimmt diese drei Jünger mit. Man sagt in Anlehnung an ein Wort des Propheten Jeremia, es wäre der Berg Tabor gewesen. Aber der Berg ist ein geistlicher Berg! Es ist der Gegenberg zu dem ganz anderen Berg, wie ihn die Versuchungs-geschichte beschreibt: „Wiederum nahm ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg!“ Und dort „zeigte er ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit! Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest“ - flüstert ihm Satan zu. Doch Jesus widersteht. Er fällt nicht nieder vor der Gewalt des Bösen wie so viele Menschen und Machthaber. Er bleibt stehen und wird deswegen von Gott hoch erhoben auf den neuen Gottesberg.
Da ist mehr als der Berg der Versuchung. Da ist „das Reich der Himmel“ und seine ganze Herrlichkeit.
„Und er wurde verklärt vor ihnen und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne und seine Kleider wurden weiß wie das Licht!“
Es ist eine Metamorphose, eine totale Verwandlung des Irdischen in das Himmlische! Die Jünger erleben Jesus nicht mehr in der „Knechtsgestalt“ des Irdischen, des Sterblichen, des zum Tode Bestimmten. Jetzt schauen sie einen mit Leib und Seele für Gott geöffneten Menschen, auf dessen Angesicht sich die Herrlichkeit und der Glanz Gottes widerspiegeln, ja, von dem die unendliche Liebe Gottes ausstrahlt und alles durchdringt mit seinem hellen Leuchten. Der, der am Anfang das Licht von der Finsternis schied, verwandelt das Angesicht Jesu zum „Licht der Welt“.
Der Vergleich mit dem Teufelsberg macht das deutlich: Weil Jesus nichts für sich selber wollte, deswegen kann er sich ganz für Gott öffnen.
„Wer sich selber ansieht, leuchtet nicht!“ sagt ein chinesisches Sprichwort. Vielleicht ist das die Erklärung für unser oft so wenig leuchtendes Christentum - im Persönlichen wie im Kirchlichen. Vielleicht bespiegeln wir uns viel zu sehr mit uns selbst, anstatt dass wir in den Spiegel Gottes schauen, in das Angesicht seiner Liebe und Güte in Jesus Christus.
Jesus holt die Seinen hier nicht nur aus den Niederungen des Alltags, er holt sie auch aus ihrer Selbstbespiegelung heraus und lässt ihnen nun „sein Antlitz leuchten“.
Was das bedeutet, wird nun auch an dem Folgenden klar: Mose und Elia erscheinen neben Jesus und reden mit ihm. Mose und Elia - beide begehrten Gott zu schauen, doch sie dürfen ihn nur verhüllt erleben, sie dürfen ihm nur hinterher sehen, aber nicht von Angesicht zu Angesicht wie Jesus, der davon ganz erleuchtet ist.
Und das signalisiert uns: Hier ist mehr als Mose! Hier ist mehr als der Propheten einer! Hier ist mehr als Sinai und Gesetz, mehr als die Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens, mehr als die Errettung am Schilfmeer!
Hier ist der neue Berg Gottes, der nur im Glauben erstiegen werden kann und hier ist das Ende des Gesetzes und der Propheten. Hier beginnt die Erfüllung, alles Vorläufige ist vorbei, alles „Stückwerk“ hört auf. Es ist ein Blick in den Himmel, ein Blick auch ins Angesicht dessen, dem „alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden!“
Verständlich, dass Petrus das festhalten möchte. Verständlich seine Begeisterung, sein Glückserleben, seine Seligkeit! Warum soll das nur für ein paar Sekunden gelten, warum nicht für immer?
Oh, wir verstehen den Petrus nur zu gut! Wir verstehen, dass er diesen einmaligen Augenblick festhalten möchte: „Verweile doch, du bist so schön!“ Wir verstehen, dass er das himmlische Erfahren nun „festgemauert in der Erde“ haben möchte, in Stein gehauen verewigt. Eine herrliche Wallfahrtskirche mit drei prächtigen Schiffen, links Elia und rechts Mose und in der Mitte ein Jesus-Schrein.
Was soll daran falsch sein? Warum wird es ihm nicht erlaubt?
Wir ahnen es: Weil man eine religiöse Erfahrung wie diese Gottesschau nicht festhalten kann ohne sie zu verfälschen! Und weil Gott sich die Freiheit vorbehält, sich wann und wo er will zu offenbaren. Und weil er sich nicht an bestimmten Orten und Steinen festmachen lässt. „Der Geist weht, wo er will“ sagt der Evangelist Johannes und spricht davon, Gott „im Geist und in der Wahrheit anzubeten“.
Eine Gottesschau kann man nicht konservieren. Sie ist für uns ganz persönlich bestimmt, für unser Herz, für unsern Geist, für unser Fühlen, Glauben und Denken. Und doch ist sie auch da schwer festzuhalten.
Ob Petrus und die andern bei Jesu Verhaftung daran gedacht haben, als sie alle geflohen sind? Ob Petrus das gegenwärtig war in der Nacht des Verhörs, als er von der Magd am Kohlenfeuer angesprochen wurde und seinen Herrn verleugnete?
Auch tief berührende religiöse Erfahrungen können sich schnell verflüchtigen, wenn wir sie in den Niederungen des Alltags verlieren und vergraben.
„Herr, hier ist gut sein!“ - wie auch immer das zu verstehen ist: Petrus wird in seinen Plänen unterbrochen! „Während er noch redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören!“
Neben der Vision nun die Audition, neben dem Schauen nun das Hören!
Die lichte Wolke, dem Volk Israel aus den Tagen der Wüste als Gegenwart Gottes bekannt - diese lichte Wolke, aus der heraus Mose am Sinai die Gesetzestafeln empfing - diese Wolke überschattet nun auch die Jünger und zieht sie in das göttliche Geheimnis hinein: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören!“ Damit wird die Weihnachtsbotschaft der Engel an die Hirten wieder aufgenommen. Damit bekennt sich Gott ganz zu Jesus und bestätigt noch einmal wie schon bei der Taufe, dass Jesus der ist, der in seinem Namen gekommen ist und der seine ganze Vollmacht hat.
„Den sollt ihr hören!“ So bleibt Gott gegenwärtig, so bleibt das Gotteserlebnis erhalten. Wir haben nichts Besseres und nichts, was direkter ist, als sein Wort! Zwar gibt es auch in der Heiligen Schrift viele Rätsel und Stückwerke und Vorläufigkeiten, weil Gottes Wort oft genug mit unserm Menschenwort vermischt und in ihm verborgen ist. Und doch gibt es, wenn wir nur hören wollen, auch das klare Gotteswort, das Wort Jesu, das keiner langen Auslegung bedarf, sondern klar und unverstellt zu hören und aufzunehmen ist. „Liebe Gott und liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“ Wenn wir es tun, werden wir leben. So einfach ist das und zugleich so selten. Wir sollten uns deshalb vor allzu großen Komplizierungen hüten. Denn sonst wird aus Gottes Wort ganz schnell leblose, um nicht zu sagen gottlose Schriftgelehrsamkeit, die nur verdunkelt statt zu erhellen.
„Herr, hier ist gut sein!“ meint Petrus. Aber von wegen! Denn jetzt erschrecken alle drei vor der Stimme - wie Menschen immer erschrecken, wenn sie Gottes Wort trifft. Sie werfen sich zu Boden und liegen da wie gelähmt in ihrer Angst.
Und dann, nach dem Schauen und nach dem Hören kommt die zärtliche Berührung. Er rührt sie mit seiner Hand an und sagt: „Steht auf und fürchtet euch nicht!“
Und als sie dann aufblicken, sehen sie „niemand als Jesus allein!“
Es gibt viele Religionen, in denen Gotteserlebnisse als furchtbar und schrecklich geschildert werden, auch im Alten Testament. Aber das ist das Neue an dieser Gottesschau: Jesus ist niemals zum Fürchten! Er strahlt nicht Grausamkeit und Machtwillkür aus, auch nicht Rache und Vergeltung, sondern er ist der, der uns Menschen mit Liebe begegnet - rätselhafterweise mit einer Liebe, „die nie mehr aufhört“. Mit einer Liebe, die sich sogar am Kreuz für uns Menschen opfert.
Und in allem ist der Sohn nicht nur ein Teil von Gott, nicht nur eine Lieblingsseite von ihm. Sondern in ihm kommt Gottes Innerstes nach außen; hier strahlt uns sein wahres Gott-Sein an: gereinigt von allen dunklen Gedanken, gereinigt von aller Sucht nach Rache und Hass, nach Bestrafung und Vergeltung.
Jesus will nicht den Tod des Sünders, sondern dass der Sünder sich bekehre und lebe! Darum ist er vom Vater in die Welt gesandt und mit aller Vollmacht ausgestattet im Himmel und auf Erden. „Den sollt ihr hören!" Und: „…niemand als Jesus allein“. Das ist die Quintessenz dieser Geschichte! Und nur so wird die Gotteserfahrung bewahrt.
In Jesus Christus ist alles da, was Gottes ist. „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott“ wie es in unserem Bekenntnis heißt. Er ist schon jetzt „die Hütte Gottes bei den Menschen“, wie es die Offenbarung des Johannes verheißt.
Darum braucht auch ein Petrus nichts zu bauen. Er und wir alle brauchen nur auf Jesus zu sehen und ihn zu hören, das ist genug! Dann haben wir alles, was „uns not ist“, auch in den Niederungen des Alltags, in die wir ja immer wieder zurückmüssen, aber nun erleuchtet durch die Gottesbegegnung.
Der Blick in das Angesicht Jesu ist wie ein Blick ins verheißene Land, der uns Mut machen will, auch in den dunklen Tälern unseres Lebens „fröhlich unsere Straße zu ziehen“. Dazu verhelfe Gott uns allen!