04.02.2024 - "In Gottes Ruhe liegt die Kraft" - Predigt zu Mk 4,26-29 am Sonntag Sexagesimae (Pfr. Fischer)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde

 

lang ist die Liste geworden.

Immer dann, wenn mir wieder etwas einfällt, was dringend zu erledigen wäre, schreibe ich es auf eine lange Liste.

Spiegelstrich unter Spiegelstrich.

Eine lange Kette von Aufgaben füllt das Blatt.

Meistens ist es mit einem Blatt Papier nicht getan. Manchmal habe ich das Gefühl, für jeden Punkt, den ich ausstreichen kann, kommen zwei neue dazu.

Wie Sisyphus - denke ich.

Sicher geht es vielen Menschen so, wenn auch nicht allen.

Manche Menschen haben vermutlich eher das Problem, dass sie nicht wissen, wie sie den langen Tag, der vor ihnen liegt, füllen sollen.

Wenn man seine Arbeit verliert oder in den Ruhestand versetzt wird.

Wenn man krank ist oder im Urlaub nicht so schnell von Hundert auf Null runterschalten kann.

 

Es ist auch gar nicht so einfach, mit anderen über das Problem zu reden.

Wenn man viel Arbeit hat, dann bekommt man schnell mal einen gut gemeinten Ratschlag, man möge sich doch um die richtige Balance bemühen.

Weniger sensible Zeitgenossen malen einem gar eine Überlastungsdepression als Schreckgespenst vor Augen.

Das kann ja richtig sein, hilft in dem Moment aber auch nicht weiter, weil die Aufgaben trotzdem getan werden wollen und die Handlungsspielräume, dieses zu tun und anderes zu lassen, nicht mehr da sind.

 

Wer sich davor fürchtet, wie er den gar nicht so lieben, langen Tag irgendwie so hinter sich bringen soll, dass er die Zeit nicht nur totschlägt, sondern sinnvoll gestalten kann, muss sich möglicherweise sagen lassen, er solle das doch genießen, mal so richtig viel Zeit zu haben.

Dinge zu tun, zu denen man sonst nie kommt.

Auch das mag richtig sein, aber wenn das Problem doch darin besteht, dass man nicht weiß, was man tun soll und einfach keine rechte Energie hat?

 

In dem Predigttext für den heutigen Sonntag geht es auch um dieses Thema:

Tun und Nichtstun, Arbeit und Ruhe.

Es ist ein Gleichnis, das Jesus erzählt.

Es steht bei Markus 4,26-29:

Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag, und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.

 

Jesu Worte sind keine einfachen Ratschläge.

Er erzählt ein Gleichnis, dessen Bedeutung nicht einfach auf der Hand liegt.

Man muss sich Gedanken machen, was das eigentlich heißen soll.

In jedem Fall gewinnt man den Eindruck, dass Arbeit und Freizeit, Tätigkeit und Nichtstun in diesem Gleichnis in ein produktives Verhältnis gesetzt sind.

Am Ende steht eine reiche Ernte, die eingebracht werden kann.

Aber das Gleichnis betont nicht die Gleichmäßigkeit von Arbeit und Ruhe, sondern setzt einen mutigen und einseitigen Akzent auf das Nichtstun.

Zwar wirft der Mensch den Samen auf das Land, aber dieser Vorgang wird so erzählt, als geschehe das nebenbei, ohne viel Mühe.

Hier wird keine Aufgabenliste abgearbeitet.

Von der anstrengenden Bearbeitung des Ackerbodens, der Hege und Pflege der Aussaat ist keine Rede.

Von selbst bringt die Erde Frucht.

Das ist der Witz dabei.
Während der Mensch schlafen geht und wieder aufsteht, geht der Same auf und wächst zur Ernte heran.

Was hier geschieht, geschieht automatisch - so der griechische Text.

Kein Ratschlag wird erteilt, auch mal Pause zu machen oder sich nicht dauernd um alles zu kümmern, sondern das Geheimnis wird erzählt, wie Gott in unserer Welt wirkt.

Es mag zwar für den einen so aussehen, als wenn die Ernte auf menschliche Landwirtschaft zurückgehen würde, in Wirklichkeit aber wirkt Gott - unsichtbar, aber effektiv.

Nicht der Mensch macht, dass aus dem Samen eine erntereife Frucht entsteht, sondern Gott handelt.

Und auch wenn der Mensch dieses und jenes Wissen angesammelt hat, unter welchen Bedingungen, wie und wo der Same gut wachsen kann, so bewegt sich dieses Erfahrungswissen doch nur an der Oberfläche.

In Wahrheit weiß nur Gott, wie aus dem kleinen Samenkorn eine stattliche Pflanze wird.

Das hat sich bis heute nicht geändert.

 

Das Gleichnis ist bildliche Rede, die mehr veranschaulichen will als nur das Wachsen von Pflanzen.

Das Gleichnis zeigt, wie Gott in dieser Welt wirkt, ohne dass wir wissen, wie das geschieht.

Was wir hier erfahren, ist so, dass es ein neues Licht auf unser Leben, unsere Arbeit und unsere Ruhe wirft.

 

Zum einen erfahren wir, dass Gott in dieser Welt wirkt. Das ist gar nicht so selbstverständlich.

Wir machen unsere Arbeitspläne und unsere Pläne für die Freizeit ja doch in der Regel, ohne mit Gottes Wirken zu rechnen.

Wir verlassen uns nur auf uns, unser Tun, unsere Arbeits- und Leistungskraft.

Wahrscheinlich können wir nicht anders.

Vielleicht wäre unser Leben gar nicht anders planbar.

Aber es ist doch nur eine einseitige Wahrnehmung unserer Wirklichkeit.

In dem, was wir tun, vielleicht auch in dem, was wir nicht tun, irgendwie verborgen, wirkt Gott.

Und zwar zum Guten.

Er wird auf eine Art und Weise wirksam, dass am Ende plötzlich Früchte da sind.

Eine ganze Ernte, die man nur noch pflücken muss.

Mit vollen Händen zugreifen!

Mehr ist da nicht zu tun!

Das, was wir ernten, steht in keinem Verhältnis zu dem, was wir mit unserer Hände Arbeit bewirken können.

Wir werden immer schon reichlich beschenkt.

Für uns wird gesorgt.

Ohne dass wir wissen, wie.

 

Wir mögen vielleicht nur auf das fixiert sein, was wir noch alles zu tun haben.

Ich denke an die lange Liste der Aufgaben, an die Termine und an die wenige Zeit, die noch übrig bleibt.

Aber dabei verlieren wir aus dem Blick, was diesseits unserer Aufgaben und Anforderungen schon alles zu ernten ist.

Was wir genießen dürfen, ohne dass wir etwas dazu beigetragen haben.

Menschliches Handeln wird nicht entwertet, aber es wird relativiert, das heißt: in ein Verhältnis zu Gottes Handeln gesetzt.

Und es wird doch auch ein deutliches Fragezeichen hinter die Vermessung unserer Welt gesetzt.

Die Noten, die in der Schule oder im Studium vergeben werden, sagen nicht vollständig aus, was da an Früchten aus den Bildungsprozessen heraus gewachsen ist und worüber wir uns freuen können und es bewundern dürfen.

Leistungskontrollen und Evaluationen bilden oberflächliche Effekte ab, aber sie erfassen nichts von dem, was sich in der Tiefe geheimnisvoll vollzieht.

Manchmal ist mir etwas, was ich gelesen habe oder was jemand zu mir gesagt hat, erst Jahre später zu einer wichtigen Einsicht geworden.

„Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - und man weiß nicht, wie."

 

Auch was wir in der Kirche tun, ist oft mehr von Aktivismus geprägt als von dem Vertrauen darauf, dass Gott sein Reich selbst bauen wird.

Wenn Arbeitsbereiche wegfallen, wenn Gemeinden fusionieren oder die Zahl der Kirchenmitglieder sinkt, dann ist das im Einzelfall sicher schmerzhaft, aber es bedeutet nicht, dass das Wirken Gottes in unserer Welt tangiert wäre.

Statistiken zu Kirchensteuereinnahmen, der Entwicklung von Mitgliederzahlen und gigantische Kongresse, die unter dem Motto „Wachsende Kirche" veranstaltet werden, sagen zwar vieles über die Selbstdarstellung der Evangelischen Landeskirche aus, aber nichts darüber, wo und wie Gott sein Reich in dieser Welt durchsetzt.

Das Gleichnis signalisiert, dass es eher unspektakulär, still, im Verborgenen geschieht.

Vielleicht sogar dann, wenn wir schlafen!

 

Martin Luther hat in einer Predigt 1522, als es in seiner Gemeinde drunter und drüber ging, als der Reformeifer vieler überhand nahm und vor lauter Aktivismus, das Reich Gottes bauen zu wollen, vieles zerstört wurde, was über Jahrhunderte gewachsen war, folgendes gesagt:
„Ich habe allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst habe ich nichts getan. Das hat, wenn ich geschlafen habe, wenn ich wittenbergisch Bier mit meinem Philippus und Amsdorf getrunken habe, so viel getan, dass das Papsttum schwach geworden ist, dass ihm noch kein Fürst noch Kaiser so viel abgebrochen hat. Ich hab nichts getan, das Wort hat alles gehandelt und ausgerichtet." [zitiert nach Gerhard Sauter, in: GPM 53 (1998), 123.]

Selbstverständlich hat Luther sehr viel gearbeitet und nicht nur geschlafen oder mit seinen Freunden Bier getrunken.

Aber das Evangelium hat seine Wirkung selbst entfaltet.

Diese feine Unterscheidung zwischen dem, was wir Menschen tun können und sollen, und dem, was Gott tut, ist wichtig.

Wir Menschen sollen uns wesentlich auf Gottes Wort besinnen, es weitersagen, wann und wo wir Gottes wunderbares Wirken erfahren, und darauf vertrauen, dass Gott eine reiche Ernte schenkt, wo wir mit bloßem Auge noch nichts erkennen können.

 

Nein, wie ein sprichwörtlicher Sisyphus muss man sich da nicht fühlen.

Selbst wenn die Liste der Aufgaben lang ist.

Es hängt nicht alles von meiner eigenen Kraft ab.

Gewiss, unsere Tatkraft, Kopf und Hand, Sinn und Verstand sind uns von Gott gegeben, und damit wirken wir in Arbeit und Freizeit, im öffentlichen Leben und in der Familie und unter Freunden.

Aber das Reich Gottes wirkt Gott: durch mich, aber auch ohne mich und manchmal vielleicht sogar trotz meiner.

 

Ruhe und Schlaf sind nicht besser als Arbeit und Mühe.

Aber der Schlaf ist ein Sinnbild dafür, dass wir Menschen Grenzen haben und uns am Ende unseres Lebens nicht mehr zur Arbeit erheben werden.

 

Wir müssen nicht alles schaffen, sondern können darauf vertrauen, dass Gott auch dann wirkt und neues Leben schenkt, wenn unsere Kraft am Ende ist.

 

Amen.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.