10.03.2024 - "Gottes tröstende Gemeinschaft" - Predigt zu Jesaja 66,10-14 am Sonntag Lätare (Pfarrer Fischer)
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Predigttext: Jes 66,10-14
10Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie lieb habt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid.
11Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an ihrer vollen Mutterbrust.
12Denn so spricht der Herr: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach.
Da werdet ihr saugen, auf dem Arm wird man euch tragen und auf den Knien euch liebkosen.
13Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden.
14Ihr werdet’s sehen und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras.
Liebe Gemeinde,
es gibt Worte, die so kraftvoll sind, dass sie zu beständigen Begleitern werden.
Wir wissen sofort, wovon in dem Satz aus dem Buch des Propheten Jesaja die Rede ist. „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
Und selbst wenn unsere Lebensgeschichte so verlaufen ist, dass wir den mütterlichen Trost vermisst haben, dann kennen wir vielleicht umso mehr die Sehnsucht nach diesem Trost.
Vermutlich spricht dieses Bild auch deswegen so viele Menschen an, weil es Geborgenheit vermittelt.
Selbst der Heiland der Welt ist als verletzliches kleines Kind auf die bergenden Arme der Mutter angewiesen gewesen.
Wie wunderbar ist es, bergende und schützende Arme um sich zu spüren, seien es väterliche oder mütterliche.
Wie sehr wir das vermissen, haben wir während der Monate des Corona-Lockdowns gespürt.
Wo menschliche Nähe verhindert wird, sinkt nicht nur die Stimmung.
So vernünftig die Maßnahmen auch sein mögen, um die Ausbreitung eines tödlichen Virus zu verhindern und eine Pandemie einzudämmen – auf Dauer vernichtet das Fehlen menschlicher Nähe Existenzen.
Eine eindrucksvolle Geschichte aus dem Mittelalter belegt das.
Friedrich II. von Hohenstaufen (26.12.1194 bis 13.12.1250, römischer Kaiser, deutscher König, König von Jerusalem und Sizilien, Naturbeobachter, Verhaltensforscher und Schriftsteller) wird ein solcher Versuch zugeschrieben: “Der Kaiser wollte die ursprüngliche Sprache der Menschheit herausfinden. Deshalb ließ er einige neugeborene Kinder ihren Müttern wegnehmen und an Pflegerinnen und Ammen übergeben. Sie sollten den Kindern Milch geben, dass sie an den Brüsten saugen könnten, sie baden und waschen, aber keinesfalls mit ihnen kosen und zu ihnen sprechen. Er wollte nämlich untersuchen, ob sie (nach ihrem Heranwachsen) die hebräische Sprache sprächen, die älteste, oder die griechische oder die lateinische oder die arabische oder aber die Sprache ihrer Eltern, die sie hervorgebracht hätten. Aber er mühte sich umsonst, weil alle Kinder starben ... Denn sie können ohne das Patschen und das fröhliche Grimassenschneiden und die Liebkosungen ihrer Ammen und Ernährerinnen nicht leben.” (Eberhard Horst, 1975)
„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
Vielen von uns kommen sofort Bilder in den Sinn, wenn wir diesen Satz hören.
Bilder aus der Kindheit.
Von Ängsten, die uns gelähmt haben, die uns vielleicht haben weinen lassen, die uns verzweifelt nach der Mutter haben rufen lassen.
Und dann diese Erfahrung, diese wunderbare Erfahrung, dass das Rufen gehört wird.
Dass die Mutter da ist.
Oder auch der Vater, der ja genauso mütterlich sein kann wie die Mutter.
Und das Gefühl, einfach geborgen zu sein. Zu spüren, wie die Angst vergeht.
Wir mögen durch unsichere und manchmal schwere Zeiten gehen.
Aber wir sind nicht allein, sondern gehalten und getragen in diesen Zeiten.
Nichts weniger verspricht uns Gott aus dem Munde des Propheten Jesaja.
Wie dringend wir den Trost brauchen!
Denn unsere Welt ist nicht bei Trost.
Man kann schon verzweifeln, wenn man mit einem Gefühl der Ohnmacht vor sinnlosen Gewaltorgien steht, deren Brutalität jede Vorstellungskraft übersteigt.
Und wenn man dann sieht, wie Menschen vor dieser Gewalt fliehen, ihr Leben riskieren, es vielleicht bis hierher nach Europa schaffen und dann hier auf eine Situation treffen, in der sich wegen der großen Zahlen Erschöpfung und Verzagtheit auszubreiten beginnt, in der manche die Ängste der Menschen missbrauchen und zu hetzen beginnen oder mit Worten oder sogar echte Brände legen.
Was wird werden aus uns?
Wird sich unsere Gesellschaft weiter auseinander entwickeln?
Wird der soziale Friede in Gefahr halten?
Oder werden wir uns in der Krise als Gesellschaft auf unsere Stärken besinnen?
Auf unsere finanziellen und wirtschaftlichen Stärke, die schon andere Krisen gemeistert hat?
Auf unsere soziale Stärke, die immer noch da ist, und nur unter den Shitstorms und Eigeninteressen verborgen schlummern?
Tatsächlich ist die Verantwortung groß.
Ich bete darum, dass die Kräfte des Friedens und der Versöhnung die Oberhand behalten werden.
Ich bete darum, dass die Kriegslogik nicht zur Normalität wird und wir uns daran gewöhnen.
Ich bete darum, dass die Menschen, die jetzt fliehen müssen, irgendwann in ihre Heimat zurückkehren können.
Ich bete darum, dass wir in Krisen weder hysterisch noch lethargisch werden.
Manchmal wünsche ich mir, dass Gott einfach direkt eingreift, allen Gewalttätern die Waffen aus der Hand schlägt, alle Probleme löst und auf direktem Wege Frieden schafft.
Aber können wir Gott die Verantwortung für die Gewalt zuschieben, die wir als Menschen einander antun?
Möchten wir tatsächlich, dass alle Probleme für uns gelöst werden?
Wollen wir wirklich einen Gott, der uns wie Marionetten führt?
Der das Weltgeschehen so lenkt als ob er ein Theaterstück aufführt?
Nein, Gott ist kein Marionettenspieler.
Er hat uns, die wir zu seinem Bilde geschaffen sind, die Freiheit gegeben, das Gute oder das Böse zu tun.
Und er wirbt um uns, nicht durch Drohung und Gewalt, sondern durch Fürsorge und liebende Nähe.
Ja, und auch durch Trost und Beistand.
„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
Der Gott, der so spricht, sitzt nicht hoch oben auf seinem Thron.
Sondern es ist der Gott, der die Verletzlichkeit von uns Menschen kennt, der unsere Ohnmacht kennt, der diese Ohnmacht am Kreuz selbst erfahren hat.
Er zwingt nicht zur Liebe sondern strahlt sie aus und gießt sie durch seinen Geist in die Herzen der Menschen ein
Dieser Gott ist nicht irgendeine abstrakte Größe.
Er ist nicht irgendeine kosmische Kraft.
Er ist auch nicht irgendein Weltprinzip.
Sondern er ist ein sehr persönlicher Gott.
Einer, der Mensch geworden ist, geboren in einer Obdachlosenunterkunft, einer, der als Erwachsener umhergezogen ist und den Menschen vom Reich Gottes und seiner Liebe erzählt hat, diese Liebe selbst in einzigartiger Weise ausgestrahlt hat, Menschen Heilung hat erfahren lassen, am Ende der Gewalt der Menschen zum Opfer gefallen ist und gekreuzigt wurde.
Und dann auferstanden ist und gezeigt hat, dass der Tod am Ende nicht das letzte Wort hat.
Das ist der Gott, an den wir Christen glauben!
Das ist der Gott, den wir nötig haben!
Das ist der Gott, der sagt: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“
Diesem Gott, liebe Gemeinde, können wir unser Leben anvertrauen.
Von diesem Gott können wir uns trösten lassen, so wie einen seine Mutter tröstet!
Stellen wir uns einmal einen Moment vor, wir würden das in unserem Land wirklich tun!
Ich bin sicher:
Wir würden unsere Furcht überwinden.
Wir würden das ernst nehmen, was wir aus dem Munde der Engel an Weihnachten gesagt bekommen haben: „Fürchtet Euch nicht!“
Wir würden den Terroristen diesen Triumph nicht gönnen, dass sie uns Angst einjagen.
Wir würden viel mehr mit nüchternem Blick auf die Probleme schauen.
Wir würden uns davon nicht einschüchtern lassen, sondern anpacken und die Empathie weiter ausstrahlen, die unser Land schon erlebt hat und die es für uns zu einer liebenswerten Heimat gemacht hat.
Wir würden mit einem wachen Blick auf die Menschen schauen die schon lange hier leben, aber auch soziale Not erfahren.
Wir würden uns zu ihren Anwälten machen und damit sichtbar machen, dass Gerechtigkeit ein Volk erhöht.
Wir würden Gott von ganzen Herzen suchen, wie Kinder ihre Mutter suchen.
Wir würden ihm blind vertrauen und uns von ihm versorgen lassen:
Mit Glaube, mit Liebe, mit Hoffnung;
im Gebet, im Lesen seines Wortes, im liebevollen verantwortungsvollen Miteinander.
Die Gemeinschaft mit Gott und mit unseren Mitmenschen besteht weiterhin in Gedanken, Worten und Werken!
Seine Liebe zu uns hört niemals auf!
Lassen wir sie zu!
Lassen wir die Zweifel hinter uns!
Suchen wir die Nähe Gottes, der uns zuruft: „Ich will euch trösten wie einen seine Mutter tröstet!
Wer getröstet wird, kann selber trösten.
Wer geliebt wird, kann die Liebe weitergeben.
Wer Segen erfährt, kann selber zum Segen werden.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.