29.03.2024 - "Die Spannung aushalten" - Predigt am Karfreitag zu Matthäus 27,33ff. (Pfarrer Fischer)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Wir hören das Predigtwort aus dem Matthäusevangelium im 27. Kapitel:
Als sie nun an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, gaben sie Jesus Wein zu trinken mit Galle vermischt; und als er’s schmeckte, wollte er nicht trinken.
Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum.
Und sie saßen da und bewachten ihn.
Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König.
Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken.
Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz!
Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen.
Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab.
Dann wollen wir an ihn glauben.
Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn.
Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren.
Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde.
Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Einige aber, die da standen, als sie das hörten, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken.
Die andern aber sprachen: Halt, lass sehen, ob Elia komme und ihm helfe! Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.
Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus.
Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen.
Als aber der Hauptmann und, die mit ihm Jesus bewachten, das Erdbeben sahen und, was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!
Liebe Gemeinde!
Christus ist für uns gestorben!
Der Karfreitag ist nicht ein gewöhnlicher Freitag, auch kein gewöhnlicher Feiertag.
Wir begehen heute den höchsten evangelischen Feiertag.
Manche Menschen hören das und fragen kopfschüttelnd, wie man bloß einen Todestag zum Feiertag machen kann.
Aber es ist ja nicht einfach der Todestag eines Menschen – dann wäre es wirklich purer Sarkasmus -, sondern es ist der Todestag des Jesus von Nazareth, in dem Gott Mensch geworden ist und unter Menschen gelebt hat.
Und es ist nicht einfach ein Todestag, an dem einer alt und lebenssatt gestorben ist, sondern es ist der Todestag des Gottessohnes, der für seine Liebe und Barmherzigkeit verspottet, gefoltert, verurteilt und hingerichtet wurde.
Das hören wir nicht gern in einer Welt, die uns täglich genug an Leid und Terror zumutet.
Vielleicht würden wir heute lieber ausgelassen feiern und uns freuen.
Doch tatsächlich ruft dieser Karfreitag in uns eine sehr gemischte Stimmung hervor:
Ich bin jedes Jahr aufs Neue hin- und her gerissen zwischen Trauer- und Feststimmung.
Und mir ist es auch wichtig, dass wir das Eine nicht für das Andere ersetzen.
Denn beides ist wichtig an Karfreitag: trauern und sich freuen.
Mir ist wichtig, diese Spannung zu empfinden, auch dieses Hin- und Hergerissensein, denn gerade dieses Spannung ist es, um die es auf Golgatha geht.
Karfreitag hat eine doppelte Mitte: Zum einen die Liebestat der Erlösung und zum Anderen den Schmerz über den dazu nötigen Leidens- und Kreuzweg.
Und das dürfen wir als Christinnen und Christen ruhig auch spüren und erleben am Karfreitag.
Es gibt nicht wenige Menschen, die sagen, der Glaube an den gekreuzigten und auferstandenen Herrn habe heute keinen Bezug zur modernen Wirklichkeit mehr.
Überhaupt nur noch knapp 50% aller Deutschen wissen, was es mit Karfreitag und Ostern überhaupt noch auf sich hat.
Menschen, die meinen, Karfreitag und Ostern hätte nichts mehr mit ihrem Leben und ihrer Welt zu tun, irren sich leider sehr!
Denn gerade diese Spannung des Karfreitags, von der ich vorhin geredet habe, dieses geladene Gefühl zwischen Trauer- und Feststimmung ist das größte Zeichen dafür, dass unser Glaube an Jesus Christus entscheidend mit unserer Wirklichkeit zu tun hat.
Das Schöne und das Schreckliche, das Liebliche und das Schmerzliche, das Hohe und das Tiefe - ist das nicht die Grundspannung unseres Lebens, in der wir uns jeden Tag immer wieder finden?
Liebevolle Begegnungen und Ablehnung - wir kennen beides!
Erfolg und Misserfolg - wir kennen beides!
Bewundernswertes und Abscheuliches - wir kennen beides!
Gerade im Karfreitagsgeschehen zeichnet sich die Welt ab und gerade im Karfreitagsgeschehen ist auch unser Alltag abgezeichnet.
Es geht an Karfreitag um unser Leben!
Wenn wir uns auf den Tod Jesu am Kreuz besinnen, hilft es uns, Orientierung für unser Leben zu finden.
Das Kreuz Jesu ist die Mitte all dessen, was uns Gott schenken will: Seine unendliche Liebe und seine unendliche Heiligkeit und Gerechtigkeit.
Beides gehört bei ihm zusammen und beides wird am Kreuz Jesu sichtbar und erfahrbar.
Wer bloß das Gute und Schöne für sich und seine Welt will, der lebt in einer Utopie – in einer Scheinwelt.
Leider gibt es Menschen, die lehnen Gott deshalb ab, weil es auch Schlechtes und Grausames in der Welt gibt, und weil sie mit der Frage nicht fertig werden, warum Gott all das Schreckliche und das Leiden zulässt.
Dahinter steckt – ich muss es leider so sagen – ein sehr naives und einfaches Denken.
Denn Gott wird quasi zu einem Aufpasser der Menschheit und der Welt gemacht.
Funktioniert Gott als Aufpasser, dann ist es gut – funktioniert er nicht, dann lehne ich ihn eben ab.
Wer so denkt, der übersieht etwas sehr wichtiges:
Die Verantwortung für das Tun von uns Menschen wird Gott gegeben.
Er soll bitteschön schauen, dass da nichts schief läuft, dass da nichts Schlechtes getan wird.
Dass viele Menschen an so einen Aufpasser Gott nicht glauben können, kann ich verstehen, weil Gott eben nicht so funktioniert.
Ich finde es sehr traurig, wenn jemand keine andere Vorstellung und Beziehung zu Gott haben, als diese.
Ein Mensch, der Gott nur als Aufpasser sieht, ist tatsächlich auf sich selbst gestellt.
Er muss auf sich selbst aufpassen, sich selbst mit dem Schwierigen und mit den Schlechten der Welt arrangieren, selbst auch mit den eigenen Fehlern zurechtkommen, die Schuld alleine tragen und sich durchs Leben schlagen, ohne auf einen tieferen Sinn hoffen zu können.
Wer Gott so missversteht, dass er ihn nur als den Aufpasser und Beschützer sieht, der muss sich nicht wundern, wenn er schlussendlich genauso unter dem Kreuz steht wie die Spötter vor Jesus.
Der kann auch nicht glauben, dass am Kreuz der Gottessohn hängt, der wird auch nicht glauben, dass der Gottessohn dann an Ostern auferstanden ist, der wird auch kein Vertrauen zu einem Gott gewinnen, der uns durchs wirkliche Leben begleiten will.
Das ist die Haltung der Spötter unter dem Kreuz: Jesus soll ein Wunder tun, dann würden sie glauben.
Wir finden diese Haltung auch in unserer heutigen Zeit wieder: Wenn wir alles in den Griff bekämen, wenn wir Gott so gebrauchen könnten, wie wir es wollten, dann, ja dann würden wir glauben.
Mal Hand aufs Herz: Haben wir nicht schon genug gesehen und erlebt?
Wie viele Wunder haben wir schon erlebt - und haben sie achtlos beiseitegeschoben, nicht beachtet, irgendwie erklärt, ohne das Wunder ernst zu nehmen und dankbar zu werden?
Es braucht eben mehr zum Glauben als das bloße Heischen nach Wundern und danach, Gott soll doch endlich etwas tun.
Es braucht vor allem die Ehrlichkeit, Gott wirklich zu suchen; es braucht auch ein offenes Herz, das den Stolz ablegt, alles schon selbst besser zu wissen - auch besser zu wissen als Gott.
Dieser Stolz ist die Ursünde, die uns Menschen von Gott trennt.
Und wir kommen keinen Schritt weiter, solange wir diesen Stolz nicht ablegen.
Wir werden ständig versuchen, uns selbst zu erlösen.
Mit einem guten Leben, mit klugem Denken, mit Leistung... und dabei verdrängen wir, dass es uns doch nie ganz gelingen wird.
Der Tod Jesu am Kreuz ist gerade davon die Rettung.
Wir müssen nichts leisten, wir müssen nicht besonders gescheit sein, wir müssen nicht besonders viel wissen, wir müssen nicht übermenschlich gut sein.
Am Kreuz ist all dies ein für alle Male erledigt worden.
Denn dieser Stolz, diese menschliche Besserwisserei, diese menschliche Selbstgerechtigkeit hat die Verantwortlichen damals dazu gebracht, Jesus zu kreuzigen und umzubringen.
Und damit ist nun all das überwunden.
Jesus hat dem nicht widerstanden, sondern er hat es erduldet und damit ganz ausgetragen.
Er ist gerade für das gestorben, was ihn ans Kreuz gebracht hat.
Das Kreuz Jesu bricht mit dem Stolz, es bricht mit der Besserwisserei, es bricht mit der Selbstgerechtigkeit.
Das Kreuz Jesu ist in der äußeren Niederlage der Sieg über all dies.
Als Zeichen dafür feiern wir dann am Sonntag Ostern.
Und auf diese Weise sind wir frei zu glauben und Gott unser Vertrauen zu schenken.
Dass beim Tod Jesu im Tempel der Vorhang zerriss, ist das Symbol, dass tatsächlich alles überwunden und besiegt ist, was uns von Gott trennen könnte.
Nun liegt es ganz bei uns, ob wir den nun offenen Zugang zu Gott in Jesus Christus auch in Anspruch nehmen.
Vielleicht gibt es ja auch bei mir einen solchen Vorhang, der zuerst zerreißen muss, damit ich dann glauben kann.
Was es auch ist, es kann nichts so schwer wiegen, dass es nicht mit am Kreuz zerrissen worden wäre und es kann nichts so schrecklich sein, dass es nicht am Kreuz entkräftet wäre.
Gott schenkt uns Vergebung für unsere Sünde des Stolzes und der Selbstgerechtigkeit.
Und er lädt uns ein, unser Leben in seiner Gegenwart in der Nachfolge Jesu zu leben.
Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.