14.04.2024 - "Gott sieht und hört dich" - Predigt am Hirtensonntag Miserikordias Domini zu 1.Mose 16,1-16 (Pfarrer Fischer)
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Wir hören das Predigtwort aus dem 1.Buch Mose im 16. Kapitel:
1Sarai, Abrams Frau, gebar ihm kein Kind. Sie hatte aber eine ägyptische Magd, die hieß Hagar.
2Und Sarai sprach zu Abram: Siehe, der Herr hat mich verschlossen, dass ich nicht gebären kann. Geh doch zu meiner Magd, ob ich vielleicht durch sie zu einem Sohn komme.
Und Abram gehorchte der Stimme Sarais.
3Da nahm Sarai, Abrams Frau, ihre ägyptische Magd Hagar und gab sie Abram, ihrem Mann, zur Frau, nachdem Abram zehn Jahre im Lande Kanaan gewohnt hatte.
4Und er ging zu Hagar, die ward schwanger. Als sie nun sah, dass sie schwanger war, achtete sie ihre Herrin gering.
5Da sprach Sarai zu Abram: Das Unrecht, das mir geschieht, komme über dich! Ich habe meine Magd dir in die Arme gegeben; nun sie aber sieht, dass sie schwanger geworden ist, bin ich gering geachtet in ihren Augen. Der Herr sei Richter zwischen mir und dir. 6Abram aber sprach zu Sarai: Siehe, deine Magd ist unter deiner Gewalt; tu mit ihr, wie dir’s gefällt. Da demütigte Sarai sie, sodass sie vor ihr floh.
7Aber der Engel des Herrn fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste, nämlich bei der Quelle am Wege nach Schur.
8Der sprach zu ihr: Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin? Sie sprach: Ich bin von Sarai, meiner Herrin, geflohen.
9Und der Engel des Herrn sprach zu ihr: Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand.
10Und der Engel des Herrn sprach zu ihr: Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können.
11Weiter sprach der Engel des Herrn zu ihr: Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der Herr hat dein Elend erhört.
12Er wird ein Mann wie ein Wildesel sein; seine Hand wider jedermann und jedermanns Hand wider ihn, und er wird sich all seinen Brüdern vor die Nase setzen.
13Und sie nannte den Namen des Herrn, der mit ihr redete: Du bist ein Gott, der mich sieht. Denn sie sprach: Gewiss hab ich hier hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat.
14Darum nannte man den Brunnen: Brunnen des Lebendigen, der mich sieht. Er liegt zwischen Kadesch und Bered.
15Und Hagar gebar Abram einen Sohn, und Abram nannte den Sohn, den ihm Hagar gebar, Ismael.
16Und Abram war sechsundachtzig Jahre alt, als ihm Hagar den Ismael gebar.
Liebe Gemeinde,
Wir leben in einer schnellen Zeit.
Wir wollen alles sofort.
Bald werden unsere Pakete, die wir morgens bestellen per Drohnen ausgeflogen und ein paar Stunden später sind sie da.
Wir sehen etwas, wir machen ein Foto, posten es und die Welt kann es sehen.
Früher musste man Bilder entwickeln, man hat manchmal eine Woche oder mehr gewartet.
Da brauchte man Geduld.
Geduld haben wir heute immer weniger, es muss ja alles so schnell wie möglich gehen.
Und vielleicht erwarten wir das auch von Gott.
Wir haben doch gebetet, warum ist immer noch nichts passiert.
Nun kann man Abraham vieles unterstellen, aber nicht Ungeduld.
Wie war das noch: Er sollte nicht nur ins gelobte Land Kanaan kommen, sondern er sollte dafür sorgen, ein großes Volk zu werden.
Immer wieder hat Gott sein Versprechen an Abraham erneuert – seine Nachkommen sollten so zahlreich werden wie der Staub der Erde.
Da fängt Abraham so langsam mal an nachzuhaken.
Soll das wirklich so sein?
Gott bekräftigt dieses Versprechen: Abrahams Nachkommen sollen so zahlreich sein wie die Sterne am Himmel.
Ausdrücklich wird festgehalten, dass Abraham Gott Glauben schenkt.
Doch jetzt lebt Abraham mit seiner Nomadensippe schon zehn Jahre im Land Kanaan – dem neuen Land, in das Gott ihn geführt hat.
Und noch immer hat er kein Kind.
Und er ist jetzt 86 Jahre alt.
Wo bleibt die Erfüllung der Verheißung?
Außerdem nicht gut für sein Ansehen.
Was ist ein Mann in der damaligen Welt ohne Nachkommen?
Auch nicht besser war es um das Ansehen seiner Frau Sara bestellt.
Gut, sie war zehn Jahre jünger als er, aber mit 76?
Da ist der Zug „Kinderwunsch“ abgefahren.
Künstliche Hormonbehandlungen oder eingefrorene Eizellen, die man nach Bedarf auftauen konnte, gab es noch nicht.
Wenn ein Paar in diesem Alter noch damit rechnet, dass Gott ihnen wie versprochen ein Kind schenken wird, braucht es schon einen großen, einen sehr großen Glauben.
Gott sieht Abraham und Sara.
Er weiß, was er noch mit ihnen vorhat, aber die beiden brauchen Geduld.
Nehmen wir dazu auch einmal die weitere Zukunft in den Blick.
Nachdem Saras Leibeigene Hagar den Ismael zur Welt bringt, wird Sara 14 Jahre später selbst Abraham einen Sohn schenken:
Dieser heißt dann Isaak.
Der Bibel zufolge war Abraham 100 und Sara 90, als Isaak geboren wurde.
Welch ein Wunder! Ein Wunder, worüber man lachen muss, wenn man es hört.
Daher der Name Isaak, der so viel bedeutet wie: Gott möge lachen.
Zugleich ist die Geburt ein Geschenk Gottes, das Menschen nur dankbar empfangen können – das gilt für jedes Kind, das geboren wird.
Abraham nennt den Sohn, den Hagar ihm schenkt, Ismael – zu Deutsch: „Gott hört“.
Hagar muss wohl Abraham von der Begegnung mit dem Gottesboten berichtet haben und davon, dass der Bote sagte: Nenn deinen Sohn Ismael.
Für Abraham ist das Wunder klar: Gott ist am Werk – ein Gott der sieht und hört!
Gott hört, obwohl ja Abraham und Sara in dieser Geschichte höchst eigenmächtig handeln und versuchen, Gott bei der Erfüllung seines Versprechens nachzuhelfen.
Gott sieht und er hört!
Und auch da bewahrheitet sich wieder der alte Spruch: Gott schreibt auch auf unseren krummen Linien gerade.
Und Gott hält seine Versprechen. ‚
Gottvertrauen braucht Geduld.
Von Dietrich Bonhoeffer stammt der Satz: „Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber alle seine Verheißungen“.
Wir brauchen Geduld, mit den Dingen zu leben, die man sich nicht wünscht: Kinderlosigkeit, Singledasein, eine Krankheit oder auch schwierige Berufs- oder Alltagsbedingungen.
Und dabei dennoch zu wissen: Gottes Verheißung gilt.
Er begleitet und sieht mich bei dem, was ich entbehre.
Und er wird mich neu beschenken und segnen.
Gott sieht uns.
Gott sah damals Hagar.
Wer ist diese Frau, die erste weibliche Gestalt der Bibel, die von Gott durch einen Engel angesprochen wird?
Sie ist eine Ägypterin, die als Magd bei Sarah und Abraham lebt.
Da Sarah bislang kinderlos geblieben ist, gibt sie ihre Magd ihrem Mann Abraham, damit er „zu ihr gehe“.
Ein üblicher Brauch im Alten Orient: Kann die Herrin kein Kind bekommen, schläft ihr Mann mit der Magd.
Im Schoß der Herrin bekommt die Magd ihr Kind und das Neugeborene gilt als legitimer Erbe.
Hagar soll quasi eine Art „Leihmutter“ sein.
Für uns heute ein befremdlicher Brauch; damals übrigens auch:
Es kommt zu Konflikten.
Die schwangere Hagar flieht noch vor der Geburt, weil sie die Demütigungen ihrer Herrin nicht mehr erträgt.
So findet der Engel sie in der Wüste und spricht sie an: „Hagar, wo kommst du her und wo willst du hin?“
So beginnt das Gespräch zwischen der Frau und dem Boten Gottes.
Manchmal braucht es vielleicht nicht mehr als diese Frage an einen verzweifelten Menschen:
„Wie geht es dir und was hast du vor?“
Der Engel sagt Hagar zu, dass sie einen Sohn gebären wird, dessen Name „Ismael“ heißen soll: Gott hört.
Hagar wird wieder zurückkehren zu Sarah und Abraham.
Aber vorher gibt sie Gott die Ehre: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Mich eine rechtlose, eine Fremde.
„Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Die Worte dieser Frau haben uns 2023 das ganze Jahr als Jahreslosung begleitet.
Hagar legt ein ganz persönliches Glaubensbekenntnis ab.
Und lädt ein, diese Erfahrung zu teilen:
Gott sieht mich.
Gesehen werden.
Wahrgenommen, ernstgenommen werden.
Das brauchen Menschen.
„Mich sieht niemand“, höre ich manchmal als Klage.
Oder: „Niemand sieht, was ich hier tue.“
Nicht gesehen zu werden, das kränkt und das ist der innere Motor für Konflikte.
Nicht gesehen werden, das macht einsam und lässt Menschen in Not allein.
In Bertolt Brechts Dreigroschenoper heißt es: „Denn die einen sind im Dunkeln, und die anderen sind im Licht. Und man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht.“
Dazu sind die Worte unseres Predigttextes ein Gegenwort.
Für Gott ist niemand im Dunkeln.
„Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Der Engel Gottes wendet sich gerade der Fremden zu.
Gott sieht und hört ihr Elend.
Was sieht und hört Gott für uns?
Er sieht eine Welt in Unordnung und Krisen.
Er sieht viele Menschen im Dunkeln.
Als Christenmenschen vertrauen wir darauf: Gott hat durch die Geburt von Jesus Christus das Dunkel hell gemacht – so hören wir zu Weihnachten.
Er hat uns sein Osterlicht angezündet das Sünde und Tode überstrahlt.
Gott sieht uns liebevoll an und ist an unserer Seite.
Gott lässt sein freundliches Angesicht leuchten über jedem Menschen.
In den Augen Gottes wird niemand übersehen.
Das kann auch unseren menschlichen Blick auf die Welt verändern.
Es ermutigt dazu, dass auch wir auf andere mit dem Blick der Liebe und Barmherzigkeit schauen.
Gerade auf die im Dunkeln.
Wo sind in meinem Umfeld Menschen, deren innere oder äußere Not niemand wahrnimmt?
Wo kann ich zeigen: „Ich sehe dich“?
Wo kann ich helfen?
Kein Mensch darf übersehen werden.
Wir leben in herausfordernden Zeiten; das ist wahr.
Aber wir vertrauen auf einen Gott, der sieht und hört und Menschen Halt gibt – und die nötige Orientierung, damit wir verantwortungsvolle Wege gehen können.
Gott sieht mich, also bin ich.
Er kann aufrichten, er will sich um mich kümmern; er will mit mir Geschichte machen.
Nur: Wir brauchen auch Geduld.
Gerade auch im Gottvertrauen brauchen wir viel Geduld.
Gott möge uns beides schenken: Geduld und das Vertrauen, dass Gott mich sieht und mich hört.
Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.