08.09.2024 - "Jesus zeigt uns den Vogel" - Predigt zu Matthäus 6,25-34 am 15. Sonntag nach Trinitatis (Pfarrer Stefan Fischer)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.

 

Wir hören unser Predigtwort aus der Bergpredigt beim Evangelisten Matthäus im 6. Kapitel. Ich lese die Verse 25-34:

25Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
26Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie?
27Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?
28Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.
29Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.
30Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?
31Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?
32Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.
33Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.
34Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.

 

Liebe Gemeinde!

Könnte es sein, dass Ihr mir angesichts dieses freundlichen Rates die Vögel des Himmels zeigen werdet – nämlich mit dem Finger an der Stirn?

 

Was soll denn auch eine Gemeinde von realistischen Leuten, die mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen stehen, mit solch einem luftigen Motto anfangen?

Was soll es heißen: „sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch“?

Noch dazu in der Erntezeit?!

Kriegen am Ende doch diejenigen vor Gott Recht, die - aus welchen Gründen auch immer - planlos in den Tag aufbrechen, die keine Verantwortung für die Zukunft übernehmen oder die, wie es heißt, „den lieben Gott einen guten Mann sein lassen”?

 

Nein, so ist das nicht gemeint!

Jesus meint es anders, aber wie?

Wenn es in unserem Predigtabschnitt heißt: „Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet“, so bedeutet das keineswegs: „kümmert euch nicht darum“!

Sich nicht sorgen heißt ja nicht: Sich nicht kümmern, sondern: Sich nicht bekümmern lassen!“

Das ist der entscheidende Unterschied.

Und den gilt es zu erkennen und zu wahren.

Auch wenn das nicht immer leicht ist.

So ist es natürlich sinnvoll und klug, dass sich Eltern zum Beispiel um ihre Kinder kümmern.

Sie sorgen dafür, dass sie aufwachsen und dass es ihnen gutgeht.

Kleinkinder sind ja ganz auf die Fürsorge ihrer Eltern angewiesen.

Sie können gar nicht anders als versorgt zu werden.

Dazu gehört natürlich auch, dass Eltern kluge Vorsorge treffen für das weitere Leben ihrer Kinder:

Sei es, indem sie für eine anständige Erziehung sorgen, auf ihre Ausbildung achtgeben, oder auch dadurch, dass sie ein Sparkonto für sie einrichten, das ihnen helfen mag, später einmal einen guten Start im eigenen Leben zu haben.

Übrigens tun das die Vögel des Himmels auch.

Natürlich legen sie keine Sparbücher für ihre Küken an, doch auch sie sorgen ja für sich und die ihren:

Sie bauen Nester, legen Eier, ziehen die Jungen auf und kümmern sich selbst nach Kräften darum, dass aus ihnen etwas wird.

Ich glaube übrigens nicht, dass Jesus an den Kuckuck gedacht hat, als er uns die Vögel des Himmels zum Vorbild gab.

Wir sehen also, dass Jesus ganz und gar nicht dazu aufgerufen hat, untätig zu sein.

 

Doch was, wenn die Kleinen flügge werden?

Vogeleltern können sich nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, was alles aus ihnen werden könnte, wenn sie das Nest verlassen haben...

 

Hingegen leiden wir ach so bodenständigen Menschen, im Unterschied zu unseren geflügelten Mitgeschöpfen unter einer ganz besonders schmerzlichen Eigenschaft:

Wir sind mit den „Flügeln der Vernunft“ ausgestattet und neigen deshalb dazu, immer weiter vorauszudenken, als es eigentlich sein müsste.

Wir neigen dazu, uns allzu viele Gedanken zu machen um das, was die Zukunft bringen könnte.

Wir machen uns Sorgen, wie es müsste, damit es gut wird mit den Menschen und Dingen, die uns am Herzen liegen.

Wir verlieren dabei all zu leicht die Orientierung auf jenem Weg, den wir zweibeinigen Erdbewohner doch eigentlich nur Schritt für Schritt gehen können.

Statt uns vertrauensvoll auf das Hier und Heute zu beschränken und uns um das zu kümmern, was gerade für uns ansteht, werden wir be-kümmert angesichts dessen, was wir vielleicht noch aushalten und durchstehen müssten.

 

Und dann kann es passieren, dass wir denen, die wir doch lieben, die Flügel beschneiden - aus lauter gutgemeinter Sorge um ihr Wohlergehen.

Sorge kann nämlich auch leicht ins Gegenteil umschlagen.

Wenn Eltern ihre Kinder nicht irgendwann einmal loslassen können, wenn sie stattdessen versuchen, sie von allen Gefahren und Problemen fernzuhalten, können Kinder nicht selbstständig werden.

Sie werden nur ganz schwer lernen, in der Welt allein zurecht zu kommen. Das Leben ist zuweilen ein unbarmherziger Lehrmeister.

 

Unser Sorgen, dass mit dem heutigen Tag nicht aufhört;
unser Alles-Bestimmen-Wollen, unser Alles-Regeln-Wollen, unser Wunsch nach der absoluten Lebensversicherung mit Null-Restrisiko für unsere Zukunft – das alles zeigt unsere Lebensangst!

Unsere sprichwörtliche „German-Angst“.

„Darum”, so heißt es am Ende unseres Predigttextes, „sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.”

 

Ich weiß sehr gut, dass es nicht so einfach ist, die Sorgen um das Morgen so mir nichts dir nichts abzulegen.

Ich tu mir selbst dabei schwer.

Und ich frage mich auch, wie das gelingen kann.

 

Ich glaube, wir müssen uns von Jesus heute so richtig den Vogel zeigen lassen.

„Seht die Vögel des Himmels an”, sagt Jesus und meint damit: sie mühen sich fleißig, aber sie brüten nur über einem Ei, das gelegt worden ist.
Eine echte Binsenweisheit, oder?

Nur aus einem Ei, das wirklich gelegt ist, kann etwas Lebendes schlüpfen.

Ich verstehe Jesus so:

Deshalb brütet auch ihr nicht über ungelegten Sorgeneiern, sondern kümmert euch wie die Vögel schlicht um das Naheliegende.

Alles andere ergibt sich nämlich wirklich daraus.

 

Wir müssen jetzt nur noch wissen, was das Naheliegende ist.

Jesus sagt: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles (andere) zufallen“.

Das ist das Naheliegende: Gottes Reich.

Danach sollen wir Ausschau halten.

Gott selbst ist uns nah.

Er bietet uns an, dass wir uns auf Ihn verlassen...

Ich weiß, dass dies für uns bodenständige Franken eine recht unbefriedigende Antwort sein kann.

Gottes Reich, das können wir uns so recht nicht vorstellen; es bleibt schleierhaft; wir können es nicht ergreifen oder recht begreifen.

Und ist es nicht gerade mit Gottes Reich so, dass wir denken: Das liegt doch in der Zukunft und wird erst noch kommen.
Aber wir sollen uns doch nicht über zukünftige Dinge Sorgen machen.

 

Liebe Gemeinde, sollten wir wirklich so ähnlich denken?

Sollten wir Gottes Reich wirklich komplett in einer ungewissen Zukunft vermuten? Ohne Bezug zu unserer Gegenwart unserem Hier und Jetzt?

 

Jesus selbst hat in sehr realer Weise vorgelebt, wie Reich Gottes aussehen kann: Vertraue auf Gott und kümmere Dich um das Naheliegende – das Nächste und den Nächsten!

Niemand anderes als unseren nächsten Mitmenschen hat Jesus auch uns ans Herz gelegt und an die Hand gegeben, als er sagte: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach Seiner Gerechtigkeit.“

Ja, Gottes Reich ist ganz nah bei Dir und mir.

Noch nicht vollständig und perfekt – das wird erst in der Zukunft durch Gott selbst geschehen – wann, wissen wir nicht.

 

Doch schon jetzt können wir Gottes Reich überall dort erleben, wo Menschen auf Gott vertrauen und versuchen, nach seiner Liebe zu leben.

Wo wir nach Gottes Gebot leben wollen und uns die Anliegen unserer Mitmenschen zu Herzen nehmen.

Wo wir versuchen, für Gottes Frieden und Gerechtigkeit einzustehen.

Überall dort bricht die Schale auf und Gottes Reich bricht an.

Gottes Verheißungen bricht sich Bahn.

Wir erfahren mit anderen, dass wir unter Gottes Schutz und Schirm geborgen sind.

Denn Gottes große Fürsorge zeigt sich denen, die Ihn für sich sorgen lassen.

Gelassenheit - das ist das Zauberwort für ein Leben, das Gott gefällt.

Ein Leben, in dem auch andere wahrhaft Platz finden.

Unser eigenes Vertrauen auf Gott und unsere vertrauensvolle Zuwendung zu unseren Mitmenschen gehören untrennbar zusammen.

 

Vielleicht kommt das uns ja schon bekannt vor.

Und so ist es auch: Vor zwei Wochen haben wir in einer anderen Geschichte davon gehört: Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter.

Dort gipfelt alles im Doppelgebot der Liebe: Wir sollen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und unseren Nächsten wie uns selbst.

Das heißt, dass unsere Beziehung zu Gott nie ohne die liebende Beziehung zum Nächsten sein kann.

Gerade dann, wenn er wie im Gleichnis vom barmherzigen Samariter unsere Hilfe braucht.

 

Jesus weiß um die große Verantwortung, der uns damit aufgibt und zeigt uns den Vogel.

Deshalb sagt er: Sorgt euch nicht.

Lebt von eurer Liebe zum Vater her und lasst euch hintragen zum Nächsten.

Euer Vater im Himmel wird eure Hände füllen.

Er wird euch geben, was ihr braucht.

Vom Glauben her werdet tätig.

Traut euch!

Denn es gibt keinen anderen Weg das Reich Gottes zu finden, als im geschwisterlichen Dienst, der aus der Liebe zu Gott wächst.

Das soll uns heute wieder klar werden.

 

Mit Verboten ist den Sorgen nicht beizukommen, aber mit der Erinnerung an den, den Gott uns schenkt.
Ich möchte schließen mit einem Wort von Dietrich Bonhoeffer aus seinem Buch Nachfolge.

„Sorget nicht für den anderen Morgen.

Das ist nicht zu begreifen als Lebensweisheit, als Gesetz.

Es ist allein zu begreifen als Evangelium von Jesus Christus.

Nur der Nachfolgende, der Jesus erkannt hat, empfängt aus diesem Wort die Zusage der Liebe des Vaters Jesu Christi und die Freiheit von allen Dingen.

Nicht die Sorge macht den Jünger sorglos, sondern der Glaube."

Amen.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.