20.10.2024 - "Liebe ist Heimat bei Gott" - Predigt zu Johannes 15,9-17 am 21. Sonntag nach Trinitatis (Pfr. Stefan Fischer)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde,
als man Martin Luther einmal um eine Beschreibung Gottes gebeten hatte, soll er gesagt haben: Gott ist ein Backofen, der glüht voller Liebe.

Ein eigenartiges Bild mit biblischem Hintergrund.

Gott wird immer wieder als Liebe beschrieben, aber das macht es für uns nicht einfacher.

Heißt das wirklich, dass Gott alle Menschen liebt und nicht nur uns, die wir uns zum Gottesdienst versammeln?

Heißt das womöglich auch, dass er Menschen liebt, die große Fehler gemacht haben Kinderschänder, Mörder oder andere Verbrecher?
Heißt es auch, dass er mich liebt, obwohl ich am besten weiß, dass ich Gottes Liebe eigentlich nicht verdient habe?

Jesus bereitet seine Jünger auch auf schwere Zeiten vor: auf Trennung und Abschied von ihm.

Auf die Passion und den Kreuzestod.

Es sind Zeiten, in denen sie nicht verstehen, was geschieht.

Zeiten, in denen Jesus irdisch nicht mehr greifbar sein wird und doch gegenwärtig bleibt.

Zeiten, in denen die Gefahr groß ist, dass sie sich verloren fühlen, dass sie sich innerlich und äußerlich zerstreuen.

Wo sollen wir hin?

Wo bleiben wir, wenn du nicht da bist?

Hören wir einen kleinen Abschnitt aus der Abschiedsrede Jesu an seine Jünger aus Johannes 15,9-17:

 

9 Jesus sprach zu seinen Jüngern:
Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch.
Bleibt in meiner Liebe!
10 Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe.
11 Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.
12 Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.
13 Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.
14 Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete.
15 Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut.
Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.
16 Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er’s euch gebe.
17 Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.

 

Liebe Gemeinde,
wo bleibe ich?
Wo bleiben wir?

 

„Bleibt in meiner Liebe“ (V. 9b).

Jesus bietet die Liebe als Heimat an.

Wie geht das?

Er deutet das für seine Jünger so: „Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe“ (V. 10a).

Indem sie seine Gebote halten, finden sie Halt.

So können sie leben in seiner Gemeinschaft und in Gemeinschaft untereinander.

Es beheimatet sie in einer leerer gewordenen Welt.

So kann die kleine Schar der Jünger und Jüngerinnen in der Welt sein und wachsen.

So bleibt die Liebe Jesu in der Welt.

Jesus bietet seine Liebe als „Bleibe“ an.

 

Mir fällt auf: Jesu Liebe ist Lebensraum.

Ein Raum, den ich betreten, begehen, verlassen kann.

Ein Raum, der mich umgibt, ein Raum, gefüllt mit seiner Lebendigkeit und mit Freude.

Das klingt nach Heimat.

 

Ich denke daran, wie man sich sonst beheimatet.

Heimat ist mir ja etwas nicht einfach nur, weil ich es schön finde.

Oder weil ich dort geboren bin.

Mit der Heimat bin ich vertraut.

Vielleicht sind die Kinder dort geboren, ich habe Menschen sterben sehen, um sie geweint.

Ich war verzweifelt und ausgelassen, ich bin den Weg durch die Felder gegangen, wenn die Saat keimt.

Ich habe sie im Frühsommer wachsen sehen, kräftig, im Spätsommer dann reifen.

Ich bin im Herbst über die Stoppelfelder gegangen und war im Winter da, wenn der Schnee den Erdschollen ein weißes Kleid übergelegt hat.

So wird Lebensraum zur vertrauten Heimat.

„Bleibt in meiner Liebe.“

 

Die Liebe ist wie eine Landschaft lange vor mir da.

Ja, bevor Berge, Täler und Flüsse wurden, gab es sie schon.

„Wie mich mein Vater liebt“ (V. 9a), damit beschreibt der Evangelist Johannes ein Geschehen, das außerhalb unserer Vorstellung ist, außerhalb unseres Koordinatensystems von Raum und Zeit: vor aller Schöpfung!
Gott schenkt mir seinen ewigen Lebensraum, seine Liebe.

Und ich darf nun eintreten in seinen Lebensraum Liebe, ihn begehen, mich beheimaten, ihn mir aneignen.

 

Dieser Lebensraum liegt aber nicht im „Wolkenkuckucksheim“, oder „hinter den Bergen bei den sieben Zwergen“;
Dieser Lebensraum ist da, wo wir als Menschen miteinander leben.

Denn Jesus weist uns hin auf unser Miteinander.

 

Damit hat dieser von Gott geschenkte Lebensraum auch was mit unserem Alltag zu tun:

Mit all den täglichen kleinen Querelen und großen Lebensnöten.

Er findet sich vielmehr genau da, wo ich lebe, wo ich zur Arbeit oder zur Schule gehe, wo ich einkaufe, wähle, Musik höre, im Verein mitarbeite, zu einer Gemeinde gehöre ..., bei den Menschen, die ich brauche und da, wo ich gebraucht bin.

 

In diesem Lebensraum soll nun eine besondere Regel herrschen:
Jesus sagt: „Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe“ (V. 12).

So wenig ist das und doch so viel.

Damit scheint für Jesus alles gesagt.

Mag sein, er traut seinen Jüngern und dann auch uns einfach zu, dass wir in der Tiefe sehr wohl wissen, was wir im Namen seiner Liebe aneinander zu tun und zu lassen haben.

Damals sind die Jünger lange genug bei ihm gewesen, ungefähr drei Jahre.

Und der Evangelist Johannes erzählt, dass Jesus sich von seinen Jüngern nicht nur mit Worten verabschiedet.

Sein Abschied ist auch begleitet von Taten, die den Jüngern helfen werden, weiterzuleben.

So berichtete er noch vor den Reden vom letzten Abendmahl, das Jesus mit seinen Jüngern feiert.

Und er beschreibt, wie Jesus zum Diener seiner Jünger wird, als er ihnen die Füße wäscht.

Jesus hat ihnen in Wort und Tat gezeigt, wie sie seine Liebe zu verstehen ist.

 

Und auch wir heute können von ihm hören, zu ihm beten, mit ihm ringen, uns ihm öffnen, singen, uns vertraut machen mit ihm.

So beheimaten wir uns in seiner Liebe

So kann die Liebe Jesu auch durch uns zur Welt kommen.

 

Die Liebe erscheint hier jedenfalls nicht als ausgeführte Anleitung, die uns für alle Wechselfälle des Lebens vorprogrammiert.

Also etwa: Wenn Situation X, dann Reaktion Y ...

Wie sollte das auch gehen?

Dann wäre die Liebe so etwas wie eine besonders sichere Gebrauchsanweisung.

Dafür ist die Liebe zu groß!

 

Liebe bleibt auch immer ein Geheimnis.

Die Liebe entzieht sich meiner Macht.

Ich kann die Liebe nicht herstellen, oder beherrschen.
Aber die Liebe kann mich beherrschen, kann meine Gefühle bestimmen.

So fällt es uns ja schon unter uns Menschen schwer, die Liebe zu erklären.

Aber wir können die Liebe verstehen.

Wir können einander die Liebe erklären – in Wort und Tat, wie Jesus es vorgemacht hat.

 

In den Worten des Johannesevangeliums beschreibt Jesus aber zwei Merkmale seiner Liebe, die ich hilfreich finde, die Liebe Gottes besser zu verstehen:

 

Das Erste ist:

die Liebe bleibt nicht bei sich.

Wie der Vater den Sohn liebt, so der Sohn die Jünger und die Jünger sich untereinander.

Was der Sohn vom Vater hört, das gibt er weiter.
Am Ende gibt er das Leben, das er vom Vater empfangen hat, hin für die, die er seine Freunde nennt.

 

So kann es unter den Menschen, den Jüngern sein bis zu uns hin.

Die Liebe ist wie ein gewaltiger Fluss, ein Strom.

Die Liebe bleibt nicht bei sich.

Von ihrem Wesen her kann sie es ja gar nicht.

Sie wird erst wahr im Miteinander.

Eine Liebe, die bei sich bleibt, ist keine Liebe.

Manchmal werden wir ja „ergriffen“.

Das sind die Momente, wo ich erkenne: Ich kann geben und verliere nicht.

Ich lasse los und werde nicht arm.

Es ist zu spüren, dass die Angst weichen kann, die Angst herzugeben von meiner Zeit, von meinem Geld, von meinen Ansprüchen.

Wie selbstverständlich fließt es hinüber.

Das muss keine „Gefühlswallung“ sein, das kann auch ein sehr nüchterner Entschluss sein.

Zum Beispiel der Entschluss, anderen Menschen ehrenamtlich zu helfen, oder einen bestimmten Betrag zu spenden.

Die Liebe bleibt nicht bei sich.

Gott sei Dank.

Das ist das erste Merkmal, das ich Jesus von seiner Liebe beschreiben höre.

 

Das zweite ist:

Die Liebe ist mehr als wir Menschen vermögen.

Jesus bindet die Liebe sehr hoch an.

Er bindet sie an sich.

Er gibt sie weiter, aber er gibt sie nicht aus den Händen.

Die Liebe bleibt immer auch bei Gott selbst, im Ursprung aller Dinge; Gott ist und bleibt die Quelle der Liebe.

„Wie der Vater den Sohn geliebt hat, so liebe ich euch auch“ (V. 9a).

„Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“ (V. 16a).

 

Die Liebe ist mehr als wir sein können.

Sie lebt in mir, aber ich muss sie nicht erschaffen.

Sie hängt nicht von mir ab.

Nicht von meiner Tagesform, nicht von meiner augenblicklichen Befindlichkeit.

Wie sehr brauche ich das manchen Tag.

Denn die Grundstimmung oder das momentane Gefühl können schlecht sein und übellaunig.

Wenn ich erschöpft bin, habe ich keine Kraft für den Nächsten da zu sein.

 

Die Liebe erschöpft sich nicht in mir, wenn ich erschöpft bin.

Denn es ist die Liebe Jesu.

Ich finde das erlösend, weil es uns als Menschen noch einmal eine andere Würde verleiht:
Du bist mehr, als du sehen kannst.
Du bist geliebt und du kannst Liebe geben.

 

Gott schenkt uns seine Liebe.
Gott schenkt uns seinen Lebensraum.
Menschen teilen miteinander diesen Raum; schenken sich Gottes Liebe;
hören sich zu;
begegnen einander mit Achtung und Aufmerksamkeit;
stehen füreinander ein.

So bauen wir mit an Gottes Lebensraum für uns.
So entsteht Kirche, Reich Gottes, Heimat in Zeit und Ewigkeit.
Amen.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.