01.12.2024 - "Erwartungen" - Predigt zu Lukas 1,67-79 am 1. Advent (Pfr. Stefan Fischer)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Wir hören Worte dem ersten Kapitel des Lukasevangeliums; es ist der Lobgesang des Zacharias.
Ich lese die Verse 67-79:
Zacharias, der Vater Johannes des Täufers, wurde vom Heiligen Geist erfüllt und sprach:
Gelobt sie der Herr, der Gott Israels!
Denn er hat besucht und erlöst sein Volk und hat und aufgerichtet eine Macht des Heils im Hause seines Dieners David – wie er vorzeiten geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten -,
dass er uns errette von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen,
und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern und gedächte an seinen heiligen Bund und an den Eid, den er geschworen hat unserm Vater Abraham, uns zu geben,
dass wir, erlöst aus der Hand unserer Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen.
Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen.
Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest,
und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden,
durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes,
durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe,
damit es uns erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes,
und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.
Liebe Gemeinde,
richtig gute Werbespots vergisst man nicht.
Vielleicht erinnert ihr euch noch an den:
Ein werdender Vater rennt durch die Gänge des Krankenhauses, der Säuglingsstation entgegen, um endlich mit seligem Blick seinen frischgeborenen Sohn in den Arm zu nehmen:
Mein Sohn, stammelt er, mein Stolz, mein Stammhalter, meine Altersversorgung.
Und beim letzten Wort streckt der Säugling dem verklärten Vater die Zunge raus und zeigt ihm den Vogel.
Groß sind die Hoffnungen und Erwartungen, die so ein kleiner Mensch in uns weckt.
Und nicht alle gehen in Erfüllung und das ist manchmal auch gut so.
In einer ganz ähnlichen Situation sind die Worte unseres heutigen Predigttextes gesprochen oder vielleicht auch gesungen worden.
Der gegen alle Hoffnung im Alter noch Vater gewordene Zacharias hält ein kleines Bündel Mensch auf dem Arm.
Es ist einige Monate vor Jesus zur Welt gekommen und wird später bekannt werden als Johannes der Täufer.
Ein Prediger und Wegbereiter des Christus wird er sein.
König Herodes wird auf einer Geburtstagsfeier seinen Kopf seiner Stieftochter zum Geschenk machen müssen, als Dank für eine gelungene Tanzeinlage.
Dahinter steckte freilich nicht die Stieftochter, sondern die Mutter, deren Ehe mit Herodes Johannes offen kritisiert hatte, war sie doch schon die Frau des Bruders von Herodes gewesen.
Propheten, die kein Blatt vor den Mund nehmen und ihren Mitmenschen die Wahrheit nicht schuldig bleiben, leben zu allen Zeiten gefährlich.
Aber auch durch diesen Mord kann Johannes dem Täufer sein Platz in der Heilsgeschichte Gottes nicht streitig gemacht werden.
Er geht in sie ein als der Wegbereiter des Christus und die Frau des Herodes als hinterhältiges Subjekt.
Es ist deshalb kein Wunder, dass am Kinderbettchen des Johannes, nicht zuerst die seligen Hoffnungen und Erwartungen frisch gebackener Eltern erklingen.
Es erklingt vielmehr die die Heilsgeschichte Gottes von den Anfängen des Gottesvolkes Israel bis zur Geburt des Herrn und dem kommenden Himmelreich, das er verkündigen wird.
Nicht das süße Kindergesicht erhellt die Zukunft, sondern die „Macht des Heils“ strahlt in diesem Gesichtchen auf.
Nicht dem Anfang wohnt der Zauber inne, sondern dem Besuch der herzlichen Barmherzigkeit Gottes, der war und ist und kommt.
Es ist schon ein seltsames Lied auf die Zukunft, weil es nicht ohne die Erinnerung an das ganz Alte und Vergangene auskommt und auskommen will.
Wenn wir die neuen Geschenke an Weihnachten ausgepackt haben, fliegen die alten auf den Müll, wenn sie nicht längst dort gelandet sind.
Wir leben in einer Welt, die geradezu gierig nach dem Neusten schreit.
Nichts ist so alt, wie die Zeitung von gestern.
Und schon unsere Kinder werden im Schweinsgalopp von einer Mode zur anderen getrieben, dass den Eltern die Luft und das Geld wegbleibt.
Was neu ist, ist gut; was alt ist, ist schlecht.
Nur nicht von gestern sein, nur nicht veralten, heißt darum die große Angst des modernen Menschen.
Jetzt könnte ich beruhigt aufatmen:
Wenn wir heute den neuen Kirchenvorstand in sein Amt einführen, muss ich niemandem zum alten Eisen werfen.
Das wäre ja falsch gedacht.
Kirchenvorsteher und Kirchenvorsteherinnen, die aus dem Amt scheiden, haben immer ihre guten Gründe.
Und sie gehören niemals zum alten Eisen und verschwinden nicht einfach in den Archiven der Gemeindechronik.
Und die Neuen krempeln auch nicht einfach die Ärmel hoch, treten ins Rampenlicht, werden Hoffnungsträger und gehen als Sterne am Gemeindehimmel auf.
Nein, das alte ist bei uns nicht einfach out!
Altes und Neues gehören zusammen.
Wir heute stehen auf den Schultern der Generationen vor uns.
Auch als Kirchenvorstand – und überhaupt!
Ich bin froh, dass unser heutiger Predigttext genau das unterstreicht:
Denn er stellt mit dem Lied des Zacharias das Kommen und Gehen unserer Mitarbeiter nicht in unsere moderne Befindlichkeit der Gier nach dem immer Neuen und der Verachtung des Alten, sondern in den Horizont der Heilstaten Gottes.
Er stellt die, die kommen und die, die gehen vor die Kulisse der Jahrtausende langen Geschichte der Treue Gottes mit seinem Volk Israel.
Diese Geschichte wird mit Jesus Christus zu einer Geschichte der Treue Gottes mit allen Menschen.
Uns begegnet der Weihnachtsgeschichte niemand anderes als der Schöpfer dieser Welt.
Es ist deshalb die Geschichte Gottes von Anbeginn der Welt bis zu ihrem Ende – eine Geschichte die sich in Jahrmilliarden misst;
und nicht nur in kleinkariertem Denken von gestern und heute und morgen.
Angesichts der Ewigkeit Gottes ist alles menschliche Planen und Denken relativ unbedeutend.
Und da merken wir schon, wie eitel und eingebildet unser Gerede vom Alten und Neuen ist.
Wie gegenstandslos der ewige Streit zwischen den sogenannten Konservativen und Progressiven ist.
Als wäre das Konservative automatisch schlecht und das Progressive automatisch gut – oder umgekehrt.
Als gäbe es immer nur Neues oder immer nur Altes unter der Sonne.
Als wäre jedes Wort nicht schon einmal gesagt, jede Lust, jeder Schmerz nicht schon einmal gefühlt!
Wir mögen als Mensch unverwechselbar und einzigartig sein.
Unser Leben, Denken, Fühlen und Tun ist es meist nicht.
Gottes Güte ist alle Morgen neu!
Gestern, heute und morgen!
Davon singt das Lied des Zacharias.
Wenn wir uns im Glauben immer wieder daran erinnern, werden wir den Weg in unsere Zukunft finden.
Wenn wir von der Güte Gottes leben, die jeden Morgen neu ist, werden wir die Kraft und die Hoffnung finden, jeden Tag „aufs Neue“ das zu tun, zu denken und zu sagen, was notwendig ist.
Unser Glaube wurzelt in den Erfahrungen und Geschichten der Treue Gottes und wächst so dem Himmelreich entgegen.
Und deshalb wünsche ich unseren alten und neuen Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorstehern, dass sie nicht anfangen, einem blinden Aktionismus hinterher zu rennen;
der sich auf der wilden Jagd nach dem immer Neuen schließlich zwangsläufig bis zur Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit verbraucht.
Ich wünsche euch und uns, dass wir als Glaubende konservativ bleiben in der Erinnerung an den Gott, der sein Volk Israel besucht und erlöst hat in den Zeiten der Knechtschaft, der sein Licht aufstrahlen ließ in der Weihnacht, der auch über uns sein Licht aus der Höhe aufscheinen lässt, damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.
Diese Erinnerung ist das Herzstück unseres Glaubens, weil in dieser Erinnerung eine progressive Verheißung steckt:
Die Erinnerung an Gottes Treue weckt Hoffnung und Orientierung auf der Wanderschaft durchs Leben gibt.
Nur wenn diese Erinnerung in uns lebendig bleibt, werden wir selbst wie ein Licht in unserer Welt sein können.
Nur wer seiner Welt Licht sein kann, darf wahrhaft progressiv genannt werden.
Wer einen sicheren Stand hat, der kann sich auch öffnen.
Wer Gottes Liebe in sich spürt, kann offen und einladend auf andere Menschen zugehen.
Heute am ersten Advent, beginnt die Zeit des Wartens auf die Ankunft des Heilands, des Christus.
Drei Wochen des Wartens und der Erwartung.
Zeit der Erwartungen an uns selbst;
Zeit der Sehnsucht nach innerer und äußerer Harmonie.
Zeit der Erwartungen, die andere auch an uns haben.
Schlecht, wenn unser sorgfältig ausgesuchtes Geschenk beim Beschenkten dann ein unwilliges Gesicht hervorruft, weil der statt eines Buches lieber ein Smartphone bekommen hätte.
Zeit der Erwartungen, die wir an andere haben.
Enttäuscht, wenn wir uns auf ein friedliches und besinnliches Weihnachtsfest im Familienkreis gefreut haben und nicht alle mitfeiern können oder wollen, oder es halt doch ein normaler Alltag mit Meinungsverschiedenheiten wird.
Erwartungen, Erwartungen, Erwartungen, die aus der fröhlichen, schnell eine unvergesslich verdrießliche Weihnacht machen.
Machen wir es doch wie der wackere Säugling im Werbespot.
Zeigen wir all den aufgesetzten Erwartungen an uns und an andere den Vogel.
Und wenden wir unsere Erwartungen ganz dem großen Besuch aus der Höhe zu, der an Weihnachten mit seiner herzlichen Barmherzigkeit zur Welt kommt, zu uns und zu denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.
Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.