25.12.2024 - "Das Wort ward Fleisch" - Predigt zu Johannes 1,1-20 an Weihnachten (Pfarrer Stefan Fischer)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus.

 

Liebe Gemeinde,
Es ist ruhiger geworden.

Gestern an Heiligabend waren hier die Plätze noch besser / sehr gut besetzt.

Und die Spannung ließ sich fast mit Händen greifen.

Die Kinder konnten es kaum erwarten, nach Hause zu kommen.

Die Erwachsenen kamen gerade aus den letzten Vorbereitungen für den Heiligen Abend.

Und alle wollten sich einstimmen lassen.

Von den alten Liedern, den Kerzen am Baum, der Geschichte vom Kind im Stall, von Maria und Josef und den Hirten.

 

Auch für mich kann es nicht Weihnachten werden ohne diese Worte: „Es begab sich aber zu der Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war...“

Dann werde ich wieder der kleine Junge mit den leuchtenden Augen.

Jedes Jahr zu Weihnachten, da wünschen wir uns das Staunen zurück, die Freude, die uns als Kinder überkam, wenn die Tür geöffnet wurde und die Geschenke unter dem Baum hervorschauten.

Und das ist auch gut, und es ist auch erlaubt, dass wir mit Kinderaugen auf den Heiligen Abend blicken.

 

Aber das ist nicht alles.

Weihnachten ist mehr.

Weihnachten ist nicht nur der Stall von Bethlehem, der holde Knabe im lockigen Haar.

Wo nur das ist, da gerät Weihnachten in Gefahr, versüßlicht und verniedlicht zu werden.

Und das ist es nicht.

Weihnachten ist ein Skandal.

Manch Denker der Antike würde sich im Grabe herumdrehen angesichts der ersten Sätze des Johannesevangeliums.

Da geht es auch um Weihnachten, aber ganz anders als bei Lukas.

Es fängt schon viel früher an, vor der Schöpfung sogar.

Und geht viel weiter.

Bis zu mir; und fragt mich, ob ich es glaube.

 

Ich lese das Predigtwort bei Johannes im 1. Kapitel:

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war dieses Wort.
Dasselbe war im Anfang bei Gott.
Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.
In ihm war das Leben, Und das Leben war das Licht der Menschen.
Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen.
Es war ein Mensch, von Gott gesandt, der hieß Johannes.
Der kam zum Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen, damit sie alle durch ihn glaubten.
Er war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem Licht.
Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.
Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte ihn nicht.
Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf.
Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.

 

Liebe Gemeinde,
ein geheimnisvoller Text ist das.

Fremd und verwirrend.

Das Wort, das am Anfang, vor der Schöpfung, bei Gott war und Fleisch geworden ist.

Jesus als das fleischgewordene Wort Gottes.

Jesus, sein Leben und Wirken, sein Predigen, sein Leiden, Sterben und Auferstehen.

Das ist das eine Wort, das Gott der Welt zu sagen hat.

Vor Beginn aller Zeiten hat er es gewusst, hat er es erdacht.

Und er teilt es seiner Welt mit, indem er selbst Mensch wurde und unter Menschen lebte.

 

Und das beginnt eben im Stall.

Dort, wo der Wind durchpfeift.

Wo es kalt ist in der Nacht.

Nicht im Palast auf weichen Decken.

Und das geht so weiter.

Denen am Rande der Gesellschaft gilt die besondere Aufmerksamkeit unseres Gottes.

Das zieht sich durch die Geschichten der Evangelien.

Mit Kranken, mit Betrügern, mit Frauen und Kindern gibt Jesus sich ab.

Seine besten Freunde sind einfache Fischer.

Aber nicht nur das.

Er selbst lässt sich an den Rand stellen.

Er lässt sich verspotten und demütigen, er lässt sich foltern und kreuzigen.

 

Das Wort ward Fleisch.

So heißt es.

Und das ist gesagt gegen alle, die damals meinten, Gott sei zwar schon irgendwie in menschlicher Gestalt auf Erden gewandelt, aber doch eben nicht ganz als Mensch, er habe nur ausgesehen wie ein Mensch.

Das an Jesus, was Gott war, das hätte natürlich nicht gelitten, das hätte keine Schmerzen gespürt.

So haben manche sich das damals zurzeit des Johannes zu erklären versucht.

Sie wollten das Göttliche sozusagen reinhalten, aus dem Irdischen, Schmutzigen und Elenden heraushalten.

So hätten sie das gerade noch vereinbaren können mit ihrer Vorstellung von Gott.

 

Aber nein: "Das Wort ward Fleisch."

Auch mit all seinen unangenehmen Begleiterscheinungen.

Fleisch, das ist der Mensch in seiner ganz und gar irdischen Existenz.

Der Mensch, der bedürftig ist, der Angst hat, der hart arbeiten muss, der missachtet wird, der stirbt.

Das von Gottes zu behaupten, das ist Skandal, weil es mit dem Verstand nur schwer zu begreifen ist;

weil es unseren eigenen Wünschen und Vorstellungen von Gott zuwiderläuft.

 

Und warum hat Gott das alles von Anfang an geplant und umgesetzt?

Die Antwort: Aus Liebe.

So deutet es das Johannesevangelium. „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab.“

Schon die Schöpfung der Welt ist ein Akt der Liebe.

Gott reichte es nicht, bei sich selbst zu sein.

Es reichte ihm nicht, sein Wort bei sich zu haben.

Es nur allein zu hören.

Kein ewiges Selbstgespräch.

Es drängte ihn aus sich heraus, er wollte ein Gegenüber.

„Lasst uns Menschen machen, ein Bild das uns gleich sei.“

Er wollte für sie ein Leben voller Licht.

Voller Vertrauen und Freundlichkeit.

Aber er konnte sie dazu nicht zwingen.

Denn aus Liebe hat er diesem Gegenüber Freiheit geschenkt.

Wo Zwang herrscht, wo einer keine Möglichkeit hat, sich zu entscheiden, da ist keine Liebe, auch wenn man es so nennen mag.

 

Aber genauso ist da keine Liebe, wo man sich dann nicht mehr um das Gegenüber kümmert.

Und weil Gott sah, dass seine geliebten Menschen in Gefahr waren, der Finsternis zu viel Raum in ihrem Leben zu geben, beschloss er, sich erneut an sie zu wenden, mit ihnen zu sprechen.

Aber - vielleicht ist es so vorstellbar - er wusste, dass das, was wir Menschen mit einem Ohr hören, oft zum anderen schon wieder herausgeht.

Dass Worte Schall und Rauch sind.

So vieles wird gesagt, wer soll sich das alles merken?

Und vielleicht hat er gedacht: "Wer nicht hören kann, der soll fühlen dürfen."

Der soll etwas haben, was er sehen kann, was er erleben kann, was er anfassen kann.

 

Das Wort ward Fleisch.

Etwas zum Hören und zum Sehen, zum Erleben, zum Anfassen.

Aus Liebe hat er sich selbst ganz und gar eingebracht in diese Welt, hat alles miterlebt, vor allem das, was auch uns zu schaffen macht.

Gerade die dunklen Seiten der Welt, ihren Hass, ihre Gewalt, ihre Angst, ihre Schmerzen.

Gott nimmt es freiwillig auf sich, abgelehnt zu werden, angefeindet und verfolgt.

Er geht in die Finsternis hinein.

Aber genau das verwandelt sie.

Ein Glanz von dem Licht, das er ist, bleibt dort.

Er lässt einen Schein dort, der uns den Weg durch unsere Finsternis weisen kann.

Denn mit Weihnachten ist ja nicht plötzlich alles gut geworden.

Aber es ist alles anders.

An keinem Ort der Welt, und sei er noch so schäbig und elend, sind wir seitdem allein.

Der Sohn Gottes, der in unsere Schwachheit kam, erhellt sie dadurch.

 

Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.

Und wir sahen seine Herrlichkeit.

Diese Herrlichkeit sieht man nicht auf den ersten Blick.

Sie ist nicht so wie die der Könige, kein Gold, keine Paraden.

Nicht am Anfang des Weges Jesu im Stall und nicht an seinem Ende auf Golgatha.

Seine Herrlichkeit ist die Herrlichkeit der Schwäche, der Verletzbarkeit, der Niedrigkeit.

Erkennen kann sie nur der, dem Gott die Augen dafür auftut; dem er selbst die Ohren öffnet, um sein Wort zu verstehen; dem er das Herz weit macht, um an ihn zu glauben.

Denn darauf zielt das Wort Gottes. Er wartet auf Antwort.

Er wünscht sich, dass wir reagieren, dass wir ihm uns, unsere Sorgen und Ängste, unsere Freuden und Wünsche anvertrauen, dass wir glauben.

 

Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.

Hinter diesen Sätzen liegt das Geheimnis Gottes.

Ein Geheimnis, das nicht gänzlich zu ergründen ist, dem wir uns nur ahnend nähern können.

Das wir anbeten sollen, ohne es in Niedlichkeit aufzulösen.

Vergessen wir nicht, dass Weihnachten mehr ist, dass es ein Skandal ist und ein Geheimnis bleibt, das wir erst einst in Gottes Herrlichkeit ganz erkennen werden.

Lassen wir uns von dem lebendigen Wort, Jesus Christus ansprechen und verwandeln.

Dann wird uns und dieser Welt wieder ein Licht aufgehen, ein Licht der Hoffnung und Liebe für diese Welt: Jesus Christus. Amen.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.