06.04.2025 - "Nicht von dieser Welt für diese Welt" - Predigt zu Johannes 18,28-19,5 am 5. Sonntag der Passionszeit Judika (Pfarrer Stefan Fischer)
Predigtabschnitt: Johannes 18,28-19,5
1828Da führten sie Jesus von Kaiphas vor das Prätorium; es war aber früh am Morgen.
Und sie gingen nicht hinein in das Prätorium, damit sie nicht unrein würden, sondern das Passamahl essen könnten.
29Da kam Pilatus zu ihnen heraus und sprach: Was für eine Klage bringt ihr vor gegen diesen Menschen?
30Sie antworteten und sprachen zu ihm: Wäre dieser nicht ein Übeltäter, wir hätten dir ihn nicht überantwortet.
31Da sprach Pilatus zu ihnen: So nehmt ihr ihn und richtet ihn nach eurem Gesetz. Da sprachen die Juden zu ihm: Es ist uns nicht erlaubt, jemanden zu töten.
32So sollte das Wort Jesu erfüllt werden, das er gesagt hatte, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde.
33Da ging Pilatus wieder hinein ins Prätorium und rief Jesus und sprach zu ihm: Bist du der Juden König?
34Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus, oder haben dir’s andere über mich gesagt?
35Pilatus antwortete: Bin ich ein Jude? Dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überantwortet. Was hast du getan?
36Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist mein Reich nicht von hier.
37Da sprach Pilatus zu ihm: So bist du dennoch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es: Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.
38Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit?
Und als er das gesagt hatte, ging er wieder hinaus zu den Juden und spricht zu ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm.
39Ihr habt aber die Gewohnheit, dass ich euch einen zum Passafest losgebe; wollt ihr nun, dass ich euch den König der Juden losgebe?
40Da schrien sie wiederum: Nicht diesen, sondern Barabbas! Barabbas aber war ein Räuber.
191Da nahm Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln.
2Und die Soldaten flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt und legten ihm ein Purpurgewand an 3und traten zu ihm und sprachen: Sei gegrüßt, König der Juden!, und schlugen ihm ins Gesicht.
4Und Pilatus ging wieder hinaus und sprach zu ihnen: Seht, ich führe ihn heraus zu euch, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an ihm finde.
5Da kam Jesus heraus und trug die Dornenkrone und das Purpurgewand. Und Pilatus spricht zu ihnen: Sehet, welch ein Mensch!
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Menschen stehen vor Gericht, aufrecht trotzig, mit gesenktem Kopf oder versteckt hinter Aktendeckeln.
„Ich war’s nicht! Ich bin unschuldig! Es waren andere!“
Einer sagt gar nichts, lässt seinen Verteidiger sagen, was zu sagen ist: „Mein Mandant ist unschuldig.
Schuldig sind die Lebensumstände, die schlechten Freunde, schuld ist die Gesellschaft.“
Der Richter spricht ein mildes Urteil.
Liebe Gemeinde,
Einer läuft nicht weg. Lief nie weg.
War für alle da.
„Weg mit ihm! Er stört unsere Ordnung, unser Weltbild.“
Sie bringen ihn zu Pilatus, dem römischen Präfekten von Judäa, Repräsentant des Kaisers in Rom.
Er darf und soll zum Tod verurteilen diesen schändlichen Aufrührer, der sich anmaßt, Gottes Sohn zu sein.
Als Juden dürfen sie das nicht.
Auch das Prätorium betreten sie nicht, sie würden unrein werden und könnten nicht das Passamahl zu sich nehmen.
Pilatus fühlt sich belästigt.
Sollen sie doch selbst entscheiden, was sie mit diesem Menschen Jesus machen wollen.
Im Verlauf des Verhörs wird er aufmerksamer.
Pilatus, dieser mächtige Mann ist hin- und her- gerissen zwischen dem Menschen Jesus, der ihn beeindruckt und dem Angeklagten, den er zum Tod verurteilen soll.
Er findet keine Schuld an ihm, aber er muss die aufgeheizte Menschenmenge zufriedenstellen.
Sie setzen ihn unter Druck.
„Der da sagt von sich, er sei ein König“, das ist eine schwere Anschuldigung vor dem römischen Präfekten, der einen König in Konkurrenz zum römischen Kaiser nicht zulassen darf.
Darauf könnte die Todesstrafe verhängt werden.
Und dennoch, Pilatus ist durch die ruhige Argumentation Jesu verunsichert.
Vom Fragenden wird er selbst zum Befragten.
„Bist du der Juden König?“ und Jesus fragt zurück: „Sagst du das von dir aus?“
Jesus erwartet viel Verstehen von dem Römer Pilatus.
Pilatus zweifelt.
Er findet keine Schuld an Jesus.
Aber er steht unter Druck.
Das ist lästig!
Was soll er nur machen mit solchen Aussagen: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt!“
„Ja, ich bin ein König.“
„In die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge.“
„Was ist Wahrheit?“ Das fragt Pilatus.
Die Wahrheit, die Pilatus kennt, ist die Wahrheit der Herrschenden, weil immer die die Wahrheit und das Recht für sich reklamieren, die im Besitz der Macht, des Gelds und der Waffen sind.
Die Wahrheit, von der Jesus spricht, ist die Wahrheit der Barmherzigkeit und der Liebe.
Es ist die Wahrheit, die sich für die Schwachen einsetzt.
Eine andere Wahrheit gibt es nicht.
Wer den Weg Jesu mitgeht, erkennt diese Wahrheit, weil er, Jesus, „dazu geboren und in die Welt gekommen“ ist.
Das ist eindeutig.
Es lässt kein Wenn und Aber zu.
Pilatus ist verunsichert und beeindruckt zugleich.
Er findet keine Schuld an Jesus, aber er muss ihn irgendwie loswerden und den Erwartungen, die sie an ihn und sein Amt stellen, gerecht werden.
Und andererseits versucht er, sich aus der Verantwortung herauszuwinden und gibt ihn an das Volk heraus.
Welchen Standpunkt hätte ich damals vertreten?
Ich versuche, mich unter das Volk zu mischen, um Jesus näher zu sein und auch diesem mächtigen Pilatus.
Rechts und links schubsen sie, brüllen ihren Hass auf Jesus heraus, recken ihre Fäuste ihm entgegen, die Gesichter verzerrt vor Wut und Hass.
Wie lang soll das noch gehen mit diesem Jesus, diesem selbsternannten König?
Wann wird dieser Ketzer endlich verurteilt?
Gottes Sohn will er sein! Lächerlich!
Das ist Gotteslästerung.
Ich bin verunsichert und verwirrt.
Sollten sie alle unrecht haben?
Ihr Hass stößt mich ab.
Ich sehe einige unter der Menge, die mir vertraut sind.
Ich habe aber doch auch gesehen, wie Jesus freundlich mit den Menschen geredet hat, auch mit denen, die sonst keiner wahrnimmt.
Kranke hat er geheilt.
Es hat mich aber auch irritiert, dass er sich gegen die Tradition gestellt hat.
Und ein König will er sein?
Was ist das für ein König, ohne Macht?
Gleichzeitig hat mich sein Auftreten beeindruckt.
Ich fand es mutig.
Könnte ich nicht auch so sein?
Muss ich mit der Menge schreien?
Ich wundere mich, wie anders Reaktionen aussehen können, wenn ich mich selber in die Situation hineinstelle.
Oft schon habe ich mir die Frage gestellt, wie ich in der Zeit des Nationalsozialismus gedacht und gehandelt hätte: Wäre ich mutig gewesen wie Bonhoeffer, Stauffenberg und viele andere Widerstandskämpfer?
Oder hätte ich mich versteckt hinter der Meinung der Vielen?
Oder hätte mich vor Angst verkrochen?
Für wen stehst du da, Jesus?
Wie zeigst du dich?
Menschlich, nahbar und zugleich auch unnahbar in seiner Klarheit und Ruhe inmitten einer feindseligen Umgebung.
Und doch frage ich: „Warum verteidigst du dich nicht?
Du hast doch den größten Verteidiger im Hintergrund!“
Ach ja, wir wissen, er rettet dich nicht vor den Verurteilungen und vor dem schlimmsten Tod.
Du sagst, wer du bist, aber du verteidigst dich nicht!
Ich würde das an deiner Stelle leidenschaftlich tun.
Du hast sie doch auch verteidigt, die Ehebrecherin, ja sogar sie, die sich des Ehebruchs schuldig gemacht hatte.
Wie geht es mir, wenn ich mich Angriffen ausgesetzt fühle, die ich für ungerecht halte?
Ich bin gekränkt, verletzt, innerlich erregt und angespannt.
Mein Blutdruck schießt nach oben.
Jesus steht ruhig da.
Anders in Gethsemane, als er den Vater anfleht, ihn zu verschonen.
Da ist er mir eigentlich näher, eben ganz menschlich.
So schwach wie ich auch.
Wir dürfen schreien und Gott unseren Zorn und unseren Kummer vor die Füße werfen und sagen, dass wir so vieles ungerecht finden und einfach nicht verstehen.
Für wen, Jesus, stehst du da und lässt dich beschuldigen?
Für uns?
Für alle?
Was ist mit den Hitlers, den Stalins, den Pol Pots, den Putins, den Messerstechern in Fußgängerzonen und auf Stadtfesten?
Wir haben als Menschen die Möglichkeit, uns herauszureden, im schlimmsten Fall die Unwahrheit zu sagen, Schuld zu beschönigen, einen anderen als schuldig zu benennen.
Der da, ich nicht!
So ist Christus nicht.
Alles, was er sagt und tut, ist Wahrheit.
Es ist die Wahrheit des Sohnes Gottes.
Da spüre ich etwas von dieser tiefen Verbundenheit, diesem Einssein mit Gott.
In Wahrheit hält Jesus mir einen Spiegel vor.
Ich erkenne, wie oft ich mich auch aus der Wahrheit herausschleiche, beschönige, geliebt werden möchte, mit dem Strom schwimme.
Es gibt genug Fragen, in denen ich bekennen muss, auf wessen Seite ich stehe.
Es ist meine freie Entscheidung, wahrhaftig zu sein oder nicht.
Wir sehen wie in einem Spiegel auch das ganze Elend dieser Welt, die ungerechten Verhältnisse, den Machtmissbrauch, den Hass und die Zerstörung.
Es ist meine freie Entscheidung, hinzusehen und mich nicht abzuwenden „Zum Glück, ich nicht!“
Und noch einmal: Hätte es uns besser gefallen, wenn Pilatus die Unschuld Jesu erkannt und danach gehandelt hätte?
Die Macht dazu hätte er ja gehabt. Im Matthäusevangelium heißt es:
„Als Pilatus sah, dass er so nichts erreichte und dass der Tumult nur immer größer wurde, ließ er eine Schüssel mit Wasser bringen. Für alle sichtbar wusch er sich die Hände und sagte: „Ich bin am Blut dieses Menschen nicht schuldig. Die Verantwortung dafür tragt ihr!“ (Matthäus 27,24)
Wie soll das gehen, sich reinwaschen und sich doch schuldig machen!
Was für ein Widerspruch! Pilatus verbiegt die Gerechtigkeit.
Er urteilt so, wie sie es von ihm erwarten.
Die Zweifel wischt er weg.
Die Frage bleibt:
Hätte Jesus gerettet werden können, weil ein Mensch doch Zivilcourage besessen und ein mutiges Urteil gefällt hätte?
Aber so heißt es schon zu Beginn: „So sollte das Wort Jesu erfüllt werden, das er gesagt hatte, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde.“ (Vers 32)
Oder „musste er nicht solches erleiden?“ (Lukas 24,25–26)
Auch in der Lesung bei Markus spricht Jesus von seinem zukünftigen Sterben: „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke?“.
Verkleinert das die menschliche Schuld?
Hätte sich die Zwangsläufigkeit verändert, wenn die Menschen sich barmherzig gezeigt hätten und auf die Straße gegangen wären, um für ihn zu demonstrieren und sich mitfühlend gezeigt hätten?
Eine sehr menschliche Reaktion.
Menschen stellen sich immer wieder diese Fragen. Warum diese Konsequenz um Gotteswillen?
Wie viele Menschen haben sich gerieben an der Vorstellung, dass Christus um unseretwillen gestraft wurde.
Ist das wirklich so ein Gott, der straft?
Ist es nicht eher so, dass in der Verurteilung deutlich wird, dass sich Gott selbst hingibt in seinem Sohn, damit wir, und zwar alle Menschen, frei werden von Schuld?
Gott zeigt seine ganze Liebe zu den Menschen darin, dass der Sohn alle Wege, die wir auch gehen, mitgeht.
Ist es eher so, dass an den Menschen, die ihn verdammen, quälen, verleumden, gerade sichtbar wird, wie sehr sie und wir alle diese Liebestat Gottes, die in Jesu Kreuzestod sichtbar wird, unbedingt brauchen?
In diesem „für uns“ wird das deutlich.
Was sollte dann Strafe sein?
„Musste er nicht solches erleiden?“
Damit darf auch ich Jesu Verurteilung und Tod für mich als Befreiung verstehen.
Gottes Liebestat gilt uns allen.
Mein letzter Blick geht zur Dornenkrone.
Sie ist stachlig und tut weh.
Königswürde in Demut und Schmerzen.
Sein „Reich ist nicht von dieser Welt“
Und doch ist es für uns und diese Welt! Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.