25.05.2025 - "Die Welt überwinden" - Predigt am Sonntag Rogate zu Johannes 16,23b-33 (Pfarrer Stefan Fischer)
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Wir hören den Predigttext aus dem Johannesevangelium, Kapitel 16, die Verse 13-33:
Jesus sprach zu seinen Jüngern:
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er’s euch geben.
Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen.
Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei.
Das habe ich euch in Bildern gesagt.
Es kommt die Zeit, dass ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater.
An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen.
Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will;
denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr ich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.
Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater.
Sprechen zu ihm seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus und nicht mehr in Bildern.
Nun wissen wir, dass du alle Dinge weißt und bedarfst dessen nicht, dass dich jemand fragt.
Darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist.
Jesus antwortete ihnen: Jetzt glaubt ihr?
Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, dass ihr zerstreut werdet, ein jeder in das Seine, und mich allein lasst.
Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir.
Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt.
In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
Liebe Gemeinde!
„Scheiden tut weh“, den Schmerz kennt jeder, wenn es heißt, Abschied zu nehmen.
Es gibt kleine und große Abschiede.
Abschiede an der Bahnsteigkante, wo wir wissen, dass wir uns wiedersehen.
Und die Abschiede auf Nimmerwiedersehen, die ein Loch in unsere Seele reißen.
Jede und jeder hat den Schmerz gespürt, einen geliebten Menschen loslassen zu müssen.
Unser Bibelwort ist ein Teil aus den Abschiedsreden Jesu.
Er wollte die Menschen, die ihn liebten, nicht unvorbereitet allein lassen, denn er wusste, dass er auf gewaltsame Weise am Kreuz sterben würde.
Was sagt man sich zum Abschied?
Man tröstet sich gegenseitig.
Man sagt sich, wie lieb man sich hat.
Man zeigt seine Traurigkeit, nimmt sich in die Arme und beteuert sich gegenseitig, wie wichtig der andere für das eigene Leben war.
Und dass man ihn sehr vermisst.
Den Jüngern ging da nicht anders.
Sie brauchen Trost.
Sie werden Jesus verlieren, für den sie ihr früheres Leben aufgegeben, ihre Familien verlassen haben und ihm nachgefolgt sind.
Was sagt ihnen Jesus zum Abschied?
Euer Leben liegt bei Gott in guten Händen, auch wenn ich nicht mehr da bin.
Wenn Ihr den Vater um etwas bitten werdet, ...wird er's Euch geben.
Dann spricht Jesus von der Liebe, die sie im Leben und im Sterben miteinander verbindet: Denn er selbst, der Vater, hat Euch lieb, weil Ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.
Die Liebe ist stärker als der Tod.
Das haben auch wir uns oft gesagt, wenn wir am Rande des Todes standen.
Wenn Menschen auseinander gehen, dass schwingen starke Gefühle mit: Freude und Hass.
Freudentränen, Abschiedstränen, Liebe und Trost.
Der Schlussvers spricht ein Gefühl an, das uns unser Leben lang begleitet: Angst.
„Ihr habt Angst“, sagt Jesus, „aber seid getrost: Ich habe die Angst überwunden“.
Ja, Jesus hat die Angst überwunden:
Er hat unsere Angst vor Gott überwunden.
„Gott liebt euch“, sagt er hier und immer wieder.
Habt keine Angst.
Gott straft Euch nicht.
Er ist jederzeit zur Vergebung bereit.
Marin Luther ist aus Angst vor Gott ins Kloster gegangen.
„Wie finde ich einen gnädigen Gott?“
Diese quälende Frage hat ihn umgetrieben.
Völlig unnötig, sagt Jesus: Gott liebt dich.
Das ist alles, das genügt.
Du brauchst dir nichts mehr einfallen zu lassen, um ihn gnädig zu stimmen.
Gott steht auf deiner Seite.
Und dennoch: Wir haben in der Welt Angst – immer wieder neu:
Wir haben Angst um unsere Gesundheit.
Wir haben Angst, dass wir Menschen verlieren: Durch Krankheit und Tod, durch Scheidung, im Streit.
Wir haben Angst zu versagen, die Ansprüche, die an uns gestellt werden, nicht zu erfüllen.
Wir haben Angst die Liebe der anderen zu verlieren.
Wir haben Angst, unsere Arbeit zu verlieren.
Wir haben Angst, unseren Status zu verlieren – was wir haben und sind.
Wir haben Angst vor dem Wahnsinn und der Idiotie der Mächtigen.
Wir fürchten die Geister und Dämonen, die uns in unserem Gedanken und Träumen heimsuchen.
Gegen fast alles gibt es eine schnelle Pille – zumindest versprechen dies uns ganze Industriezweige, die mit unserer Angst viel Geld verdienen:
Jesus sagt: „Ich habe die Welt überwunden“.
Das ist mehr, als die Angst nur in Schach zu halten.
Was meint er damit?
Zunächst einmal: Jesus weiß, wovon er spricht.
Es ist auch seine Welt, die wir oft als schlecht und lebensfeindlich empfinden;
die wir oft als Kampfplatz empfinden, auf dem sich unser Schicksal entscheidet.
Jesus hat die Welt überwunden.
Im Augenblick gibt es eine Menge zu „überwinden“:
Momentan herrscht der Eindruck, dass nur noch Geld und Profite zählen, nicht nur in den Köpfen der Superreichen – leider auch als Wunschbild vieler die nichts haben.
Jesus aber stellt sich auf die Seite der Armen und Benachteiligten, wenn er den Reichen sagt:
Aufpassen! „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“.
Und allen Menschen: Liebt Gott und liebt Euren Mitmenschen wie euch selbst.
Gott überwindet die Welt mit Liebe – so einfach ist das – und zugleich so schwer.
Schwer ist es, wenn wir die Verbindung zu Gott verlieren.
Ein gottlose Welt ist auch eine menschenfeindliche Welt.
Wir können Trost und Frieden finden – wir können unsere Ängste überwinden, wenn wir mit der Quelle des Trostes und des Friedens, wenn wir mit der Quelle der Liebe verbunden bleiben.
Jesus überwindet die Welt, weil er Gott ist, der die Liebe zu uns Menschen bringt.
Mit ihm überwinden wir die Welt, die uns Angst macht.
Von Jesus lernen heißt leben und lieben lernen.
Ich staune immer wieder, wie unbekümmert Jesus mit Gott spricht.
In seiner Landessprache Aramäisch nennt er ihn „Abba“, das heißt „Väterchen“, oder „Papa“.
Übrigens ist die männliche Anrede hier nicht das Entscheidende.
Gott ist wie ein Vater und eine Mutter zu uns.
Wichtig ist, dass Jesus uns den Weg zu Gott schenkt hat, der vorher undenkbar war.
Gott als Papa oder Mama zu sehen und anzureden: meinen Papa und meine Mama.
Oft fragen wir uns wie Kinder auch: Hört mir Mama oder Papa überhaupt zu, wenn nicht gleich alles so läuft, wie ich es will?
Für Jesus ist das keine Frage: natürlich, hört der liebende Gott, was seine Kinder denken und sagen; freilich interessiert sich Gott für alles, was wir tun.
Und weil Gott eben Gott ist, kann er das gleichzeitig: mit all seinen Geschöpfen ist er innig verbunden, mit uns, seinen Kindern, die er so sehr liebt.
Jeder Herzschlag, jeder Atemzug wird ausgelöst durch ihn.
Unsere Wünsche, unsere Worte, unsere Gedanken, unsere Sorgen, unsere Ängste, unsere Trauer, unsere Freude bewegen ihn.
Und reagiert auf unsere Bitten so, wie es für uns gut ist, auch wenn er uns nicht jeden Wunsch erfüllt – wie es weise Eltern tun.
Deshalb beten wir im Vaterunser: „Dein Wille geschehe“.
Gott lässt sich von uns anrühren und wird Euch geben, was Ihr braucht, sagt Jesus.
Das gehört auch dazu: Gott zu akzeptieren, wie Gott ist – und er ist keine Gebetserfüllungsmaschine.
Wir glauben an „Gott, den Allmächtigen, den Schöpfer, des Himmels und der Erde“.
Wir Menschen sind zu klein, um ihn je ganz begreifen zu können – deshalb sollen wir es auch lassen.
Unsere Erkenntnis ist Stückwerk, sagt Paulus und meint damit: Was wir von Gott wissen, wissen wir durch Jesus Christus: In ihm hat der liebende Gott menschliche Gestalt angenommen.
Wenn wir ihm glauben, sind wir gerettet.
Wenn Jesus sagt: „Das habe ich euch in Bildern gesagt“ meint er damit die bildhafte Sprache seiner Gleichnisse.
Mit den Gleichnissen verstehen wir, wie Gott ist.
Ich sehe den barmherzigen Vater, der seinem wiedergefundenen Sohn voller Freude entgegenläuft, ihn umarmt, ein Fest mit ihm feiert und ihn wieder in seine Hausgemeinschaft aufnimmt.
Ich sehe die Frau, die ihren Groschen beim Hausputz wiederfindet und sich darüber überschwänglich freut.
Oder den Hirten, der seinem verirrten Schaf nachgeht, bis er es wiederfindet, es auf seine Schultern nimmt und es zur Herde zurückträgt.
So ist Gott, sagt uns Jesus immer wieder: Wie ein Vater und eine Mutter, die ihre Kindern über alles liebt – ganz egal, was passiert.
Gott hört uns, er ist die Liebe.
Unsere Gebete dringen durch alle Bilder und Vorstellungen hindurch zu ihm, der im Verborgenen wohnt.
Gott mischt sich kraftvoll in unser Leben ein, auch wenn wir ihn nicht sehen.
Darauf sollen wir vertrauen: Glauben wider den Augenschein – glauben, auch wenn wir Gott nicht sichtbar vor Augen haben.
„Was bringt’s?“ fragen wir vielleicht zweifelnd – weil der Zweifel ein steter Begleiter des Glaubens ist.
Dieser Glaube verändert uns.
Der Glaube an den Liebenden verändert meine Einstellung zur Welt, zum Leben und damit auch zu meinen Mitmenschen.
Im Namen Jesu beten heißt, Gottes Willen geschehen lassen,
heißt, nicht nur das eigene Wohl im Blick haben, sondern auch die Not des Anderen,
heißt, Gott Dank sagen für die unendliche Fülle, die er uns zu aller Zeit schenkt.
Im Namen Jesu beten heißt damit auch: Gott schenkt mir die Kraft, auch die Tage des Leids, der Trauer und der Not zu überstehen.
Liebe Schwestern und Brüder,
wir dürfen staunen, dass Jesus in den Tagen des Abschiedes von „Frieden“ und „Freude“ spricht.
Und wir dürfen auch so reden: Mit Jesus haben wir eine Freude aufs Wiedersehen, einen hoffnungsvollen Blick über unsere kleinen und großen Abschiede hinaus.
Mit Jesus, werden wir selbst zu Friedensstifterinnen und -stiftern.
Vertrauen wir ihm und erzählen davon, was uns trotz allem am Leben erhält; woher wir die Kraft bekommen, unsere Ängste zu überwinden, zu glauben, zu lieben und zu hoffen.
Halten wir uns fest an Christus, der spricht: In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Amen.
Der Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.