15.06.2025 - "Von Küssen und der ersten Liebe" - Predigt zu 2Kor 13,11-13 (Pfrin. Sr. Elise Stawenow)
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Der Predigttext steht im 2. Brief des Apostels Paulus an die Korinther im 13. Kapitel:
11Zuletzt, Brüder und Schwestern, freut euch, lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen, habt einerlei Sinn, haltet Frieden! So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein. 12Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss. Es grüßen euch alle Heiligen. 13Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! (L 2017)
Lasst uns in der Stille um den Segen Gottes bitten.
Gott, schenke uns ein Herz für dein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.
Liebe Gemeinde,
Einleitung: Luthers Hochzeit und die „Küssenwochen“
In Wittenberg wird an diesem Wochenende gefeiert – zeitgleich mit unserem Schlappentag. Anlass ist die Hochzeit von Martin Luther mit der entlaufenen Nonne Katharina von Bora. Am vergangenen Freitag jährte sich dieses Ereignis zum 500. Mal.
Hochzeiten und jede Art von Hoch-Zeiten sind die glänzenden Momente im Leben.
Frisch verliebt, auf Wolke 7 und voller Glück. Martin Luther nannte diese Phase die „Küssenwochen“. Zeiten, in denen Verliebte nicht genug voneinander bekommen können, jeder Moment für einen Kuss gut ist. Dir Hoch-Zeit folgen die Täler des Alltags. Die Bewährungsprobe. Die „Küssenwochen“ sind vorbei. Es geht ums Leben, das echte Leben.
An dieser Schaltstelle befinden wir uns am heutigen Sonntag. Der Sonntag Trinitatis. Die großen Festtage neigen sich dem Ende entgegen. Gott hat uns Menschen mit seiner ganzen Zuwendung berührt – geküsst: An Ostern hat er den Tod besiegt – Jesus ist auferstanden und den Jüngern begegnet. An Himmelfahrt war der Himmel offen, Gott ganz nah. Und an Pfingsten stärkt der Heilige Geist uns mit Gotteskraft. Das sind Küssenwochen. Hoch-Zeit mit Gott.
Mit dem heutigen Festsonntag Trinitatis wird die sogenannte „festlose Zeit“ im Kirchenjahr eingeläutet. Es geht in die Niederungen des Alltags. Was fangen wir an mit dem Gott, der uns in drei Wesenheiten – Vater, Sohn und Heiligem Geist – nah kommen will?
I Zurück zur ersten Liebe
Bewährungsproben auch in Korinth. Mit der Liebe ist es nicht so einfach. Unter Tränen verhandelt Paulus die Probleme der Gemeinde. Nach einem – oder wie man sich in der Wissenschaft vorstellt, vielen verschiedenen Briefen - hängt er scheinbar beiläufig das Schlusswort an: „Ach übrigens“ – was ich noch sagen wollte:
11(…), liebe Geschwister, freut euch, fangt noch einmal an, lasst euch ermutigen, lebt einmütig und in Frieden! Gott ist Liebe und Frieden und wird mit euch sein. 12Begrüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss. Es grüßen euch alle heiligen Geschwister. (BigS)
Weil Gott sich in Liebe verschenkt, fordert Paulus auf, noch mal anzufangen – bei der ersten Liebe.
Sei es in Beziehungen, Gemeinschaft oder Gemeinden: Es heißt den kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen:
„Gott ist Liebe und Frieden und wird mit euch sein.“
Eine Schülerin in der 4. Klasse versuchte mich zu provozieren, indem sie beim Vaterunser anstelle des Amens „Namaste“ sagte. Ich lobte. Das verwunderte sie.
„Weißt du denn, was Namaste heißt?“ Sie zuckte mit den Schultern „Das Göttliche in mir grüßt das Göttliche in dir.“ Wir probierten den Gruß mit der verneigenden Gebärde gemeinsam aus.
„Das Göttliche in mir grüßt das Göttliche in dir.“
Für mich ist das die Essenz des kleinsten gemeinsamen Nenners christlicher oder besser interreligiöser Gemeinschaft.
Wenn ich in dir, meinem Gegenüber, ein Stück von Gott sehe, kann ich nur das tun, wozu Paulus auffordert:
II Anleitung fürs Liebe-Leben
- Mich freuen!
Die Einzigartigkeit Gottes findet sich im Menschen neben mir – sei es meine Mitschwester, der Partner oder ein x-beliebiger Nächster.
- Noch einmal anfangen!
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Der zweite oder dritte Anfang wird nicht sein wie der erste. Aber er hat einen eigenen Zauber.
Erst gestern erzählte mir eine Mitschwester, dass sie lange Zeit daran litt, dass eine leitende Schwester sie zu übersehen schien. Jahre später kam diese Schwester auf sie zu, gestand das Fehlverhalten ein und entschuldigte sich. Ein Neuanfang. Das Miteinander der beiden hat eine neue, besondere Qualität bekommen.
- Sich ermutigen lassen!
Luther übersetzt an dieser Stelle: „Ermahnt einander.“ Im griechischen steht hier: „parakaleo“, was sowohl trösten und ermutigen als auch ermahnen bedeutet. Der Paraklet, eine andere Bezeichnung für den Hl. Geist (im Johannesevangelium) hat diese Funktion. Es braucht das Verbundensein mit den anderen, den Mitmenschen, den Schwester oder den Bruder, dass ich den Blick für das Gute nicht verliere. Gerade wenn ich weiß, die erste Liebe in unserer Beziehung kommt nicht wieder – weil sie so zerbrochen ist, weil der geliebte Mensch fehlt. Es braucht jeden hier, damit wir uns ermutigen, nicht aufzugeben: „Gott ist Liebe und Frieden - und wird mir dir sein.“
- Einmütig und in Frieden leben.
Das ist leichter gesagt als getan. „Seid eines Sinnes“ (wie Luther übersetzt) heißt nicht, dass alle die gleiche Meinung haben müssen. Sie haben ihren Sinn auf eine Sache ausgerichtet: „Gott ist Liebe und Frieden“ – und ist auch im andern, in dem mit der völlig konträren Meinung. Auf der Basis, dass jedem die ganze Liebe Gottes gilt, dürfen und müssen Meinungsverschiedenheiten ausgefochten werden.
Liebe Geschwister, freut euch, fangt noch einmal an, lasst euch ermutigen, lebt einmütig und in Frieden!
Mit diesen Empfehlung geht’s zurück zu den „Küssenwochen“, zur ersten Liebe.
III Der heilige Kuss
Begrüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss.
Der Kuss als Zeichen der Nähe und Zärtlichkeit bekommt einen Platz im Ritual.
Dabei ist der Kuss auch biblisch ambivalent zu sehen. Prominent kommt er in der Erzählung des Verrats vor. Judas geht mit den römischen Soldaten im Gefolge auf Jesus zu. Er küsst ihn. „Wen ich küsse, der ist´s.“ Der Kuss als Zeichen des Verrats. Ein falscher Kuss.
„Mein Gott, hilf mir, die tödliche Liebe zu überleben.“ Das ist der Untertitel des Gemäldes auf der Berliner Mauer, der „East Side Gallery“. Dort küssen sich der sowjetische Staatschef Breschnew und Staatsratsvorsitzender der DDR Erich Honecker auf den Mund, so geschehen beim Staatsbesuch 1979. Das Ritual des heiligen Kusses wird politisch benutzt. Inszeniert.
Liebe kann toxisch sein. Glitter und Glamour, Küsschen und Geschenke können nicht überdecken, wenns nicht läuft.
In Zeiten, in denen jede Kirchengemeinde ein Schutzkonzept zur Prävention sexualisierter Gewalt vorweisen muss, ist es gut, die tiefere Bedeutung des heiligen Kusses zu ergründen.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
In jedem von uns: Gnade – Geschenk. Liebe. Die Befähigung zur Gemeinschaft.
Denn Gott selbst ist Gemeinschaft. In ihm lebt eine innergöttliche Intimität. Die Beziehung zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist.
Deshalb sind wir alle Heilige. Gehören zu Gott. Wir sollen ein Abbild Gottes sein – in Gemeinschaft. Wir gehören zusammen. In den Hoch-Zeiten und den Tiefgängen des Lebens.
Bei der Gedenkfeier für die Opfer des furchtbaren Attentats an der Grazer Schule sprach eine Schülerin.
„Wir lassen nicht zu, dass dieser Tag uns zerreißt. Die Antwort auf das, was der Täter wollte - nämlich Angst, Hass, Zerstörung- ist Liebe, Zusammenhalt, Hoffnung.“ Die junge Frau ist durch das Kopftuch als Muslima erkennbar. Sie zeigt, was die Welt braucht: Zusammenhalt. Gemeinschaft. Bedingungslos für die Liebe einstehen.
Dieses Bekenntnis empfand ich als göttlichen Moment. Es geschieht Gemeinschaft, die die Grenzen von Religionszugehörigkeit überschreitet. Das ist mehr als „ein heiliger Kuss“. Es ist Zeichen der ersten Liebe, die sich in der Krise bewährt.
Schluss
Nach den Hoch-Zeiten, sei es Hochzeitsfest in Wittenberg oder Schlappentag in Hof, kommen die Niederungen des Alltags. Da sind neue Formen des Heiligen Kusses gefragt: Zeichen der Wertschätzung. Achtsamkeit und Zusammenhalt – in der Familie, in der Kirche, in der Welt.
Denn wir haben eine Basis, die gilt:
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes ist mit uns allen. Amen.
Inspiriert von:
einer Predigt von Kathrin Oxen: https://www.kathrinoxen.de/mit-kuessen-2/
den Predigtbuddies: https://www.podcast.de/episode/689312212/432-trinitatis-2-korinther-1311-13