16.11.2025 - "An Gott festhalten" - Predigt zu Hiob 14,1-6 am Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres (Pfarrer Stefan Fischer)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Wir hören das Predigtwort aus dem 14. Kapitel des Hiobbuches, die Verse 1-6:

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bliebt nicht.
Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst.
Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen?
Auch nicht einer!
Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du eine Ziel gesetzt, dass er nicht über schreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.

 

Liebe Gemeinde,
diese Worte sind zu Gott gesprochen.

Darin finde ich nichts Hehres, nichts Hohes und nichts Heiliges wie in unserer sonstigen Rede zu Gott.

Denken wir an diesen Gottesdienst: wie wagen wir es sonst zu Gott zu reden?

„Herr im Himmel“, „Gott unser Vater“, „Allmächtiger“ - wir neigen unser Angesicht vor Gott.

Aber hier?

Hiob schmettert Gott seinen Frust entgegen:

„Lass mich doch in Ruhe, Gott, lass mich bei dem, was mir der Tag bringt - es ist doch eh` alles Mühe und Plage und das bisschen Freude in meinem Leben: vermies es mir nicht auch noch!“

Hier spricht ein Aufrührer, einer der nicht nur glaubt oder hofft, dass er Recht hat, dass vielleicht gerettet werden möge - Nein:
hier spricht einer, der weiß, dass es so ist!

Ich habe Recht! Gott - gib mir also, was mir zusteht!

 

Hiobs Freunde hören ihn so reden und sind bestürzt.
So darf man das doch nicht sagen - ach, nein: man muss zufrieden sein mit dem, was man hat - es gibt eben Höhen und Tiefen im Leben - Gott wird schon wissen, warum er das zulässt …

Wir kennen diese Reden der Freunde Hiobs auch in unserem Leben: leere Worte des Trostes.

Inhaltlich sicher richtig, denn: wer kann schon erklären, warum Gott das Leid zulässt, aber eben auch Worte ohne Leben in ihnen.

Es sind honigsüße Worte, die das Unrecht dieser Welt mit einer goldgelben Schicht zudecken sollen, Worte, die so tun, als wäre das Übel kein eigentliches Übel, sondern eben alles irgendwie schon gut und richtig - aber das einzige, was bei den Menschen hängenbleibt, zu denen diese Worte gesprochen werden, ist das Klebrige und das Zähe, was das Denken und Fühlen umhüllt und träge macht.

Hiob aber benennt das Unrecht dieses Lebens: der Mensch lebt kurz und ist voll Unruhe: der Mensch ist gehetzt und unfrei - kaum steht er, blickt er schon aufs Nächste.
Es ist nie genug; höher, schneller, weiter …


Der Mensch geht wie eine Blume auf und fällt ab, sagt Hiob: wo sind sie hin die kurzen Jahre der Jugend, höre ich die Alten sagen: eine kurze Freude, gesund und jung, frisch verheiratet - dann aber kam die lange Zeit, in der ich nun schon krank und siech bin: nichts geht mehr so, wie ich es einst konnte!

Der Mensch flieht wie ein Schatten und bleibt nicht!

Die Erinnerung an die guten Zeiten, an die Zeiten des Glücks: sie sind wie ein Schatten geworden:
man weiß noch, dass etwas da gewesen sein muss, was diesen Schatten ausgelöst hat - aber kaum dreht man sich um und will die Quelle erhaschen, ist er auch schon wieder verschwunden: wie war das, als ich glücklich war: ach - es ist schon so lange her!

 

Ich denke an die Menschen, die ihren Partner an den Krebs oder einen Unfall verloren haben oder die Vater und Mutter verloren haben und jetzt alleine sind und einsam: einsame Menschen mitten unter uns, liebe Gemeinde!

Nur eine kurze Zeit des Glücks - warum?

Und dann: noch mehr - nämlich Gottes Augen über uns zu seinem Gericht!

Gott - du ziehst mich ins Gericht und sprichst mich schuldig, klagt Hiob.

Ja natürlich zu Recht – wenn wir ehrlich sind!
Wir sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den wir vor Gott haben sollen, stellt Paulus im Römerbrief fest.

Wer kann etwas Reines machen aus etwas Unreinem?  Kein einziger kann das.

Aber so lebe ich, kurz, mein Glück währt nicht lange und dann auch noch der Richterspruch: du bist schuldig vor Gott!

Was also ist zu tun, liebe Gemeinde?

Die erste Möglichkeit: Wir könnten Hiob nicht ernst nehmen; wir könnten diese Klage nicht ernst nehmen.

Wir könnten sagen: Ach, das ist doch alles nicht so schlimm.

Wir könnten sagen: Diejenigen, die wie Hiob, solches reden, sind Schwarzseher, das sind die Pessimisten unter uns, die tun uns nicht gut, die sind toxisch.

Wir könnten sagen: Vergesst ihr Gerede, denn sie sehen immer nur das halbleere Glas, nie das halbvolle.

Diese miesen Kritiker haben immer was zu nörgeln, grundsätzlich unzufrieden:

die Welt ist doch schön - ich weiß gar nicht, was ihr habt!

Mir geht´s gut!

Mich erinnert das auch an die Lesung aus dem Evangelium, die wir vorhin gehört haben: „Es wird die Zeit kommen, da begehrt ihr zu sehen - und es werden einige sein, die sagen: siehe dort oder: siehe, hier! Aber lauft ihnen nicht nach!“

Oder gefällt uns die zweite Möglichkeit besser?

Er lautet: ja, ich weiß, dass es um die Welt schlecht bestimmt ist.

Ja, ich weiß, dass das Leid mich umlagert wie ein trüber See und ich drohe darin zu versinken:

Aber so ist es wohl Gottes Wille und ich will ihn annehmen, ohne zu murren.

Lasst mich bloß in Frieden und regt mich nicht weiter auf, denn mir ist diese Stimmung sehr recht:

die Welt geht dem Ende entgegen und ich weiß es.

War´s das, liebe Gemeinde?

War das schon alles, was wir tun können?

Ich glaube: Nein!

Ich noch eine dritte Möglichkeit, einen Weg jenseits von Nicht-zur-Kenntnis-nehmen-wollen und im Selbstmitleid-versinken:

Es ist der Weg, den Hiob selbst gewählt hat!

Denn Hiob steht auf und streitet mit seinem Gott:

Hiob will sich die Verheißungen, die Gott ihm selbst gegeben hat, nicht aus der Hand nehmen lassen.

Hiob streitet für diese Dinge und beharrt darauf, dass er ein Recht dazu hat.

Vielleicht hilft uns folgende Gleichnisgeschichte besser zu verstehen.

Menschen wollten mit einem alten Schiff aus Holz das große Meer überqueren, um zu einem sagenhaften Strand zu gelangen: weiß und sandig und hinter den Dünen die schönsten Palmen, die je gesehen wurden.

Täglich wurde es aber auf seiner Fahrt dorthin durch Stürme und das aggressive Salzwasser angegriffen.

Auch Verletzte hatte es schon gegeben bei diesen Stürmen.

Mit der Zeit gab das Holz des Schiffes nach und es entstanden Risse und Lecke im Rumpf, so dass das Meerwasser eindrang.

Mit kleinen Eimern begann die Mannschaft, Wasser aus dem Rumpf zu tragen, und mit Segeltuch versuchte man die Löcher abzudichten.

Doch das Wasser fand immer neue Wege ins Innere des Schiffes und es wurde immer schlimmer statt besser.

Nur mit großer Mühe konnte das alte Schiff noch fahrtüchtig gehalten werden.

Mit der Zeit aber wurden die Seeleute müde, und alsbald starben einige der Verletzten unten im Schiff, da sie den Kopf nicht mehr über Wasser halten konnten.

„Wie sollen wir bloß das Schiff retten, wenn für einen abgeschöpften Eimer Wasser schon wieder zwei neue eindringen?“ riefen die Seeleute, und alsbald hörten sie auf, überhaupt noch Wasser zu schöpfen.

Am Anfang war es nur ein Einzelner, der es sein ließ und resignierte.

Andere oben auf dem Schiff dachten bei sich: nun ja: mir geht es ja nicht so schlimm, wie den Verletzten unten im Schiff: ich will nicht mehr an sie denken und mich dafür der schönen Luft hier oben freuen - so bin ich glücklich, ich brauche diesen doofen Palmenstrand gar nicht.

Wahrscheinlich gibt es ihn gar nicht.

So kam es schließlich, dass alle restlichen Seeleute entweder resigniert die Eimer sinken ließen oder aber die Augen vor dem drohenden Unheil verschlossen.

Schließlich passierte, was passieren musste und das Schiff ging im Meer unter, und die Haie, die geduldig auf diesen Augenblick gewartet hatten, verschlangen, was von der Mannschaft noch übrig geblieben war.

Ein paar Seemeilen weiter aber war ein schöner Sandstrand, an den ruhig die Wellen schlugen.

Liebe Gemeinde, werden wir nicht wie diese Seeleute, sondern heben wie Hiob den Kopf und treten unserem Gott gegenüber.

Werden wir wie Hiob zum Kläger, der sich nicht einfach mit seinem Schicksal abfindet;
geben wir uns zufrieden mit dem Leid der Welt, und mit den unbeschwerten Augenblicken unseres Lebens.
Lassen wir den Kopf nicht hängen und sagen: ach lieber Gott, du hast es ja so gewollt, also will ich die Hände geduldig in den Schoß legen.

Was sagt Hiob noch in seiner Rede?

Die Zahl seiner Monde steht bei dir und du hast ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann.

Der Mensch kann sein Ziel nicht überschreiten, das steht fest, darin haben auch die Weggucker und die Pessimisten Recht, aber - und daran hat Hiob immer festgehalten: Gott hat ein Ziel gesetzt, ein Ziel, das auch uns deutlich vor Augen geschrieben ist.

So wie das Schiff aus unserer Geschichte den Palmenstrand als Ziel angepeilt hatte, so wusste Hiob, was Gott seinen Menschen als wunderbares Ziel angegeben hat. Hiob will sich das nicht nehmen lassen.

Am Ende des Hiob-Buches, im 42. Kapitel, wird er dafür von Gott gelobt und die Freunde Hiobs gescholten.

Zwar wird Hiob von Gott auch klargemacht, dass er als Mensch zu klein ist, manches zu verstehen: Wo warst du, als ich die Sterne gemacht habe" - auch wir können noch nicht erklären, warum es dieses Leid auf der Erde gibt, aber Gott sagt auch zu ihm:
Ich will dich erhören und: tue Fürbitte für deine törichten Freunde, denn sie haben nicht recht zu mir geredet.

Weil Hiobs Freunde sich Gottes Ziel aus der Hand haben nehmen lassen; sie sind aus dem Gespräch mit Gott ausgestiegen, sie haben die Eimer stehen gelassen oder haben sich ans Deck gesetzt und haben nur noch mit sich selbst geredet.

Der dritte Weg aber, der Weg Hiobs, hätte sie bis zum Palmenstrand durchgetragen.

Deshalb halten wir an Gott fest, in den guten wie in den bösem Tagen; er wird uns helfen; er wird seiner Kirche helfen; denn er hält uns lebendig bis ans Ende.

Denn nur mit Gott stimmt der Satz: „Am Ende wird alles gut“. Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.